Diversity Mit Big Data zum perfekten Team

Manager stellen zu viele gleichförmige Kandidaten ein. Sie verlassen sich zu sehr auf ihr Bauchgefühl und suchen diejenigen aus, die sie mögen. Das Ergebnis: Einheitsbrei statt Vielfalt. Big Data verspricht Abhilfe.

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So stellen Sie das perfekte Team zusammen. Quelle: Fotolia

Das Thema Diversität ist ein neuer Dauerbrenner in deutschen Chefetagen. Zum einen suchen die 100 größten deutschen börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen nach talentierten Frauen, um die Quote für Aufsichtsräte von 30 Prozent zu erreichen. Zum anderen ist der Business Case zunehmend offensichtlich. Nur wer von 100 Prozent Talent profitiert, ist heute noch wettbewerbsfähig.

Da schaut man dann auch mal über den Atlantik, mit welchen Programmen die amerikanischen Kollegen die Herausforderung angehen. Immerhin geben US-Unternehmen, wie eine Studie von McKinsey zeigt, 14 Milliarden Dollar im Jahr für „Leadership Development“ – gerade auch für Frauen – aus. Und „Lean In“, das Buch von Facebook-Managerin Sheryl Sandberg, empfiehlt Frauen, sich etwas mehr zuzutrauen, selbstsicherer aufzutreten und auch mal auf den Tisch zu klopfen, wenn die Beförderungsrunde wieder an ihnen vorbeigezogen ist.

Stereotypen überwinden ist schwer

Das ist alles gut so. Nur müssen sich Frauen bewusst sein, dass normative Rollenbilder fest in unseren Köpfen verankert sind – wer sie verletzt, wird dafür bestraft. Nach wie vor erwarten wir von Frauen mehr Kooperationsbereitschaft und Empathie als von Männern und stehen forschen weiblichen Führungspersonen skeptisch gegenüber. In unseren Köpfen ist Führung männlich besetzt. Stereotypen zu überwinden ist unheimlich schwer. Eine deutsche Studie, in der Personalverantwortliche, Manager/-innen und Expert/-innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2014 befragt wurden, kam sogar zum ernüchternden Schluss, dass Frauenförderprogramme daher manchmal mehr schaden als nutzen.

Zur Person

Was also tun?

Das Personalwesen, eine der letzten Hochburgen der Intuition, wird zurzeit im Sturm von „Big Data“ oder, wie dies bei Personalentscheidungen gern genannt wird, „People Analytics“ erobert. Und es ist höchste Zeit.

Was Big Data im Personalwesen kann

Denn: Die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen lässt sich eher finden, wenn wir nicht jeden Grashalm einzeln umdrehen müssen, sondern einen kleinen Metalldetektor zu Hilfe nehmen. Zu oft führt uns unsere Intuition auf Abwege, und wir stellen Leute ein, die das gleiche Hobby haben oder denselben Sportverein unterstützen.

Lauren Rivera, eine Soziologin an der Kellogg School of Management in Chicago, befragte Unternehmensberater/-innen, Bankangestellte und Anwält/-innen, auf was sie in einem Bewerbungsgespräch speziell Wert legten. Die überwiegende Mehrheit in allen Berufsgattungen suchen Mitarbeitende, die „passen“. Carlos, ein Anwalt, etwa meinte: „Man schaut sich selbst an, um zu beurteilen, ob jemand passt. Das ist alles, was man zur Verfügung hat.“ So bleiben dann Zahlenmenschen unter Zahlenmenschen, Ingenieure unter Ingenieuren – oder eben Männer unter Männern.

Gemischte Teams schneiden besser ab

Uns selbst als Maßstab zu nehmen kann kaum ein Rezept dafür sein, um die besten Mitarbeitenden zu finden. Die „kollektive Intelligenz“ eines Teams kann genauso gemessen werden wie individuelle Intelligenz, und da schneiden diverse Teams eindeutig besser ab. Komplementarität ist gefragt, nicht Replikation.

Eine besonders schöne Feldstudie, die es uns erlaubt, die Validität von Interviews zu testen, fand vor ein paar Jahren eher unfreiwillig in Texas statt. Da stellte der Staat Texas fest, dass es dort nicht genügend Ärzte und Ärztinnen gab. Er forderte daher seine medizinischen Fakultäten auf, mehr Bewerberinnen und Bewerber aufzunehmen – und zwar spät im akademischen Jahr, nachdem sich die Universitäten bereits für ihre Favorit/-innen entschieden hatten. Während die medizinische Fakultät der Universität von Texas in Houston etwa bereits 150 Studierende ausgelesen hatte, musste sie im Mai noch 50 von den ursprünglich Abgelehnten aufnehmen. Das waren denn auch Leute, die im Evaluationsverfahren schlecht abgeschnitten hatten und auf der Rangliste die Plätze von 700 an aufwärts besetzten.

