Diversity-Management Vielfalt ist nicht gleich Frauenförderung

Gemischte Teams sind oft produktiver und innovativer. Viele Unternehmen verstehen Diversity-Management jedoch oft falsch und fassen statt Offenheit für alle zum Beispiel eine Frauenquote oder Home-Office darunter.

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Als sein 14-Jähriger Sohn Probleme in der Schule bekam, wurde Dirk Müller-Remus aufmerksam. Der Junge hatte Schwierigkeiten, sich zu organisieren, war aber im musischen Bereich hochbegabt. Er war Autist - seine Chancen auf einen Job liegen damit bei gut fünf Prozent. „Es kann doch nicht sein, dass so begabte Menschen in der Arbeitslosigkeit landen“, sagte sich Müller-Remus. Er gründete ein Unternehmen, das Autisten einen Job vermittelt.

Wer mit einem Handicap lebt, hat oft mit Vorurteilen und Barrieren im täglichen Leben zu kämpfen. Darauf machte der internationale Tag der Menschen mit Behinderung am dritten Dezember aufmerksam. Das geht bei der Debatte über Inklusion in Schulen los – viele Eltern haben Angst, dass behinderte Schüler die eigenen Sprösslinge in der Entwicklung bremsen könnten – und hört bei den Treppen vorm Rathaus noch lange nicht auf. Zumindest in der Arbeitswelt herrscht dafür Chancengleichheit. Also auf dem Papier. So sieht das Gesetz vor, dass Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen.

 

Das Handicap als Wettbewerbsfaktor

Manche Unternehmen tun freiwillig mehr: Der Softwarekonzern SAP beispielsweise kündigte 2013 an, will in den kommenden Jahren Hunderte Autisten zu Softwaretestern und Programmierern ausbilden. Bis 2020 sollen ein Prozent der weltweit zuletzt rund 65.000 Mitarbeiter von SAP Menschen mit autistischer Störung sein. Der Grund dafür ist nicht nur Altruismus: Viele Autisten sind detailverliebt, supergenau und teilweise hochspezialisiert – für IT-Firmen die perfekten Mitarbeiter. Auch Vodafone und die Deutsche Bank haben das erkannt und bilden Stellen für Autisten. An Vodafone vermittelt unter anderem Müller-Remus‘ Firma Auticon geeignete Mitarbeiter.

Auch die Daimler AG beschäftigt deutschlandweit mehr als 8.800 Mitarbeiter mit Handicap und übertrifft damit die gesetzlich geforderte Quote. Wilfried Porth, Personalvorstand der Daimler AG, ist überzeugt davon, dass gerade die Vielfalt seiner Belegschaft den Erfolg des Unternehmens ausmacht: „Unterschiedliche Mitarbeiter bringen unterschiedliche Fähigkeiten ein und damit frische Ideen, die insgesamt für unser Unternehmen natürlich ein großer Gewinn sind“, sagt er.

Mit dieser Erkenntnis tun sich andere Unternehmen dagegen noch schwer, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) in Zusammenarbeit mit dem Verein Charta der Vielfalt zeigt. Für die Studie hat das Darmstädter Marktforschungsinstitut Reimund Research 349 Organisationen befragt, die die "Charta der Vielfalt" unterzeichnet haben. Zugleich wurden Personalverantwortliche in 250 zufällig ausgewählten Unternehmen befragt, welche die Selbstverpflichtung nicht unterzeichnet haben.

 

Das Ergebnis: Zwar wissen 65 Prozent der Befragten, dass es wichtig ist, unterschiedliche Lebensmodelle zu akzeptieren, jungen Eltern keine Steine in den Weg zu legen und auch sonst niemanden zu piesacken, der irgendwie anders ist. Trotzdem sagen zwei von drei Unternehmen, dass sie auf absehbare Veränderung durch eine vielfältige Arbeitswelt nicht vorbereitet sind. Heißt: Sobald sich tatsächlich etwas verändert, bekommen die Betriebe ein Problem.

Diversity: So wollen Unternehmen die Vielfalt fördern

Dabei geht es bei Diversity Management gar nicht darum, vorsichtshalber ein paar Tastaturen in Brailleschrift vorrätig zu haben oder einen Gebetsraum für muslimische Mitarbeiter einzurichten. Es geht darum, offen auf Veränderungen zu reagieren und alle Mitarbeiter gleichermaßen zu fördern, ob sie jetzt im Rollstuhl sitzen oder nicht. „Wir müssen weg kommen von der Stigmatisierung von Menschen und Gruppen. Natürlich muss man Frauen fördern, weil wir da wirklich Jahrzehnte verschlafen haben. Und auch für Behinderte müssen wir ein Umfeld schaffen, dass Ihnen die Teilnahmen am Leistungsprozess und gleiche Entwicklungsmöglichkeiten verschafft.

