Die Clanwirtschaft Wenn Familien gemeinsam ein Unternehmen leiten

Familienunternehmen: Theoretisch ideal, praktisch schwierig Quelle: Foto: Picture-Alliance/DPA/Bernd Thissen

Ehepaare, Geschwister oder Eltern mit ihren Kindern führen gemeinsam einen Betrieb: für viele unvorstellbar? Der Firma kann es tatsächlich helfen – oder aber den Untergang beschleunigen.

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Nachts um eins geht das Licht an. Dann beginnt Andreas Mayer, Produktionschef der gleichnamigen Großbäckerei, seinen Arbeitstag in der Backstube. Um fünf Uhr bekommt er Gesellschaft von seinem Vater Gebhard Mayer, Geschäftsführer des 250-Mitarbeiter-Unternehmens. Der hat es nicht weit ins Geschäft: Er lebt mit seiner Frau in einer Wohnung oberhalb der Werkshallen in Isny.

Im Jahr 1872 bauten die Großeltern von Gebhard Mayer den Stammsitz der Bäckerei im Allgäu. Auch im Alter von 70 ist der Seniorchef stets der Erste im Büro, deshalb nimmt er auch die morgendlichen Anrufe von Kunden und Lieferanten entgegen.

Um sieben Uhr rückt Verstärkung an: Die Schwestern Seraphine und Bernadette lösen ihren Bruder Andreas ab und übernehmen für den Rest des Tages die Leitung des Familienbetriebs; Schwager Sascha Scheunert kümmert sich um die Logistik. Und noch etwas später bekommt die fünfte Generation in der Führung des Familienunternehmens noch Unterstützung von Tante Lukretia. Sie leitet den Vertrieb.

Mit der Plastikgans auf dem Basar

Die ganze Familie unter einem Firmendach, von morgens bis abends zusammenarbeiten mit Geschwistern, Eltern, Tante, Schwager: Kann das wirklich gut gehen? „Bei uns klappt’s“, sagt Seraphine Mayer-Wagner. Die Zahlen geben ihr recht: Die Bäckerei wächst und gedeiht. 27 Filialen hat das Unternehmen in der Region bereits. Bald sollen weitere folgen. Auch der neue Onlineshop läuft gut. Noch ist Vater Gebhard Mayer die letzte Instanz bei allen Entscheidungen. In Kürze jedoch wird Tochter Seraphine, die Betriebswirtin, gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Bäckermeister, und ihrer Schwester, einer Ernährungsberaterin, als Dreier-Spitze die Geschäftsführung übernehmen.

Theoretisch ideal, praktisch schwierig

Gegründet und aufgebaut von einem Unternehmerpaar, später gemeinsam geleitet von Seniorchefs mit einem oder mehreren Kindern, schließlich vertrauensvoll übergeben in die Hände von Geschwister- oder Ehepaaren, die das Unternehmen weiterführen: Solche Führungskonstellationen und -abfolgen finden sich in Familienunternehmen häufig – und sie genießen einen erheblichen Imagevorsprung.

Einer Forsa-Umfrage zufolge vertrauen 88 Prozent der Deutschen eher Familienunternehmen als Konzernen. Dem viel diskutierten Mittelstand geht es scheinbar viel stärker um das Wohl am Arbeitsplatz und die Gemeinschaft als vermeintlich anonymen Großkonzernen.

Und tatsächlich, selbst in Krisenzeiten bleiben Familienunternehmen standhaft. Laut einer Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) stockten die 500 größten Familienunternehmen zwischen 2006 und 2008 ihre inländische Belegschaft um etwa 100.000 Stellen auf, während jene 26 Dax-Konzerne, die nicht in Familienhand waren, etwa 100.000 Stellen abbauten.

Doch was sich so romantisch anhört, ist in Wahrheit mindestens eine Herausforderung. Wenn sich private und geschäftliche Rollen, Ziele und Werte miteinander vermischen, kann der Faktor Familie auch eine belastende Hypothek sein. Konfliktpotenzial gibt es oft genug. Eine Scheidung der Ehepartner, ein Streit unter Brüdern und Schwestern, Misstrauen und Neid zwischen Kindern und Eltern: Wenn es zwischen Verwandten zum Zwist kommt, leidet darunter meist auch das gemeinsame Unternehmen.