Interviews sind weniger verlässlich

Waren die ersten 150 Studierenden tatsächlich talentierter als die letzten 50? Kein Unterschied! Weder während des Studiums noch danach. Die Interviews brachten also nichts oder, schlimmer, verwässerten das Verfahren nur.

Obwohl unstrukturierte Vorstellungsgespräche längst diskreditiert sein sollten, sind Interviews nach wie vor eines der beliebtesten Instrumente in unseren Firmen. Wir vertrauen unserer eigenen Intuition mehr als Daten oder einem Algorithmus, der aufgrund vieler Beobachtungen eine Vorhersage macht.

Die härtesten Fragen im Vorstellungsgespräch

Aversion gegen Technik oder der Konflikt zwischen Mensch und Maschine ist nicht neu. Es gab Zeiten, da trauten wir uns nur in einen Fahrstuhl, wenn dieser von einem Fahrstuhljungen bedient wurde. Und selbstverständlich ist jeder Algorithmus nur so gut wie die Formel, die dahintersteckt. Die Evidenz zeigt aber, dass selbst einfachste Algorithmen, die etwa nur aus einer linearen Kombination von Variablen bestehen, die menschliche Intuition in den allermeisten Fällen übertreffen.

Wer sich nach wie vor nur in der Finanzabteilung oder der Marktforschung von Fakten leiten lässt, sollte dies möglichst schnell ändern und auch die Türen der Personalabteilung für „People Analytics“ öffnen. Neue Softwareprogramme wie etwa Applied, entwickelt vom Behavioral Insights Team in England (wo ich als wissenschaftliche Beraterin tätig bin), macht es Firmen um einiges leichter. So können Bewerbungen etwa anonymisiert werden, sodass Julia, die Personalfachfrau, und Gregor, der Ingenieur, nicht nur nach weiteren „Julias“ und „Gregors“ Ausschau halten, sondern Entscheidungen aufgrund der Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten treffen.

Frauen profitieren von anonymen Bewerbungen

Ich kann nicht genug betonen, wie sehr uns demografische Charaktereigenschaften in die Irre führen. Die großen Symphonieorchester der USA erfuhren dies am eigenen Leib, als sie in den Siebzigerjahren Musiker und Musikerinnen hinter einem Vorhang vorspielen ließen, sodass der Dirigent und die Auswahlkommission nur die Musik hören, nicht aber die Bewerber/-innen sehen konnten. Damals machten Frauen gerade mal etwa fünf Prozent der Musiker in den Orchestern aus. Selbstverständlich waren die Dirigenten überzeugt, dass sogenannte „blinde“ Auswahlverfahren keine Rolle spielen würden.

Leonard Bernstein, der Chefdirigent der New York Philharmonie, sprach sich dann auch in den Siebzigerjahren vehement gegen Vorhänge aus, überzeugt, dass man die Musik nicht nur hören, sondern deren Produktion auch sehen musste, um deren Qualität beurteilen zu können.

Er sollte nicht recht behalten. Vorhänge erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass es Musikerinnen in eine weitere Runde schafften, um 50 Prozent. Sie spielten eine entscheidende Rolle darin, dass wir heute in den zehn bekanntesten US-Orchestern beinahe 40 Prozent Musikerinnen haben, die hervorragend spielen. Gut für das Orchester und gut für die Frauen.

Mentale Fähigkeiten testen

Die Berliner Philharmoniker verpflichteten 1982 erstmals eine Frau, die Schweizer Geigerin Madeleine Carruzzo. In Wien dauerte es noch ein paar Jahre länger, bis die Harfenistin Anna Lelkes 1997 in die Wiener Philharmoniker aufgenommen wurde. Heute liegt der Frauenanteil in beiden Orchestern bei ungefähr zehn Prozent, mit ein paar Prozentpunkten mehr in Berlin als Wien.

Gleich heute sollten wir damit aufhören, Passfotos an unsere Bewerbungsunterlagen zu heften. Obwohl Menschen glauben, dass attraktive Leute sowohl begabter als auch vertrauenswürdiger seien, ist dies ganz objektiv nicht der Fall. Die Attraktiven sind etwa genauso vertrauenswürdig wie der Durchschnitt, nicht weniger und nicht mehr.

