Diversity „Die Leute auf ihren schönen Posten bangen um ihre Privilegien“

Vielfalt durch alle Einkommensschichten Quelle: Getty Images

An der Spitze der deutschen Wirtschaft stehen vor allem Männer aus gutem Hause. Natalya Nepomnyashcha will das ändern. Im Interview erklärt sie die Stärken des Nachwuchses aus Hartz-IV-Haushalten - und warum es gut ist, im Bewerbungsgespräch auch mal „geil“ zu sagen.

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Natalya Nepomnyashcha, 30, arbeitet als Unternehmensberaterin bei einem internationalen Beratungshaus. 2016 hat sie das Netzwerk Chancen gegründet, das sich für die soziale Vielfalt in deutschen Führungsetagen einsetzt. Derzeit fördert es 550 junge soziale Aufsteiger und arbeitet dazu mit drei Unternehmen zusammen.

WirtschaftsWoche: Frau Nepomnyashcha, alle reden über Frauenförderung und internationale Teams. Sie aber kämpfen vor allem für mehr soziale Vielfalt in Unternehmen. Warum sollten Unternehmen denn nun auch noch darauf achten?
Natalya Nepomnyashcha: Weil gemischte Teams bessere Ergebnisse liefern – aber die meisten deutschen Unternehmen noch nicht begriffen haben, dass zu dieser Vielfalt auch jemand gehört, der aus einem Hartz-IV-Haushalt kommt.

So wie Sie.
Ja, ich wurde Ende der Achtzigerjahre in Kiew geboren. Wir waren bettelarm. Meine Eltern haben mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Jobs verloren. 2001 kamen wir nach Deutschland, nach Augsburg – und ich landete in einer Klasse, in der niemand ein einziges Wort Deutsch gesprochen hat.

Natalya Nepomnyashcha Quelle: Inka Junge

Gerade für Kinder, deren Eltern in Deutschland eingewandert sind, gilt die Schule als Schlüssel zur Integration.
Nur wenn die Kinder dort auch mit Muttersprachlern in Kontakt kommen. Und wenn sie individuell gefördert werden. Ich bekam nach der 6. Klasse die Empfehlung für die Realschule, die nach der 9. Klasse bestätigt wurde, obwohl ich einen Schnitt von 1,3 hatte. Das war eine herbe Enttäuschung.

Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich bin zur Schulleitung eines Gymnasiums gegangen. Der hat mir entgegnet, dass ich nicht an seine Schule gehöre. Und das hat bei mir eine gesunde Wut geweckt. Dem wollte ich’s zeigen. Ich war die einzige in meiner Klasse, die am Ende des Schuljahres eine 1 in Deutsch auf dem Zeugnis hatte.

Sie haben später in England studiert und sind dann nach Berlin gegangen, um in einer Unternehmensberatung zu arbeiten.
Ich dachte: Mit solch einer guten Ausbildung und der internationalen Erfahrung stehen mir alle Türen offen.

Ein Trugschluss.
Ich hatte völlig unterschätzt, dass mir das Netzwerk fehlte. Ich wusste einfach nicht, wie ich mich auf diesem Parkett bewege.

von Varinia Bernau, Jan Guldner, Kristin Rau, Nora Schareika, Claudia Tödtmann

Woran haben Sie das gemerkt?
Beim Vorstellungsgespräch in einer großen Unternehmensberatung habe ich „geil“ gesagt. Das kam nicht so gut an.

Jemandem aus einem deutschen Bildungsbürgertum-Haushalt wäre das nicht passiert.
Wir sozialen Aufsteiger tun uns generell schwer, Autoritäten zu akzeptieren. Weil das oft diejenigen sind, die uns Steine in den Weg gelegt haben. So wie der Konrektor des Gymnasiums in Augsburg. Mir war es immer egal, welch einen Titel jemand trägt – und das habe ich nicht verheimlicht. Manchmal haben mich Kollegen beiseite genommen und mir gesagt, ich sei zu direkt, zu frech. Ich sage eben, wie’s ist. Jemand aus einer bürgerlichen Schicht macht das subtiler.

Vor vier Jahren haben Sie dann eine Organisation gegründet, die Menschen mit ähnlichem Lebensweg den Weg in die Wirtschaft erleichtern will.
Zunächst hatten wir die Idee, uns für ein gerechteres Bildungssystem einzusetzen. Aber wir haben bald festgestellt, dass wir an einer anderen Stelle mehr bewegen können: Indem wir das Selbstbewusstsein dieser Talente stärken­ und ihnen mit Informationen und wichtigen Kontakten beim Berufseinstieg helfen.

„Veränderungen sind aber immer mit Unsicherheit verbunden“

Wie genau sieht das aus?
Wir bieten Workshops zu Rhetorik an, stellen den Leuten Trainer an die Seite, um an ihrer Einstellung zu arbeiten, helfen mit Kontakten zu möglichen Arbeitgebern. Und wir laden berühmte Aufsteiger zu Gesprächen ein, etwa die einstige SPD-Chefin Andrea Nahles oder die Tagesthemen-Moderatorin Pinar Atalay.

Wie groß ist das Netzwerk inzwischen?
Aktuell fördern wir rund 550 soziale Aufsteiger. Sie sind zwischen 18 und 39 Jahren alt. Alle aus finanzschwachen oder bildungsfernen Familien. Zur Hälfte Männer und Frauen, und zur Hälfte haben sie eine Migrationsgeschichte.

Sie sind also nicht nur für Kinder aus Einwandererfamilien da?
Nein, es gibt auch junge weiße Männer, die durchs Raster fallen, weil sie vielleicht in Marzahn bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen sind, die Hartz IV bezieht.

Wie offen zeigt sich die Wirtschaft für diese Menschen?
Ich hatte mir da mehr erwartet. Wenn Unternehmen von uns hören, dann meinen die gerne mal, wir könnten ihnen eine gute Bürokraft vermitteln. Die meisten denken beim Stichwort Diversity nur an mehr Frauen, allenfalls noch an Migranten. Es ist schwer, ihnen klarzumachen, was ihnen entgeht, wenn sie nicht auch auf die soziale Vielfalt in ihren Führungsetagen achten.

Was denn?
Leute, die sich aus schwierigen Verhältnissen nach oben gekämpft haben, sind sehr durchsetzungsstark. Und lösungsorientiert – weil ihnen Prestige meist nicht so wichtig ist.

Woran liegt die Zurückhaltung der Unternehmen?
Soziale Herkunft ist nicht sexy. Mit einem Förderprogramm für Frauen können sie eher für sich werben.

Frauen haben es leichter als jemand aus einem Hartz-IV-Haushalt?
Die Frauenbewegung ist viel älter. Deshalb ist sie auch besser darin, ihre Rechte einzufordern. Aber ganz ehrlich: Die Programme verändern meistens nur etwas für einzelne Personen und ihre Karrieren. Am System tut sich kaum etwas. Es gibt eine gläserne Decke – und die ist ziemlich dick. Die Leute auf ihren schönen Posten bangen um ihre Privilegien, auch wenn das niemand zugeben würde.

Wird sich das nun in der Krise ändern?
Nein, eher im Gegenteil. Neuen Menschen, die bisher nicht dazugehören, eine Chancen zu geben, heißt Veränderungen anzustoßen. Veränderungen sind aber immer mit Unsicherheit verbunden. Ich denke, gerade in der Krise möchten die Menschen keine Unsicherheit zulassen. Außerdem kosten neue Diversity-Programme Geld, was gerade auch nicht da ist.

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