Decision Dilemma Mit Daten „bombardiert“ – Führungskräfte im Entscheidungsdilemma

Quelle: Getty Images

Führungskräfte fühlen sich laut einer neuen Studie durch die wachsende Menge an Informationen wie gelähmt. Wie das ihre Entscheidungsfindung beeinträchtigt.

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Die stetig wachsende Flut an Informationen im Job lähmt Führungskräfte in ihren Entscheidungen. Das ist das Ergebnis einer Studie des US-Softwarekonzerns Oracle. Demnach fallen die Manager immer öfter „in eine Art Entscheidungsparalyse“, so die Autoren. Das habe ernsthafte Konsequenzen: Geschäftskritische Entscheidungen bleiben liegen, werden vertagt oder von den eigentlichen Entscheidungsträgern durch immer mehr Informationen gegen jede noch so kleine Eventualität abgesichert. „Menschen ertrinken in Daten“, sagt der US-Ökonom und Datenwissenschaftler Seth Stephens-Davidowitz, der an der Studie maßgeblich beteiligt war. 

Zahl der Entscheidungen hat sich verzehnfacht

Weltweit wurden für die Untersuchung mehr als 14.000 Arbeitnehmer befragt, zur Hälfte Führungskräfte, zur Hälfte einfache Mitarbeiter. In Deutschland waren es insgesamt 1000. Sechs von zehn Befragten hierzulande gaben an, die Zahl der Entscheidungen, die sie täglich treffen müssen, habe sich in den vergangenen drei Jahren mindestens verzehnfacht. 78 Prozent sahen sich bei ihren Entscheidungen mit mehr Daten aus mehr Quellen konfrontiert als jemals zuvor. Unter den Führungskräften waren es sogar 82 Prozent.

Zweifellos liegen die Auslöser dieser Entwicklung in der Digitalisierung der Arbeitswelt, in der Ablenkungen omnipräsent geworden sind. Permanent blinkt und pingt es irgendwo aus dem Bildschirm. Verstärkt wurde das durch die Corona-Pandemie, als die Menschen auch ihren Flurfunk und ihre Büro-Lästereien in die gleichen digitalen Kanäle verlegten, über die sie bis heute relevante Infos, Fragen und Arbeitsaufträge erreichen.

Seither fällt es vielen Menschen zunehmend schwer, Unwichtiges von Wichtigem zu trennen – und zu ignorieren. Laut Stephens-Davidowitz überfordere die schiere Menge an Informationen, Internetrecherchen, Nachrichtenmeldungen und unaufgeforderten Kommentaren von Freunden das Gehirn häufig. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, mehr als einmal am Tag nicht zu wissen, welche Entscheidung sie treffen sollen.

Weniger Vertrauen, mehr Verwirrung

Ein Problem, das auch Bernd Blessin kennt. Er ist Präsidiumsmitglied des Bundesverbands der Personalmanager*innen und Personalleiter der L-Bank und sagt: „Es gibt nicht mehr nur die Unternehmensleitung oder ein bestimmtes Medium wie eine Zeitung, der man vertraut oder nicht vertraut. Die Vervielfältigung von Fakten, Meinungen und alternativen Fakten durch Social Media macht es schwieriger zu prüfen, welcher Quelle ich vertrauen kann.“

Tatsächlich zweifeln laut der Umfrage 43 Prozent, welchen Daten oder Quellen sie vertrauen sollen. Mehr als zwei Drittel haben schon einmal eine Entscheidung vermieden, weil sie von der Datenmenge überwältigt waren.

Bei besonders risikoaversen Unternehmen führe das Streben nach einer sicheren Entscheidung zu der absurden Situation, dass sie „bei der Bewertung von Informationen nie zum Ende kommen, weil ja irgendwo noch ein Faktum schlummern könnte, das die Kalkulation verändert“, sagt Personaler Blessin. Dieses Verhalten durchziehe schnell die ganze Organisation, bis sich bald jeder Mitarbeiter schon bei der kleinsten Entscheidung zurückhalte um ja keine Fehler zu machen. Blessin empfiehlt: „Führungskräfte müssen Mitarbeiter ermutigen, eine eigenständige Entscheidung zu treffen, auch wenn sie noch nicht alle Infos haben. Tun ist allemal besser als Unterlassen.“

Das sieht auch Constanze Buchheim so. Die Gründerin von I-Potentials, einer Personalberatung für Führungskräfte, und Mitglied der Monopolkommission nimmt jedoch weniger Entscheidungsprobleme unter Führungskräften wahr. Aber der Informationswust führe „zum Rückzug aus der Kommunikation mit den Mitarbeitern. Das Problem ist nicht, dass sie nicht mehr entscheiden, sondern zumachen und die anderen nicht ausreichend informieren.“ Das sei für die Teams schädlich, aber sie habe durchaus Verständnis für diese Managementebene. Denn auf den Führungskräften lasteten „die größten Zugkräfte – und Burn-out-Gefahren. Denn sie reiben sich zwischen den steigenden Wünschen der Mitarbeiter, den Anforderungen der Chefetage und Marktveränderungen auf.“

Neben Untätigkeit und schlechter Kommunikation hat Datenspezialist Stephens-Davidowitz noch eine weitere Reaktion ausgemacht: Menschen, sagt er, seien „versucht, die verwirrenden und manchmal widersprüchlichen Daten zu vernachlässigen und einfach das zu tun, was ihnen richtig erscheint“. Der Umfrage zufolge sagen vier Fünftel der Manager, Menschen träfen zuerst eine Entscheidung und versuchten dann nach Daten zu suchen, um sie zu rechtfertigen.

Angstzustände sind die Folge

Instinkt sei jedoch nicht der richtige Ratgeber, sagt Stephens-Davidowitz. Die beste Entscheidung beruhe weiterhin auf dem richtigen Verständnis relevanter Daten. In den Unternehmen fehle es jedoch oft noch an den technischen Tools, um die Daten für den jeweiligen Adressaten aufzubereiten. Dashboards und Diagramme, die Führungskräfte erhielten, passten oft nicht zu den Problemen, vor denen sie stünden.

Die Informationsüberforderung strahlt dabei bei vielen Führungskräften auch ins Private aus. Ein Viertel der Befragten gaben an, die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, löse bei ihnen Angstzustände aus. Für 85 Prozent macht die Informationsflut Entscheidungen komplizierter.

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Das lasse sich auch im Privaten beobachten, wie Personalchef Bernd Blessin beobachtet hat. „Wenn ich mich vor 30 Jahren mit meiner Clique verabredet habe, stand die Verabredung 14 Tage vorher. Man hat sich am Samstag wie vereinbart um 15 Uhr getroffen. Heutzutage muss man fünf Minuten vorher noch mal per Whatsapp fragen, ob es dabei bleibt.“

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