Prominente Beispiele gibt es genug. Der Dauerstreit zwischen Clemens Tönnies und seinem Neffen Robert zum Beispiel hielt den Fleischkonzern aus Rheda-Wiedenbrück jahrelang in Atem – bis zur demonstrativen Versöhnung im April 2017. Babette Albrecht wiederum, Schwiegertochter des Aldi-Nord-Gründers Theo Albrecht, streitet mit ihrem Schwager um die Macht im Discounterreich. Und weil Kaffeekönig Albert Darboven offenbar mit allen Mitteln verhindern will, dass sein Sohn Arthur Ernesto ihm nachfolgt, soll er sogar die Adoption eines Erben der Rösterdynastie Jacobs erwägen. Wann genau ist Familie also ein Erfolgs-, wann ein Risikofaktor?

Sinnvolle Partnerschaft

Dieser Frage sind auch Wissenschaftler um Miriam Bird und Thomas Zellweger vom Center for Family Business der Universität St. Gallen nachgegangen. Für ihre im März veröffentlichte Studie werteten sie Geschäftsdaten von rund 5000 schwedischen Familienunternehmen der Jahre 2004 bis 2007 aus und stellten fest: Von Ehepaaren geführte Unternehmen wuchsen stärker als Firmen einer Vergleichsgruppe. Von Geschwistern geführte Unternehmen wuchsen hingegen unterdurchschnittlich. Vertrauen, gemeinsame Ziele und Werte, das Gefühl, sich gegenseitig verpflichtet zu sein – bei Ehepaaren sind diese Faktoren offenbar stärker ausgeprägt als bei Brüdern und Schwestern.

Plausibel, findet Beraterin Cornelia Maetschke-Biersack, Fachanwältin für Familienrecht in der Düsseldorfer Kanzlei Taylor Wessing: „Die Geschwisterkonstellation in der Führung bringt oft Konflikte mit sich, weil diese Führungspartnerschaften oft nicht vollständig selbst gewählt sind.“

Häufig seien die Eltern die treibende Kraft hinter der Nachfolgelösung; die Geschwister müssten irgendwie miteinander klarkommen. Anders als Ehepaare, die auch im Privaten gemeinsame finanzielle Interessen einen, haben Geschwisterpaare auch die Interessen ihrer eigenen Familienstämme zu bedenken – womit eine Rivalität beim Blick auf Unternehmensanteile und Auszahlungen der Geschäftsführer einhergeht.

Außerdem beobachtet Maetschke-Biersack oft lange schwelende Konflikte: Die eine fühlte sich schon immer vom Vater benachteiligt und will das als Nummer eins in der Unternehmensleitung kompensieren ... Der andere meint sich besser ausgebildet und will daher mehr Einfluss. „Besonders schwierig sind Konstellationen, in denen zwei Geschwister jeweils 50 Prozent der Anteile und Stimmrechte innehaben und sich somit gegenseitig blockieren können“, sagt Maetschke-Biersack.

In solchen Fällen sei ein Beirat mit einem Minderheitsanteil oder einem Vetorecht hilfreich. Doch auch so ein Beirat hat seine Tücken. Denn mausert er sich zu einer Art finalen Entscheidungsinstanz, kann das für den Unternehmenserfolg hinderlich sein. Die Anwältin weiß: Wenn es dumm läuft, setzt sich ein schlechtes Geschwisterverhältnis über Generationen fort. Dann bilden sich verfeindete Familienstämme, die im Aufsichtsrat oder in der Führung um Einfluss kämpfen.

Rechtlich absichern

Also doch lieber nur einem Kind die Unternehmensleitung überlassen – und das am besten im Gespann mit dem Ehepartner? Auch bei dieser Konstellation rät die Expertin zur Vorsicht.

Sie weiß: „Bei Unternehmerpaaren kommt es stark darauf an, wie es zu der gemeinsamen Führung gekommen ist.“ Hat das Paar gemeinsam gegründet? Oder hat ein Partner den anderen mit in die Führung geholt? Gibt es eine sinnvolle Aufgabenteilung, die sich aus den fachlichen Qualifikationen der Ehepartner ergibt – oder wurde der Partner nur dazu geholt, weil es aus privaten Gründen praktisch erschien? Paare, die gemeinsam die Leitung eines Unternehmens übernehmen, müssen sich sehr genau über ihre Rollenverteilung klar werden – und sich fragen, wie sich diese Rollen verbinden lassen.

