Durch die Pandemie in den Burnout Manager gehen wegen Corona häufiger in Therapie

Das Angebot der Kurzzeittherapieplätze klingt somit wie gemacht für Manager: Eine Psychotherapie, die keine hohen Hürden setzt – und nicht allzu viel Zeit in den Kalendern der Führungskräfte blockt. Quelle: imago images

Auch Manager leiden unter den Belastungen der Coronakrise. Und mehr von ihnen suchen sich professionelle Unterstützung. Eine Klinikgruppe verzeichnet steigendes Interesse an Kurzzeitplätzen. Doch helfen die wirklich?

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Unternehmenslenker gelten unter Psychotherapeuten nicht als diejenigen, die sich frühzeitig Hilfe holen. Und so überraschen die Zahlen der Heiligenfeld Kliniken, die je eine Dependance im bayerischen Bad Kissingen und in Berlin unterhalten. Fast ein Drittel der Therapieplätze seien zurzeit von Patienten in Kurzzeitbehandlung belegt, teilt die Klinikleitung mit – und unter diesen befänden sich mehrheitlich Geschäftsführer, Führungskräfte und Selbständige.

Der Grund: Depressionen und Angstzustände haben infolge der Coronakrise stark zugenommen und auch nicht vor jenen halt gemacht, die Stress an sich gewohnt sind. Ulf Kepper berät seit seinem eigenen Burnout vor neun Jahren Führungskräfte, wie ein Leben nach einem Burnout gelingen kann – oder wie sie es erst gar nicht so weit kommen lassen. Er beschreibt den teuflischen Kreislauf, in den Spitzenmanager nur allzu schnell geraten, so: „Die Belastungen in hohen Positionen sind ohnehin hoch. Ein Burnout oder vielleicht sogar eine Depression kommt nicht einfach so. Man hat das Gefühl, dass es nicht richtig rund läuft, man ist ständig unter Spannung, kommt nicht zur Ruhe. Viele sagen sich: Ich bin halt Manager, das muss so sein.“

Das Angebot der Kurzzeittherapieplätze klingt somit wie gemacht für Manager: Eine Psychotherapie, die keine hohen Hürden setzt – und nicht allzu viel Zeit in den Kalendern der Führungskräfte blockt. Neben „klassischer“ Psychotherapie bieten die Kliniken auch Achtsamkeit und Meditation als Therapieelemente und nehmen damit manchen Patienten die Sorge, sie begäben sich in die Klapse – Achtsamkeit und Meditation klingen da vertraut nach Selbstoptimierung. „Viele legen die Therapie in die Urlaubszeit, sodass im Unternehmen niemand etwas von ihren Problemen mitbekommt“, sagt der Bad Kissinger Chefarzt Jürgen Kräutter. Und spricht damit die Ängste an, die diese Patienten zusätzlich haben: „Es gibt in der Führungsebene wenige, die offen mit psychischen Belastungen umgehen.“

Führungspersönlichkeiten hätten häufig ein Problem mit dem erlebten Kontrollverlust, als ganze Belegschaften ins Homeoffice geschickt wurden. „Diesen Menschen fehlt auf einmal die Sicherheit, die sie durch den Zugriff auf Mitarbeiter empfanden. Sie wurden abhängiger davon, dass es funktioniert. Und da werden viele mit ihrem eigenen inneren Muster konfrontiert: Ich bin dann gut, wenn alles perfekt läuft.“ Im Gegensatz zu den anderen Therapien werden die Kurzzeitplätze außerdem mehrheitlich von Männern gebucht, sagt Jürgen Kräutter.

Die meisten Manager kämen mit den folgenden Krankheitsbildern in die Klinik:

Depressionen
„Depression ist die Krankheit der Verlorenheit“, sagt Jürgen Kräutter. „Antrieb, Lebensfreude, Kraft, innere Ruhe, Ausgeglichenheit gehen verloren.“ Was unter Stress passiert, ist mit einem Linkshänder vergleichbar, der auf die rechte Hand trainiert wurde: Unter normalen Bedingungen kommt dieser mit der rechten Hand gut zurecht. Unter Stress schnellt aber die linke Hand nach vorne und will tätig werden – doch sie hat es verlernt. Ähnlich der Hand-Parabel griffen Menschen in Extremsituationen auf sehr alte Verhaltensmuster aus der Kindheit zurück. Diese funktionierten aber nicht mehr unter den Bedingungen des späteren Berufslebens, in dessen Verlauf sich Menschen immer wieder neue Handlungs- und Verhaltensmuster aneignen. Die Folge: „Der Zugang zu den Kraftquellen, die in uns selbst stecken, ist verstellt“, sagt Kräutter. „Das erzeugt das Gefühl von innerer Leere, man steht buchstäblich neben sich, fühlt sich allein, wertlos – und ist nicht mehr leistungsfähig.“

