
Während Gründer hier in Deutschland stolz darauf sind, für Branchenführer wie Bosch, Adidas oder Audi zu arbeiten, arbeiten im Silicon Valley die Unternehmer daran, möglichst große Branchen zu zerstören. MyTaxi sieht die Taxifahrer als Partner und verdient ein paar Millionen. Travis Kalanick will als CEO von Uber dagegen 100 Millionen Taxifahrer arbeitslos machen. Sein Unternehmen wird mit 40 Milliarden Dollar bewertet.
Gemeinsam ist den Managern in beiden Unternehmen, dass sie die disruptive Kraft des Internets verstanden haben, aber im Vorleben die Taxibranche nur als Fahrgast kannten. Sie sind keine Branchenkenner.

Vor diesem Hintergrund hat mich ein Gespräch, das ich vor kurzem hatte, sehr nachdenklich gemacht. Ich fragte einen Personalberater, was in diesen Zeiten denn von seinen Kunden an Skills nachgefragt wird. Seine Antwort war eindeutig: Branchenkenntnis, Branchenkenntnis und noch einmal Branchenkenntnis.
Die Branchengrenzen verschwimmen
Wenn man sich Gedanken darüber macht, wie die Unternehmen in Deutschland die anstehenden digitalen Transformationsprozesse meistern, ist das keine gute Nachricht. Denn Branchenkenntnis allein hilft nicht, die Herausforderungen zu meistern, vor denen die Unternehmen durch das Internet stehen. Branchen und Märkte werden durch die weltweite Vernetzung transformiert, viele wachsen zusammen. Die Branchengrenzen verschwimmen.





Und auf die Frage, wie man als klassisches Unternehmen gegen die Musterbrecher aus dem Silicon Valley bestehen kann, bietet Branchenkenntnis auch keine Antwort. Schon gar nicht, wenn zum Beispiel – wie vor Kurzem in einem Gespräch - ein Vertreter einer Branche wie der Wohnungswirtschaft geradezu damit kokettiert, dass man als Branche konservativ ist. Ich verstehe die Notwendigkeit, Gebäude auf 50 Jahre auszulegen. Aber der Internet-Ökonomie ist es egal, welches Selbstverständnis ein Unternehmen oder eine Branche entwickelt hat. Sie entfesselt auch ungefragt ihre Dynamik.
Führungskräfte vom direkten Wettbewerber werden bevorzugt
Deswegen bin ich skeptisch, wenn Unternehmen nur auf Know-how aus der eigenen Branche setzen und zum Beispiel offene Führungspositionen unbedingt mit Menschen besetzen wollen, die von einem direkten Wettbewerber kommen.
Das Muster entdecke ich in meinen Workshops für Unternehmen wie die für Bosch, Daimler oder Otto auch auf anderen Ebenen immer wieder: etwa werde ich oft gebeten, Beispiele für digitale Transformationsprozesse aus den jeweiligen Branchen zu liefern. Dabei hilft es eher, ein Verständnis für digitale Transformationsprozesse zu schaffen, wenn man sich an den Erfolgsrezepten der Digital-Unternehmen aus dem Silicon Valley orientiert. Ich stelle beispielsweise in den Workshops vor, wie der Online-Videodienst Netflix blitzschnell aus Fehlern lernt. Aus diesen Impulsen ziehen die Teilnehmer mehr Anregungen, um die Transformation im eigenen Unternehmen voranzutreiben.
Wer abguckt, rennt hinterher
Denn wer sich am Branchennachbarn orientiert, erarbeitet sich keinen Vorsprung. Im Gegenteil - wer bei schnellen Veränderungsprozessen wie der digitalen Transformation auf etablierte Wettbewerber schaut, läuft automatisch hinterher. In den digitalen Winner-takes-all-Märkten läuft man dadurch Gefahr, Chancen, die der digitale Wandel zum Aufbau neuer Kundenbeziehungen, Organisationsformen und Geschäftsmodelle bietet, zu verpassen.
Ebenso bin ich davon überzeugt, dass es wenig nützt, sich personelle Erneuerungsimpulse von einem Wechsel eines Branchen-Insiders von einem Konkurrenten zum anderen zu erhoffen. Der visionärste Vordenker eines Automobilzulieferers wird bei einem anderen Automobilzulieferer nur Erfolgsrezepte aus seinem Erfahrungsschatz präsentieren können.
Wie Pizza zu Modegeschäft passt
Ein Fachmann, der den digitalen Wandel in seiner alten Branche schon gestaltet hat, wird dagegen ein klassisches Unternehmen verstärken und bringt ganz andere Perspektiven und Impulse mit, um sich an den digitalen Wettbewerb von heute anzupassen.
Ein Fashion-Unternehmen bestellte übrigens gerade einen CIO, der zuvor im Online-Pizzahandel in den Amerika erfolgreich war. Ich halte das für ein extrem kluges Manöver. Denn diese neue Führungskraft bringt das Wissen aus einer Branche mit, bei der die digitale Transformation weiter fortgeschritten ist als in dem europäischen Mode-Markt. Der neue CIO kann mit seinem Know-how Geschäftsmodelle und Prozesse prägen. Muss er sich mit Mode auskennen? Nein, das muss er nicht. Denn dieses Know-how gibt es dort bereits reichlich. Neues Wissen muss hinzukommen, damit die digitale Transformation gelingt.
Und im Zweifel wird die Pizza schneller kalt als die Mode alt.