"Immer mehr Unternehmen – auch im Mittelstand – haben erkannt, dass sie sich mit der Digitalisierung beschäftigen müssen. Und sobald diese Unternehmen das auch wirklich in Angriff nehmen wollen, kommt der Reflex, zu sagen: Wir suchen uns einen CDO und der macht das dann", sagt Uwe Gehrmann. Er ist Partner und Leiter der Praxisgruppen IT und Innovation bei der Managementberatung Atreus. "Die Gefahr ist immer, dass ein Unternehmen einen CDO einsetzt und dann denkt, damit ist alles erledigt. Doch so wird es nicht funktionieren."
Zwar gebe es Fälle, wo ein Hauptverantwortlicher, der den gesamten digitalen Prozess eines Unternehmens im Blick hat – Gehrmann spricht vom digitalen Projektleiter ist - sinnvoll sein könne. Er sagt jedoch ganz klar: "Meines Erachtens nach braucht es keinen CDO."
Umsetzer statt Impulsgeber
Viel wichtiger sei es, dass sich der CEO und der Vorstand gemeinsam überlegen, was Digitalisierung für ihr Unternehmen bedeutet - sowohl in der Gegenwart, als auch in der näheren Zukunft. "Daraus lässt sich eine konzeptionelle Ausgestaltung ableiten. Also: Was bedeutet das für die Produktion oder was bedeutet das für unseren Markt? Daraus entsteht eine digitale Roadmap."
So entwickeln Sie die richtige Digitalstrategie
Bernd Holitzner ist seit 2010 Geschäftsführer des Beratungsunternehmens menovo GmbH, das sich auf Automation, Optimierung und Beratung von Geschäftsprozessen spezialisiert hat.
Er rät: "Ermitteln Sie den aktuellen Prozessablauf – über Abteilungsgrenzen hinweg. Stellen Sie Start- und Endpunkt des Gesamtprozesses fest und definieren Sie Haupt- und Subprozesse. Zum Schluss eruieren Sie die verwendeten Tools. Wahrscheinlich haben Sie erste Schwachstellen und Optimierungspotenziale aufgedeckt. Jetzt können Sie sich vergewissern, ob die gestellte Anforderung diese berücksichtigt."
"Prüfen Sie, ob die Anforderung die Unternehmensstrategie berücksichtigt. Ein Beispiel ist der Onboarding-Prozess. Die IT-Abteilung erwartet, dass Software installiert und Berechtigungen angelegt werden. Die Unternehmensstrategie fordert, dass der Prozess effizienter wird. Diese Bedürfnisse müssen Sie in Einklang bringen."
"Analysieren Sie die Optimierungspotenziale des aktuellen Prozesses. Das sind Prozessschritte, die die Unternehmensstrategie nicht unterstützen. Wenn Sie eine fundierte Auswertung benötigen, führen Sie eine Prozesskennzahlenanalyse durch. Dokumentieren Sie die Optimierung anschließend detailliert."
"Anhand des Optimierungskonzeptes erkennen Sie, wo technische Unterstützung sinnvoll ist. Formulieren Sie, welchen Bedarf die Technik erfüllen soll. Soll die Fehleranfälligkeit im Dokumentenmanagement reduziert werden? Sollen Informationen firmenweit zugänglich werden?"
"Häufig existieren in Unternehmen Tools, die die Anforderungen erfüllen. Durch Kommunikationsdefizite oder mangelnde Prozesskenntnis werden diese nicht berücksichtigt. Überprüfen Sie genauer den Nutzen und die Potenziale der eingesetzten Tools. Erfüllen bestimmte Tools den Bedarf nicht? Dann untersuchen Sie mit der gleichen Akribie die Auswahl neuer Tools."
"Heutzutage ändert sich der Bedarf eines Unternehmens kontinuierlich. Stellen Sie sicher, dass Tools schnell und mit geringem Aufwand angepasst werden können. Zum Beispiel indem Funktionen via Konfiguration geändert werden können."
"Nachdem die Digitalisierung erfolgreich umgesetzt wurde, ist die größte Herausforderung, sie kontinuierlich anzupassen. Der digitale Prozess muss kontrolliert, hinterfragt und weiterentwickelt werden."
Erst wenn es die gäbe, könne man nach einem CDO suchen, wenn man denn dann überhaupt noch einen benötigt. Sonst sei ja vorher gar nicht klar, was dieser digitale Superman tun soll. "Digitalisieren Sie mal" lässt sich schlecht in einer Zielvereinbarung festhalten, geschweige denn, dass Erfolge messbar sind. Gehrmann: "Ein CDO ist vielmehr Umsetzer als Impulsgeber."
