Die Renaissancefassaden der Augsburger Altstadt wirken so makellos, als hätten die Bürger erst vor Kurzem Richtfest gefeiert. Fast nichts trübt die Idylle. Wäre da nicht der Mann vor dem Rathaus mit dem selbst gebastelten Pappschild in der Hand, das er an einem langen Stock befestigt hat. „Ja zum Theater, nein zur Finanzierung“, steht darauf. Etwa 500 Meter entfernt sitzt die Intendantin des Theaters in ihrem Büro und ist sichtlich genervt. Am Revers von Juliane Votteler pinnt ein Anstecker mit einem Herzen: „Ja, ich will. Jetzt! Theatersanierung.“ Auch Poster hinter ihrem Schreibtisch zeigen das Motiv. Eine Bürgerinitiative kämpft gegen den Umbau, Votteler steht in der Kritik.
Kritik ist die Voraussetzung für Veränderung
Das ist für sie als Intendantin inzwischen normal. Ihre Arbeit wird beobachtet, kommentiert und beurteilt. Sie ist verantwortlich, wenn das Publikum ein Bühnenstück nicht mag; sie erhält die Kritik stellvertretend für das gesamte Theater; und im Zweifel ist sie verantwortlich, wenn Mitarbeiter etwas falsch machen. „Daran musste ich mich erst gewöhnen“, sagt Votteler. „Am Anfang war das furchtbar.“ An einem Brett vor ihrem Büro hängen sechs Zeitungsausschnitte – es sind die jüngsten Rezensionen, Lobeshymnen ebenso wie Verrisse. Pflichtlektüre für Votteler und ihre Mitarbeiter.
Kritik ist eine Grundvoraussetzung, um die eigene Leistung zu reflektieren. Denn externes Feedback liefert meist die entscheidende Information: Wie gut war meine Arbeit wirklich? Es sind die anderen, die spiegeln, wenn etwas besser hätte laufen können.
Tipps für ehrliche Kritik
Chefs neigen dazu, Menschen auszuwählen, die ihnen ähnlich sind. Das führt jedoch zu einer Einheitssuppe im Büro, in der sich alle nur noch gegenseitig zustimmen. Querschläger sorgen automatisch für mehr Widerspruch.
Experte Hossiep plädiert für einen hauptberuflichen Meckeronkel auf Vorstandsebene, der dafür zuständig ist, Schwachstellen aufzudecken und Prozesse zu bewerten.
Eine Führungskraft muss Kritik zunächst mehrmals selbst einfordern und klarstellen, dass diese keine negativen Auswirkungen hat – sonst traut sich niemand, ehrliches Feedback zu geben.
Solche Namen sind niemals zufällig gewählt. Wer sich seines Rufnamens bewusst ist, kennt auch seine Schwachstellen.
Zum Beispiel: „Wie zufrieden sind Sie mit unserer Zusammenarbeit, auf einer Skala von 0 bis 100?“ Lautet die Antwort 70, dann fragen Sie, was Sie tun müssten, um auf 100 Punkte zu kommen. Der Charme solcher Fragen: Statt Kritik formuliert der Mitarbeiter Verbesserungsvorschläge – das fällt den meisten deutlich leichter.
Doch genau deshalb ist Kritik so heikel. Werke und Ideen, die wir selbst geschaffen haben, sind unmittelbar mit uns verbunden. Niemand mag es, wenn seine Kreationen verurteilt werden. Deshalb lassen die meisten Kritik an sich abprallen oder ignorieren sie. Für Unternehmen ist das jedoch verheerend. Denn in einer Umgebung, in der alle alles toll finden, gedeiht sicher vieles – aber keine Exzellenz.
"Kritik hat viel mit Vertrauen zu tun"
„Kritik ist wichtig, um Entscheidungen korrigieren zu können – das gilt vor allem für Unternehmen“, sagt Judith Volmer. Sie ist Professorin für Arbeitspsychologie an der Universität Bamberg. „Ohne Feedback können wir uns nicht weiterentwickeln“, sagt die Wissenschaftlerin. Das heißt: Wer erfolgreich sein will, der ist auf Kritik angewiesen. Aber wie kann man eine Kultur, die für konstruktives Feedback empfänglich ist, in Unternehmen etablieren?
