Diversität im Unternehmen Das Märchen von der Offenheit deutscher Großkonzerne

Quelle: dpa

Top-Manager singen allzu gerne das hohe Lied der Diversität. In der Praxis tun sie alles, um eine möglichst uniforme Belegschaft zu bekommen.

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Am Wochenende hat sich wieder ein Manager den günstigen Applaus abgeholt. Nachdem die Chef-Angreifer ihrer Parteien Paul Ziemak (CDU) und Kevin Kühnert (SPD) in einer Talkshow ihre biografische Gemeinsamkeit eines abgebrochenen Studiums entdeckt hatten, kommentierte Marc-Oliver Nandy, Top-Manager bei Daimler, via LinkedIn mitfühlend: Er habe schon „Leute mit disruptiven CVs“ – also ungewöhnlichen Lebensläufen – „kennengelernt, die mich extrem beeindruckt haben.“ Was daraus folge? „Ein Studium ist eine Chance zu lernen, doch es kommt auch sehr auf Motivation, Persönlichkeit, Empathie und lebenslange Lernbereitschaft an.“

Nunja. Einwenden lässt sich dagegen natürlich wenig, die praktische Relevanz solcher Einsichten aber ist maximal begrenzt: Menschen, die gängige Lebenslauf-Kriterien nicht erfüllen, haben es heute schwerer denn je. Das liegt auch an Menschen wie Nandy: Den Managern in deutschen Großkonzernen, die darüber entscheiden, nach welchen Kriterien in ihrem Hause Kandidaten ausgewählt haben. Jeder, der sich an diesen Verfahren jemals mit einer Abitur- oder Studiumsnote ohne eine Eins vor dem Komma versucht hat, weiß, dass es dabei mit Offenheit für „ungewöhnliche“ Lebensläufe nicht weit her ist.

Das folgt zunächst und vor allem an der Digitalisierung des Recruitings. Wo jede Bewerbung nur ein paar Klicks in einer Maske entfernt ist, hat die Zahl von Reaktionen auf Stellenanzeigen bei den bekannten Konzernen exponentiell zugenommen. Und die haben darauf mit dem reagiert, was sie künstliche „Intelligenz“ nennen, was aber eigentlich das genaue Gegenteil ist. Algorithmen selektieren die Bewerbungen vor, um deren schiere Zahl auf ein aus Personalersicht erträgliches Maß zu reduzieren. Diese Selektion aber bedeutet: Die Bedeutung formaler Bildungskriterien steigt, anstatt zu sinken. Lebensläufe wie den von Kühnert oder Ziemak würde die Daimler-Software wahrscheinlich schon in der ersten Stufe aussortieren, wem es an Auslandserfahrung oder branchenspezifischer Praktika mangelt, der hat es nicht leichter.

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Selbst unter all den glattpolierten Kandidaten, die es in dieser Welt in die finalen Auswahlrunden für die Traineeprogramme der Konzerne schaffen, werden dann zumeist noch die besonders Angepassten ausgewählt. Denn hier überzeugt in den allermeisten Fällen eben nicht, wer einen besonders intensiven Eindruck hinterlässt – sondern derjenige Kandidat, bei dem die entscheidenden Manager sich am sichersten sind, dass er oder sie nicht negativ in Erscheinung treten wird.

Dahinter steckt ein simples Kalkül: Für ihre Entscheidung rechtfertigen werden sich die am Prozess beteiligten Personaler immer dann, wenn die von ihnen gewählten Kandidaten negativ auffallen. Und tun daher alles, um das zu vermeiden, selbst wenn der Preis dafür ist, alle auffälligen Bewerber auszusieben – also auch jene, die sich als besonders brillant entpuppen könnten. Weitere Menschen, die sie „extrem beeindruckt haben“, werden Manager wie Daimler-Mann Nandy so kaum kennenlernen.

Mehr zum Thema: Viele Unternehmen legen Wert auf Diversität – und riskieren damit paradoxerweise zu verlieren, was sie so dringend brauchen: einen Gemeinschaftssinn.

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