Er gibt ein Beispiel: "Wenn wir als Beispiel ein Unternehmen betrachten, das rein im B2B-Geschäft tätig ist und uns hier einen Digitalisierungsansatz für B2C überlegen – also wie kommt das Unternehmen weg von dem zwei oder dreistufigen Vermarktungsansatz und direkt hin zum Kunden, ist das ein CEO-Thema, weil es eine direkte Veränderung des Geschäftsmodells zur Folge hätte und nicht nur das Marketing beträfe. Ein CDO könnte hier nur überlegen, welche Ansprüche ein Kunde hat und wie und wo er kaufen will."
Fünf Typen von CDO
Was ihn auszeichnet: Er fokussiert sich auf die Entwicklung der digitalen Strategie und fördert Innovation im Unternehmen. Seine Kernaufgabe besteht darin, das existierende Geschäft durch den Einsatz von digitalen Technologien zu transformieren und auf dem Weg zu einem weitgehend digitalen Unternehmen neue Impulse zu geben.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Industrieunternehmen sowie eher traditionelle Betriebe in der Chemie-, Öl-, Gas- und Bergbau-Branche.
Was ihn auszeichnet: Im Gegensatz zum Progressive Thinker geht dieser CDO bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle mit einer zupackenden Mentalität vor, um neue Umsätze zu erschließen. Er bringt Ideen und Technologien von außerhalb der Industrie ins Unternehmen ein und fördert damit neues Denken. Er scheut auch nicht davor zurück, das existierende Geschäftsmodell zu kannibalisieren oder in Frage zu stellen.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Gerade für Unternehmen, die wegen der Digitalisierung vor extremen Veränderungen stehen – etwa verbraucherorientierte Branchen –, können sie eine wertvolle Stütze sein.
Was ihn auszeichnet: Er fokussiert sich vor allem auf die Kundenzufriedenheit und denkt marktorientiert. Er verbindet die digitale mit der analogen Welt und garantiert nahtlose Multichannel-Kundenerfahrung. Für ihn stehen der Online-Verkauf und weitere digitale Services rund um das physische Produkt im Vordergrund.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Das wahre Kundenbedürfnis ist stets sein zentraler Bezugspunkt. Daher ist er insbesondere für kundenorientierte Branchen wie Banken, Handel oder Tourismus geeignet.
Was ihn auszeichnet: Seine Vorgehensweise kommt der des innovativen und businessfokussierten Chief Information Officers oder Chief Technology Officers sehr nahe. Er ist davon überzeugt, dass der effiziente Einsatz digitaler Technologien eine Grundvoraussetzung für die Realisierung neuer (disruptiver) Geschäftsmodelle ist.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Für welche Unternehmen er sich eignet: Gerade Unternehmen aus der produzierenden Industrie, die ihre Lieferketten optimieren und digitale Technologien in ihren Fabriken einführen, profitieren von diesem Typus.
Was ihn auszeichnet: Er ist sicherlich der anspruchsvollste unter den fünf Archetypen, da er alle zentralen Aspekte der digitalen Transformation verantwortet und über Fachkenntnis in mehreren Bereichen verfügt: Marketing, Technologie und Change Management. Sein Arbeitsspektrum erstreckt sich von der Entwicklung digitaler Strategien und Geschäftsmodelle über digitales Marketing bis hin zur Implementierung neuester Technologien.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Er empfiehlt sich vor allem für all diejenigen Unternehmen – egal aus welcher Branche –, die bisher wenig in ihre digitale Transformation investiert haben und die dadurch den Anschluss verpassen könnten. Denn sie brauchen eine Führungskraft, die sich schnell und umfassend der digitalen Themen annimmt.
Doch auch hier winkt Marketingprofi Dholakia ab. "Ich bin da sehr skeptisch. Die Idee an sich ist ja gut, nur die Ausführung ist meistens falsch", sagt er. "Statt einem externen Heilsbringer, der das Unternehmen überhaupt nicht richtig kennt, sollten CEOs lieber in ihrem eigenen Unternehmen nach Leuten suchen, die nahe am Kunden und mit dem Unternehmen verwurzelt sind. Das kann der Marketing-Chef sein oder der Leiter der Finanzabteilung – es können aber auch genauso gut mehrere Personen sein."
Ein häufiger Fehler der Unternehmen ist laut ihm, dass viele gar keine Vorstellung haben, was der Digitalisierungsexperte tun soll, wenn das Unternehmen nun auch mobil seine Produkte und Dienstleistungen anbietet. "Wenn man sich unbedingt einen CDO von außen holen will, sollte man den so schnell ins Unternehmen integrieren, wie man kann. Denn ein guter CDO macht sich binnen drei Jahren selbst überflüssig. Also sollte man ihn zwar als CDO holen, aber dann zum Marketingexperten oder was auch immer machen, damit er über die Transformation hinaus eine Funktion hat."
Sonst sitzt der teure CDO nach einem halben Jahr in seinem Büro mit Panoramablick und dreht Däumchen. Vorausgesetzt, er hatte vorher mehr zu tun. Denn oftmals ist nicht nur dem Vorstand gar nicht so recht klar, was der CDO eigentlich tun soll, sondern auch den Mitarbeitern nicht.