In den Büros der Reisesuchmaschine Trivago geht es entspannt zu: Jeder trägt Jeans, Sweatshirt und Sneakers. Auch Rolf Schrömgens, Mitgründer und mittlerweile Co-CEO. Er kommt gerade von einer Begrüßung für neue Mitarbeiter, statt Anzug und Krawatte trägt er Pullover. Auch sonst mag es Schrömgens eher unkonventionell. Wenn er seine Mitarbeiter fragt, wo sie zuletzt die Tür geknallt haben, dann will er nur eine Antwort hören: „Bei Trivago.“ Auch den neuen Kollegen hat er diese Frage gestellt. „Die meisten Menschen trauen sich nur zu Hause, richtig Kontra zu geben“, sagt Schrömgens. „Denn Kritik hat viel mit Vertrauen zu tun.“ Er ist überzeugt: Je offener Kritik im Büro ausgesprochen wird, umso vertrauensvoller das Miteinander.
Für die Feedback-Kultur ist der Chef zuständig
In Start-up-Zeiten war Kritik bei Trivago einfach. Wenige Mitarbeiter, die Hierarchie flach, jeder kannte jeden. 2016 sieht das anders aus: Mittlerweile arbeiten bei Trivago 950 Angestellte, der Onlinereiseriese Expedia hält die Mehrheit. Doch Schrömgens will das Start-up-Gefühl erhalten und eine offene Feedbackkultur fördern. Deshalb stehen alle Mitarbeiter auf der gleichen Stufe. „Titel verhindern Augenhöhe“, sagt Schrömgens, „das manifestiert Entscheidungsmacht qua Amt.“ Er findet, dass die besten Argumente zählen sollten, nicht die höchste Position.
Die Angestellten sollen sich weiterhin trauen, ihn auf Fehler hinzuweisen. „Wenn die Mitarbeiter nicht sagen, was ihrer Meinung nach falsch läuft, dann habe ich ein Riesenproblem.“ Er brauche die Kritik, um von Fehlentwicklungen zu erfahren. Schrömgens hat verstanden, dass für die Feedbackkultur vor allem der Chef zuständig ist: „Wichtig ist, dass Vorgesetzte Kritikfähigkeit vorleben und sich aktiv Feedback einholen“, sagt auch Psychologin Volmer.
So werden Sie in Ihrem Unternehmer zum Konfliktlöser
Der unternehmensinterne Konfliktmoderator sollte professionell trainiert sein. Die Lektüre von Fachtexten zum Konfliktmanagement kann hilfreiche Impulse liefern. Sie kann aber eine professionelle Qualifikation nicht ersetzen. Als Konfliktmoderator ist es entscheidend, auch die psychischen Prozesse des Konfliktes zu erkennen und zu berücksichtigen. Wer das nicht kann, muss sich entweder weiterbilden oder einen externen Experten beauftragen.
Quelle: Institut für Konfliktmanagement und Führungskommunikation (www.ikuf.de).
Der Vorteil eines unternehmensexternen Konfliktmoderators ist, dass dieser in den meisten Fällen ein größeres, fachspezifisches Know-how hat und in der Begleitung von Konfliktmoderationsprozessen geübter ist. Außerdem wird eine externe Person eher als überparteilich wahrgenommen – und nicht als „verlängerter Arm“ der Geschäftsführung. Dies ist unter anderem bei der Moderation von Konflikten zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern relevant.
Es ist wichtig, wie der Anlass einer Konfliktmoderation kommuniziert wird – insbesondere wenn die Mitwirkung der Streitenden nicht freiwillig ist. Stellen Sie keine Problembeschreibungen in den Vordergrund, sondern positive Ziele des Konfliktmoderationsprozesses, für deren Erreichen sich Mitmachen und auch Anstrengungen lohnen.
Setzen Sie sich in Ihrem Unternehmen für eine konstruktive Fehler-Kultur ein, die Fehler nicht als Schuldfrage behandelt, sondern als Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Sie verhindern dadurch, dass Konflikte von Führungskräften „unter den Teppich gekehrt werden“ und die Illusion eines konfliktfreien Unternehmens entsteht.
Wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitern Rückmeldungen über deren Leistungen geben, sind dies Situationen, die leicht zu Konflikten führen können. Bilden Sie Ihre Führungskräfte in der Feedback-Kommunikation fort, damit diese konfliktvorbeugend und auch deeskalierend handeln können.
Sicher, mit seinen speziellen Methoden ist Schrömgens eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt. In den meisten Chefetagen ist Kritikfähigkeit selten. Das hat Roland Jäger, Coach aus Wiesbaden, schon oft erlebt. Mitarbeiter seien untereinander meist ehrlich und offen: „Aber je höher man in der Hierarchie kommt, desto taktischer und politischer wird die Kritik.“ Dabei erlebt Jäger in seiner Tätigkeit immer wieder, dass Menschen mit jeder Karrierestufe mehr an Kritikfähigkeit verlieren und sich zunehmend mit Ja-Sagern umgeben.
Wer erfolgreich ist, macht keine Fehler
Offenbar besteht zwischen Kritikunfähigkeit und der Karriereleiter eine ungesunde Verbindung: Der eigene Erfolg bestärkt die Führungskraft darin, dass ihre Worte und Taten richtig sind – und die Mitarbeiter trauen sich aufgrund der vermittelten Unfehlbarkeit nicht mehr, Kritik zu äußern. „Führungskräfte grenzen sich zudem häufig selbst von Kritik ab“, sagt Jäger, „alles andere würde das eigene Selbstverständnis erschüttern.“ Wer erfolgreich ist, macht keine Fehler – ein häufiger Trugschluss.
Manchmal ist es aber gar nicht so sehr der Chef, der Kritik nicht ermöglicht, sondern die buchstäbliche Schere im Kopf der Mitarbeiter. Viele befürchteten einen Karriereknick, sagt Coach Jäger, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gibt. Motto: Lieber schweigen als etwas riskieren. Umso wichtiger ist es also, dass Führungskräfte ehrliche Kritik von den Angestellten aktiv einfordern.
Manöverkritik bei jedem Einsatz
Eine Möglichkeit ist es, sie in die Arbeitsroutine einzubinden. Wie das geht, kann man sich von Norbert Wesseler abgucken. Er ist Chef des Polizeipräsidiums in Düsseldorf. Rund 3000 Beamte arbeiten hier, im vergangenen Jahr gab es über 240.000 Einsätze. „Ich bin selten dabei, daher bin ich natürlich auf Kritik angewiesen. Das ist ein wichtiges Korrektiv unserer Arbeit“, sagt Wesseler. Die Manöverkritik nach jedem Einsatz gehört zur wichtigsten Informationsquelle. Was war gut? Was hätte besser laufen können? Und was muss dafür künftig verändert werden?
Unfaire Kritik ist am schlimmsten
Dazu kommt zahlreiche Kritik von außen. Zu rabiat, zu nachsichtig, zu selbstgerecht – so lauten die Vorwürfe nach Polizeieinsätzen häufig. Deshalb gibt es eine eigene Abteilung, die sich mit externen Beschwerden auseinandersetzt. Jede landet auf Wesselers Schreibtisch, im vergangenen Jahr waren es 320. „Wenn der gleiche Beamte in mehreren Beschwerden auftaucht, schauen wir uns den genauer an“, sagt Wesseler. Für ihn ist Kritik zentral, um Betriebsblindheit auszuschließen – und nicht zuletzt als Teil seiner Karriereplanung: „Natürlich muss ich jederzeit damit rechnen, meinen Kopf hinzuhalten – ganz gleich, ob ich konkret etwas dafür kann oder nicht“, sagt Wesseler.
Den Umgang mit ungerechten Vorwürfen musste er allerdings erst lernen. Drei Wochen nach seinem Jobantritt thematisierte die „Bild“-Zeitung seine Freizeitgestaltung: „Wirbel um Urlaub des neuen Polizeipräsidenten – an Karneval fliegt er nach Venedig“. Die Botschaft war klar: Wesseler lässt seine Truppe im Stich. „Das hat mich sehr getroffen. Nicht nur, weil es so ungerechtfertigt war. Sondern weil das viele Leute unreflektiert lesen“, sagt Wesseler.