Und was passiert, wenn das Paar Kinder bekommt? Zieht sie oder er sich dann ganz oder teilweise aus der Unternehmensführung zurück? Soll er oder sie in diesem Fall Mitsprache- und Gewinnbeteiligungsrechte im Unternehmen behalten? Oder wollen beide Partner privat und im Unternehmen gleichermaßen Verantwortung übernehmen? „Es ist sinnvoll, solche Fragen in zusätzlichen Vertragswerken wie etwa einem Ehevertrag oder einer Beteiligungsvereinbarung zu klären“, sagt die Familienanwältin.

Manches Risiko lässt sich aber bei Unternehmerpaaren kaum rechtlich absichern. Ob man trotz eines privaten Zerwürfnisses gemeinsam weiterarbeiten kann oder nicht, ob einer der Partner nach einer emotionalen Trennung wie vereinbart klaglos dem anderen die Führung überlassen und sich zurückziehen kann – all das lässt sich schwer vorhersagen. Aber so viel weiß Maetschke-Biersack: „Nach einer Scheidung ist in aller Regel nicht nur die Ehe, sondern auch die gemeinsame Unternehmensführung Geschichte.“

Wie glimpflich der daraus resultierende Führungswechsel für das Unternehmen ausgeht, hänge letztlich davon ab, ob die Partner das Wohl des Unternehmens über die privaten Interessen und Konflikte stellen können. Sonst legen am Ende womöglich Richter fest, wie es mit dem Unternehmen weitergeht.

Früher Einstieg

Auch wegen solcher Risiken gibt es nur noch sehr selten Ehepaare, die gemeinsam führen. Das weiß auch Dominik von Au, Geschäftsführer der Intes Akademie für Familienunternehmen: „Die gemeinsame operative Führung birgt zu viel Konfliktpotenzial.“ Die Geschwisterkonstellation sei ebenfalls strittig. „Das Konfliktpotenzial haben viele Unternehmen und Familien schon einmal selbst erlebt“, sagt von Au.

Unkritischer würden hingegen viele ein Eltern-Kind-Gespann in der Führung sehen. Von Au empfiehlt, dass manche Kinder möglichst früh ins Unternehmen einsteigen, um dann in der ersten oder zweiten Führungsreihe gemeinsam mit Vater oder Mutter zu führen und Schritt für Schritt Verantwortung zu übernehmen – bis irgendwann die tatsächliche Nachfolge ansteht.

Der Intes-Berater warnt allerdings vor langfristig angelegten Führungstandems. Eltern-Kind-Gespanne sollten maximal über eine begrenzte Zeit als Übergangslösung zum Einsatz kommen. Denn die Erfahrung lehrt: Wenn Eltern und Kinder allzu lange auf Augenhöhe oder mit dem Kind auf Platz zwei zusammenarbeiten, führt das über kurz oder lang zu Konflikten. Bei Juniorchefs ohne volle Verantwortung steigt langfristig das Frustpotenzial – und Mitarbeiter geraten nicht selten in Loyalitätskonflikte. Senior oder Junior – wer hat denn nun das Sagen? Das fragen sich nicht nur verunsicherte Nachfolger, sondern auch Mitarbeiter und Geschäftspartner. Die Autorität des Juniors wird dadurch meist nachhaltig geschwächt.

Da hilft es auch nicht, dem Nachwuchs formell die Führungsrolle im Tandem zuzuschreiben, während der Vater offiziell in die zweite Reihe tritt. Jörg Rosenberger, systemischer Organisationsberater aus Ostwestfalen, erlebt es immer wieder. Formell würden alle Aufgaben und Verantwortlichkeiten sauber vertraglich geregelt, dennoch kommt es ständig zu Spannungen und Konflikten, weil informelle und private Rollen diese offiziellen Regeln überlagern. Es sei eben schwer, den Menschen vom Amt zu trennen. Das führe oft zu Situationen, in denen Mitarbeiter mehr auf „den Alten“ hörten als auf den Junior, weil er nach wie vor die größere Autorität besitze. Der Senior wiederum fühle sich in seiner Vaterrolle weiterhin als Nummer eins – auch wenn er formell Verantwortung abgegeben habe.