Aber es geht nicht um die Incentivierung und das Verteilen von Goodies“, sagt Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende des Vereins Charta der Vielfalt und Personalchefin bei EY. Sie sagt: „Wir müssen eine Kultur schaffen, in der jeder und jede Einzelne mit seiner Persönlichkeit angenommen wird. Und wenn da jemand mit dem Rollstuhl kommt, dann muss es eine Selbstverständlichkeit werden, dass man sich kümmert.“

 

Diversity ist kein Synonym für Frauenquote

Doch in Deutschland geht es in der Diskussion weniger um die offene Unternehmenskultur, als um Quoten. Diversity und Frauenquote werden häufig synonym verwendet. Entsprechend sehen Diversity-Maßnahmen bei den befragten Unternehmen so aus, dass sie flexible Arbeitszeiten ermöglichen (29 Prozent), Eltern mit kranken Kindern auch spontan zuhause bleiben dürfen (21 Prozent) und Home-Office angeboten wird (19 Prozent). Organisationen denken bei „Diversity Management“ also vorrangig an die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

"Wir sind total vielfältig, bei uns arbeiten auch Mütter", scheint die Devise zu sein. „In der Tat wird Diversity Management in Deutschland oft so gesehen“, bestätigt Grohnert.  Für sie ist das ein Indiz dafür, dass die Unternehmen noch zu viel aus kurzfristigen Interessen und Engpässen heraus handeln und dabei das große Ganze übersehen. Wenn sich nicht genug Männer bewerben, muss man sich eben für die Frauen herausputzen. Auch wenn die im Zweifelsfall Kinder bekommen oder wegen der Pflege der Angehörigen keine 60 Stunden pro Woche arbeiten.

Mit Offenheit für Vielfalt hat Home-Office jedoch wenig zu tun.

Bei anderen Themen sehen die befragten Unternehmen keinen Handlungsbedarf, wie die Studie zeigt. Weder beim Thema sexuelle Orientierung und Identität (60 Prozent) noch beim Thema Religion und Weltanschauung (52 Prozent) müsse man offener werden, so die Mehrheitsmeinung. „Es darf die Frage gestellt werden, ob es sich hier eventuell um Tabuthemen handelt, zu denen die Unternehmen über keine Handlungsansätze verfügen und die sie deshalb zur Privatsache erklären“, heißt es in der Studie. Dabei ist es vermutlich kein Geheimnis, dass „Islam“ oder „Moslem“ bei einigen Deutschen zu den Reizworten gehören.

Und auch die sexuelle Identität kann immer noch zu Problemen am Arbeitsplatz führen, wie Sascha Kuhn, Partner und Verantwortlicher für das Recruiting bei der Kanzlei Simmons & Simmons, berichtet. "Es gibt viele, die aus Angst über Karriereeinbußen über ihr Privatleben schweigen. Einige deklarieren auch heute noch die beste Freundin oder die Cousine als ihre Freundin oder erfinden eine Partnerin", erzählt er. "Es gibt teilweise die nachvollziehbare Befürchtung vor dem Karriereknick oder Mobbing. Das daraus resultierende Versteckspiel macht die betroffenen Mitarbeiter auf Dauer unglücklich und krank." Dabei geht es nicht darum, nun auch noch eine Quote für Autisten, Schwule oder Moslems einzuführen. Es geht darum, Menschen, die anders sind, als man selbst, genauso wertzuschätzen und anstatt nach den Fehlern, nach den Talenten zu suchen, wie Grohnert sagt. „Ich befürchte aber, dass wir uns in Deutschland damit mehr anstrengen müssen, als beispielsweise klassische Einwanderungsländer oder flexible Kulturen, die eine Tradition im Handel haben.“

Denn die klassische Kosten-Nutzen-Analyse lässt sich beim Thema Vielfalt so nicht aufmachen: Vodafone schließt keinen Handyvertrag zusätzlich ab, nur weil dort Autisten arbeiten. Und Daimler verdient an seinen Autos nicht mehr Geld, weil es behindertengerechte Arbeitsplätze gibt. Auch eine lesbische Mitarbeiterin oder der alleinerziehende türkische Vater erhöhen den Umsatz nicht. Der Nutzen ist eher schwammig: Mitarbeiter in Organisationen, die Vielfalt leben, sind zufrieden. Sie loben den Respekt und die Wertschätzung im Unternehmen. Bei EY sind die erfolgreichsten Teams angeblich die am buntesten gemischten Teams. Man geht davon aus, dass Vielfalt Innovationen fördert.

Aber in harten Zahlen lässt es sich nicht ausdrücken. Die Kosten für einen barrierefreien Werkseingang, einen Arbeitsplatz für Blinde oder den Schwangerenruheraum lassen sich dagegen sehr genau beziffern. Hinzu kommt die Angst vor Unfrieden:

So zeigt eine Studie des Forschungsbereichs des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, dass kleine Unternehmen oft keine Azubis mit türkischen Nachnamen einstellen, weil sie befürchten, dass sich Auszubildende mit Migrationshintergrund schwerer im Team zurechtfinden. „Erwartungshaltungen, Vorurteile und Projektionen erweisen sich in Verbindung mit betrieblichen Auswahllogiken als Nährboden für Diskriminierung“, sagt Jan Schneider, Autor der Studie.

Dass es in gemischten Teams öfter knallt als in harmonisch homogenen Gruppen, ist übrigens völlig normal. Fragt ein Vorgesetzter einen Autisten, der zu spät kommt, ob er gut geschlafen habe, wird der wahrheitsgemäß mit „Ja“ oder „Nein“ antworten. Und schon scheppert’s, weil sich der Fragesteller verarscht fühlt. Auf solche Dinge muss man vorbereitet sein. „Das Thema mit dem Konflikt ist der wunde Punkt. Wir haben unglaublich Angst vor Konflikten“, sagt Grohnert. Vielfalt deshalb zu vermeiden, sei aber der falsche Weg. „Wir reden bei Vielfalt von einer Grundbedingung, die Systeme und Organisationen veränderungsfähig macht, damit sie in einer sich verändernden Umwelt überleben können. Ein Unternehmen, das nicht aktiv die Vielfalt sucht, wird immer wieder in die Defensive kommen und irgendwann einfach verschwinden.“

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