Fünf Regeln für sinnvolle Kritik
Selbstbewusste Menschen lassen sich durch negative Kritik motivieren, bei unsicheren bewirkt sie oft das Gegenteil – und muss daher vorsichtiger geäußert werden.
Je genauer die Kritik, desto sachlicher wirkt sie. Und erleichtert es dem Kritisierten, damit umzugehen.
Wer kritisiert, muss deutlich machen, dass es sich um eine persönliche Sichtweise handelt. Das Wort „Du“ also bitte durch „Ich“ ersetzen. Dass andere Kollegen ein Problem ähnlich sehen, ist unwichtig.
Im Meeting geärgert, schon dem Kollegen eine böse E-Mail geschickt. Falsch! Lieber den Ärger sacken lassen – und abwarten, bis sachlich über ein Vorkommnis gesprochen werden kann.
Jeder sollte die Chance bekommen, es besser zu machen – und das sollte der Chef auch wertschätzen. Korrekturen durch Lob anzuerkennen ist gut für die Unternehmenskultur – und das Selbstbewusstsein des Mitarbeiters.
Auch Intendantin Votteler kennt das: Als ein Kritiker eine Inszenierung als „riesengroßen Kaiserschmarrn“ betitelte, wurde anschließend nur die Hälfte der Tickets verkauft. Unfaire Kritik sei am schlimmsten: „Wenn jemand nicht auf konkrete Details eingeht, sondern einfach nur einen Verriss schreiben will, ärgert mich das am meisten“, sagt Votteler.
Beschimpfen ist nicht gleich kritisieren
Die Herausforderung für Unternehmenschefs besteht vor allem darin, die konstruktive Kritik von der destruktiven Beschimpfung zu unterscheiden. „Wenn eine Person permanent schlechtes Feedback gibt, hält das den Zielfortschritt auf“, sagt Psychologin Volmer, „ewiges Jammern hilft niemandem.“ Polizeipräsident Wesseler hat inzwischen ein feines Gespür entwickelt: „Je konkreter und spezifischer die Kritik, desto relevanter ist sie meistens.“ Denn es gibt durchaus Vorwürfe, die er weniger ernst nimmt.
Wenn er Muslimen einen friedlichen Ramadan wünscht, erhält er rechtsgesinnte Protestbriefe; nach jeder Demonstration kommen Vorwürfe, die Polizei schütze die Falschen. „Solch erwartbare Kritik tut nicht so weh. Weil man genau weiß, aus welcher Richtung sie kommt“, sagt er. Da gehe es letztlich nicht um die Polizeiarbeit, sondern um politischen Unmut, darum, Frust über einen Strafzettel zu bewältigen, oder um generelle Abneigung gegenüber seiner Berufsgruppe.
Über ungerechte Kritik lachen können, hilft
Doch Aktivisten, Internetkommentatoren oder emotionale Zuschauer nehmen in der Regel keine Rücksicht. „Man bekommt ein dickes Fell“, sagt Wesseler nach vier Jahren als Polizeipräsident. Verständlich, einerseits. Andererseits steigt dadurch die Gefahr der Abschottung – dass Menschen in exponierten Positionen keine Kritik mehr an sich heranlassen, weil sie ohnehin bösen Willen unterstellen. Auch das wäre fatal.
Dagegen wehrt sich die Theaterchefin mit einer eigenen Strategie: Sie hat ein Team enger Mitarbeiter, das sich der Kritik gemeinsam stellt. „Dadurch lassen wir uns nicht so leicht aus der Fassung bringen.“ Andere Künstler rufen sofort Journalisten an, wenn etwas über sie in der Zeitung steht. Sie teilt ihren Ärger lieber mit anderen und überlegt sich in Ruhe, wie sie die Rückmeldung einzuordnen hat. Und nicht zuletzt spricht noch etwas anderes dafür, Feedback mit anderen zu teilen: „Im Team lachen wir auch viel über Kritik“, sagt Votteler, „und dann ist der erste Ärger sofort verflogen.“