Gemeinsamkeiten betonen

Eine klare Trennung zwischen privater und geschäftlicher Beziehung könne man sich zwar vornehmen. „Aber ich halte es langfristig für sinnvoller, anzuerkennen, dass es immer Wechselwirkungen und Überschneidungen von Rollen, Funktionen und Biografien gibt“, sagt Rosenberger.

Diese Nebenwirkungen der Familienbande einfach zu ignorieren und totzuschweigen führe nur zu lange schwelenden Konflikten, die langfristig Familie und Unternehmen schaden. „Sinnvoller ist es, auch private Themen regelmäßig gezielt anzusprechen und sich immer wieder zu fragen: Was sind unsere gemeinsamen Werte, wie wollen wir miteinander umgehen? Was ist uns wichtig?“

So hält es auch die Unternehmerfamilie hinter der Drogeriekette Budnikowsky, sagt Seniorchef Christoph Wöhlke: „Die Kinder haben sich selbst sehr früh als natürlichen Teil des Unternehmens erlebt.“ Heute sind alle drei in leitender Position im Unternehmen tätig, Wöhlke senior will sich bald zurückziehen. Konflikte seien in einem Familienunternehmen unvermeidbar. „Streit ist sogar notwendig. Das im Privaten beiseitezulegen geht nicht immer, aber immer öfter“, sagt Wöhlke. „Wir streiten uns, aber wir vertragen uns auch wieder. In beidem sind wir inzwischen richtig gut.“

Wer das Beziehungskapital der Familienbande für das Unternehmen nutzen und es mehren will, muss also in die Qualität dieser Beziehungen investieren und auch private Konflikte aushalten. „Speziell in Krisensituationen zahlt sich dieses Investment aus“, sagt Rosenberger. Denn in Familienunternehmen gelte meist: Wenn es drauf ankommt, halten wir zusammen.

Auch in der Bäckersfamilie Mayer nehmen sie es mit der Arbeit am Beziehungskapital ganz genau. Motto: Je enger die privaten Beziehungen, desto besser läuft es in der Firma. „Meine Schwester und ihr Mann leben mit meinen Eltern gemeinsam im Stammhaus der Bäckerei“, sagt die angehende Co-Chefin Seraphine Mayer-Wagner. „Wir verbringen alle nach Feierabend und am Wochenende viel Zeit miteinander, auch mit der erweiterten Familie.“ Der Vorteil, wenn man so viel Zeit teile, wenn alle mitredeten im Familienbetrieb: „Wir haben zwar jeder einen eigenen Fachbereich, arbeiten aber grundsätzlich nach dem alten Prinzip in Handwerksbetrieben: Jeder kann alles, jeder kennt sich mit allen Bereichen aus, jeder kann für die anderen einspringen.“

Bald soll ein Neubau den 140 Jahre alten Stammsitz des Familienunternehmens ersetzen. Ein Problem? Jedenfalls hat „da jeder seine eigene Meinung, wie viel Risiko wir eingehen können und dürfen“, sagt Mayer-Wagner, die mit 27 Jahren jüngstes Familienmitglied in der Unternehmensleitung ist.

In einem neuen Gesellschaftsvertrag will die Familie alle Eventualitäten regeln: Was ist, wenn eines der Geschwister aus der Führung aussteigen oder kürzer treten will? Wer darf in strittigen Situationen entscheiden? Doch allzu detailliert sollen die Vertragswerke auch nicht geraten: „Letztlich hilft es uns nicht, wenn in irgendeinem Paragrafen steht, was zu tun ist“, sagt Mayer-Wagner: „Miteinander reden und miteinander eine Lösung finden müssen wir trotzdem.“

Auch wenn es mal Reibungspunkte gebe: „Wir haben alle klare gemeinsame Vorstellungen davon, wie wir miteinander arbeiten und umgehen wollen und wo es mit dem Unternehmen hingehen soll.“ Und das sei das Wichtigste.

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