Geschlechtergerechte Sprache wird immer mehr zum Zankapfel der deutschen Wirtschaft. Während sich einerseits die meisten Konzerne vornehmen, sowohl bei der Ansprache von Bewerbern als auch bei der internen Kommunikation auf Gleichbehandlung zu achten, müssen sie sich vermehrt mit renitenten Mitarbeitern oder Kunden auseinandersetzen, denen das nicht passt. Jüngst klagte ein VW-Mitarbeiter gegen solche Sprachregeln, während die Deutsche Bahn mit einem Kunden konfrontiert war, der genau diese inklusive Sprache vermisste und dagegen vor Gericht zog.
Beim Gendern gibt es tiefe Gräben zwischen den Unternehmen
Doch auch zwischen den Konzernen tun sich bei diesem Thema tiefe Gräben auf, wie eine Umfrage der WirtschaftsWoche zeigt. Alle 40 Dax-Konzerne haben wir angeschrieben. Zwölf von ihnen wollten sich gar nicht zum Thema äußern, auch bei den verbleibenden, dem Thema grundsätzlich also zugewandten Unternehmen, gibt es große Unterschiede. Am meisten Einigkeit herrscht noch bei der Anrede in Stellenanzeigen. Die allermeisten Konzerne setzen hier auf den Zusatz (m/w/d) oder nutzen ihn bewusst in abgewandelter Form (w/m/d). Aus der Reihe fällt der Technologiekonzern MTU, der auch diese Form bewusst vermeidet. „Um wirklich alle Geschlechter anzusprechen“, so die Erklärung, nutzt MTU stattdessen die Formel „all genders“. Bei Continental und Symrise achtet man zudem bewusst darauf, schon in der Stellenbeschreibung selbst das generische Maskulinum zu vermeiden und etwa statt „Personalleiter“ die neutrale Form „Personalleitung“ zu verwenden.
Viele Leitlinien, wenige Pflichten
Relativ verbreitet ist es inzwischen offenbar, dass die Konzerne eigene Leitlinien zum Thema veröffentlichen, bei 64 Prozent der Dax-Unternehmen ist das der Fall. Zumeist sind diese jedoch unverbindlich, nur in jeden vierten Dax-Unternehmen gibt es eine Verpflichtung zur Verwendung gendergerechter Sprache.
Manche Konzerne unterscheiden zudem zwischen interner und externer Kommunikation. So gibt es bei Bayer einen Leitfaden, der sich an „genderwillige Beschäftigte“ wendet. In der Außendarstellung aber solle auf solche Formulierungen verzichtet werden, „weil wir wissen, dass deren Zielgruppen gegenderte Formulierungen nicht schätzen“, so schreibt das Unternehmen.
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Große Unstimmigkeit herrscht zudem bei der Frage, welche Art von Formulierungen am besten geeignet sind, um allen Geschlechtern gerecht zu werden. Die meisten Konzerne wünschen sich die Verwendung einer neutralen Sprache, verwenden also Worte wie „Mitarbeitende“, wo es möglich ist. Fast ein Drittel der Unternehmen (29 Prozent) ruft seine Mitarbeiter zudem dazu auf, mit Paarbildungen (Kundinnen und Kunden) zu arbeiten, auch bei den anderen Konzernen ist diese Form zumindest zulässig. Höchst umstritten ist zudem die Verwendung von Gendersternchen und Doppelpunkten. SAP und Conti schließen deren Verwendung explizit aus, während Infineon voll auf das Sternchen setzt, ebenso wie die Telekom. RWE und Covestro setzen derweil auf den Doppelpunkt.
Sogar technologisch scheiden sich an dieser Frage offenbar die Geister: Während SAP die Verwendung mit der Begründung ausschließt, dass sie für Screenreader-Programme nicht darstellbar seien, nutzt die Allianz den Doppelpunkt explizit, weil er so gut darstellbar sei – mit dem exakt gleichen Argument entscheidet sich die Telekom für das Sternchen. Andere Konzerne lagern solche Fragen gleich ganz aus: Sowohl Mercedes und Daimler Trucks als auch BMW geben an, sich in ihrer Kommunikation komplett an den Vorgaben der Gesellschaft für deutsche Sprache zu orientieren.
Technologische Hilfe
Merck setzt derweil auf technologische Hilfe. Um seine Publikationen gendersensibel zu gestalten, nutzt das Unternehmen eine Software, die entsprechende Formulierungen automatisch vorschlägt.
Am weitesten fortgeschritten in Sachen Gendern scheint der Chipkonzern Infineon zu sein. Zum einen ist das Unternehmen neben Symrise das einzige, das auch in der mündlichen Kommunikation aufs Gendern setzt. Infineon macht sogar konkrete Angaben, wie das gehen soll: „Im Mündlichen wird das Sternchen über eine kleine Sprachpause hörbar gemacht.“ Zudem macht der Konzern Vorgaben, wie auch jenseits direkter Personenbenennungen geschlechtergerechter formuliert werden könne. „Wir wählen Adjektive und Formulierungen, die insbesondere auch Frauen ansprechen, gleichfalls aber Männer keinesfalls davon abhalten, sich zu bewerben“, heißt es. Der Konzern nennt dafür auch konkrete Anwendungsfälle: „Ein Beispiel dafür, die eher „maskuline“ Formulierung „ehrgeizig“ ersetzen wir mit dem Wort „motiviert“. Das Wort „selbständig“ wird beispielsweise häufig mit „verantwortungsvoll, verantwortlich“ ersetzt. Anstatt „Mannschaft“ sagen wir „Team“ oder „Belegschaft“.“
„Der eine oder andere fremdelte“
Vielleicht ist es da kein Wunder, dass Infineon auch der einzige Konzern ist, der offen einräumt, dass es darüber durchaus unterschiedliche Ansichten innerhalb der Belegschaft gibt: „Besonders am Anfang fremdelte der eine oder die andere noch mit dem Thema, mittlerweile gehen die neuen Gepflogenheiten immer mehr in den natürlichen Sprachgebrauch ein.“
Um das zu erreichen, setzen einige Unternehmen auf Schulungen zum Thema, bei Hello Fresh etwa sind die für jeden Mitarbeiter verpflichtend, der eine Führungsrolle übernimmt. Am weitesten geht hier Adidas: Ein Training zur Förderung von Inklusion am Arbeitsplatz wurde verpflichtend eingeführt, für alle 61.000 Mitarbeiter weltweit. Am anderen Ende der Skala steht die Finanzholding Porsche SE, von der Mitarbeiterzahl her das mit Abstand kleinste Unternehmen im Dax. Das Unternehmen erklärt: „Es gibt bei uns keine Vorgaben, abgesehen davon, die Regeln der deutschen Rechtschreibung zu beachten. Und die Regeln der Höflichkeit einzuhalten, indem man Kolleginnen und Kollegen als solche anspricht.“
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