Zudem sollten Firmen ihre Stellenausschreibungen genauer unter die Lupe nehmen. Adjektive wie „wettbewerbsorientiert“ und „ambitioniert“ sprechen eher Männer an, während sich Frauen eher auf „einfühlsame“ und „engagierte“ Stellenbeschreibungen bewerben. Und wer von 100 Prozent des Talentpools profitieren möchte, sollte auch nicht davon ausgehen, dass Frauen sich „mitgemeint“ fühlen, wenn wir vom Chef oder dem Piloten sprechen, genauso wenig, wie Männer sich mit Krankenschwestern oder Lehrerinnen identifizieren.

Applied oder auch andere neue Softwareprogramme wie etwas GapJumpers oder Unitive erlauben es Firmen aber nicht nur, die Bewerbungen zu anonymisieren, sondern auch von intelligenteren Auswahlverfahren zu profitieren. Welche Tests sind denn tatsächlich zuverlässige Indikatoren für zukünftige Produktivität? Eine groß angelegte Metaanalyse, die mehr als 500 verschiedene Berufsbilder und etwa 32.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen umfasste, kam zum Schluss, dass allgemeine mentale Fähigkeiten ein gutes Prognoseinstrument für die meisten Jobs sind. Kombiniert man sie im Auswahlverfahren mit Tests, die die zu erledigende Arbeit simulieren, kommt man dem idealen Auswahlkriterium sehr nahe. Die gute Nachricht für all diejenigen, die an persönlichen Gesprächen hängen, ist, dass strukturierte (aber nicht unstrukturierte!) Interviews, kombiniert mit mentalen Fähigkeiten, auch gut abschnitten.

Die unterschiedlichen Typen eines Teams

Man sollte allen Bewerbern und Bewerberinnen für eine bestimmte Stelle dieselben Fragen stellen, und zwar in derselben Reihenfolge, und diese, wenn möglich gleich nachdem man die jeweilige Antwort erhalten hat, bewerten. Jede Frage bekäme dann etwa eine Note, etwa auf einer Skala von 1 bis 6. Am Ende des Interviews, nachdem alle diagnostischen Fragen gestellt und die Antworten bewertet wurden, kann dann ein unstrukturierter Teil folgen, in dem Fragen beantwortet werden. Persönliche Gespräche sollen durchaus auch den Arbeitssuchenden eine Gelegenheit geben, den möglichen Arbeitgeber besser kennenzulernen, nur sollte dieser Teil des Gespräches nicht zur Diagnostik dienen.

Finden Sie Ihre Superstars

Wer Personalentscheidungen genauso ernst wie Finanzentscheidungen nehmen will, kann sich bei der Interviewgestaltung wieder von Datenanalysen leiten lassen. Google hat so etwa die optimale Anzahl von Interviews eruiert (4), da danach die Beurteilungen konvergierten, und gemessen, welche Fragen zukünftige Produktivität bei Google am besten vorhersagen. Vielleicht gibt es ja in einer Firma Starinterviewer, deren Prognosen typischerweise ins Schwarze treffen.

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Bei Google gibt es da etwa eine Person, die um Welten besser ist als alle anderen und bei schwierigen Fällen entsprechend hinzugezogen werden kann. Niemand hätte das voraussehen können, nicht mal die Person selbst. Ein bisschen Datenanalyse half Google, seinen „Superstar“ zu finden. Es war derjenige Interviewer, dessen Bewertungen am stärksten mit dem Erfolg der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter korrelierten.

Wer genügend Daten zur Verfügung hat, sollte also von ihnen lernen und Personalentscheidungen objektiv, aufgrund von Fakten, und nicht subjektiv, basierend auf persönlichen Vorlieben, treffen. So weit, so gut. Gleichzeitig sind aber immer noch viele juristische Fragen offen, und die Privatsphäre der sich Bewerbenden muss gewährt bleiben. Glücklicherweise sind sich da die Verhaltensökonomie und die Jurisprudenz einig: Anonymisierte Bewerbungen bringen sowohl mehr Objektivität als auch mehr Privatsphäre für Arbeitnehmer und -nehmerinnen. Und Algorithmen, welche die besten Prognoseinstrumente oder optimale Anzahl an Interviews errechnen, erlauben es einem Unternehmen, Kosten zu sparen als auch die bestgeeigneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch einen fairen Prozess auszuwählen.

Ein bisschen Technologie und ein paar Einsichten in menschliches Verhalten können unsere Unternehmen so verändern, dass sich Männer und Frauen dem Wettbewerb mit gleich langen Spießen stellen und unsere Unternehmen tatsächlich von 100 Prozent Talent profitieren können – in Aufsichtsräten und Kindergärten, Natur- und Sozialwissenschaften, Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien.

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