Angststörungen
Ängste sind in der Coronakrise geradezu eine Volkskrankheit geworden: Wie wirkt sich das alles auf die Zukunft, auf meine Firma, auf meine materielle Existenz aus, fragen sich viele Menschen. Eine Angststörung liegt dann vor, wenn die innere Anspannung zu einer Blockade führt. „Wir haben einen Wohlfühlbereich, von dem auch unsere Leistung abhängt. Bei zu wenig innerer Spannung, sind wir nicht leistungsfähig. Steigt sie etwas, können wir alle Anforderungen kreativ und effizient erfüllen. Wenn die Anspannung zu hoch wird, dann werden wir zerstreut, vergessen Dinge, können uns nicht mehr konzentrieren. Die Leistung ist nicht mehr abrufbar. Die Angst verstärkt sich weiter, wenn man nichts mehr schafft. Dann geht der Teufelskreis los“, erläutert der Psychotherapeut Kräutter.

Psychosomatische Beschwerden

Auch ein gesunder Körper reagiert bei solchen Spannungszuständen mit. „Bei Gefahr muss der Körper in Hochspannung sein“, so Jürgen Kräutter – und dies sei für die Urmenschen im Angesicht des Säbelzahntigers auch sinnvoll gewesen. Beim modernen Menschen führe die Muskelanspannung aber häufig zu Verspannungen bis hin zu schweren Rückenproblemen – die abgenutzte Wirbelsäule eines Büromenschen ist anfällig, aber Fitnessstudios und Sportvereine waren coronabedingt geschlossen. Sport hätte manches noch ausgleichen können. Jeder hat seine Schwachstellen, die in der Regel als erstes unter Belastung reagieren. Magenprobleme entstehen dadurch, dass unter Stress mehr Magensäure ausgeschüttet wird. Die Überaktivierung des sympathischen Nervensystems führt außerdem zu einer Unruhe im Kopf. „Bei Gedankenspiralen bricht dann der Schlaf weg. Dann beginnt man den Tag aus einer schlechteren Startposition“, sagt Kräutter.

Kann da ein nur kurzer Aufenthalt überhaupt helfen? „Das sind schon Leute, die unglaublich viele Ressourcen haben, denen es deshalb auch leicht gelingt, wieder bei sich anzukommen“, meint Kräutter. Anderer Meinung ist Ulf Kepper, der nach seinem Burnout noch mehrere Rückschläge erlebte, bis er ganz neue Wege einschlug. „Nach meiner Erfahrung reicht eine Kurzzeittherapie nicht für tiefgreifende Veränderungen aus. Und die sind leider notwendig. Dennoch kann dadurch ein Prozess in Gang gesetzt werden, der den Patienten auf den Weg bringt.“ Der klassische Manager sei ein Kopfmensch, der wenig auf sein Inneres höre, argumentiert Kepper. Viele würden erst nach einem richtigen Zusammenbruch manches in ihrem Leben ändern – und selbst dann noch Rückfälle erleben.

Coronakrise trifft auch die Belastbaren

Neu an psychischen Problemen während der Coronakrise ist, dass auch Menschen an ihre Grenzen gekommen sind, die zuvor Belastungen gut ausgleichen konnten. „Wenn vorher jemand Stress gehabt hat, ging er zum Beispiel zum Sport, traf sich mit Freunden. Das ging während der Kontaktbeschränkungen nicht – und das hat vielen Menschen die Möglichkeit genommen, sich aus eigener Kraft zu regulieren. Das sind Leute, die sind gesund, die funktionieren, hatten nie Probleme“, erläutert Kräutter. Bei ihnen könnte eine kurze Behandlung helfen, die innere Mitte wieder zu finden.



Andere hätten bereits Probleme gehabt, aber ohne die Corona-Zusatzbelastung gelernt, mit diesen zu leben. Mit Kontaktbeschränkungen und dem Verlust der Kontrolle - etwa über Mitarbeiter und oder die Ziele fürs Geschäftsjahr – fiel es ihnen schwerer sich zu regulieren. „Auch Gesunde haben Schwachstellen. Das betrifft auch die, die dachten, sie hätten etwas längst überwunden. In einer Extremsituation melden sich die Schwachstellen wieder“, so der Psychotherapeut.

Ob er die Behandlung nach einer Kurzzeittherapie fortführt, müsse jeder selbst entscheiden. „Manche finden, sie haben genug Handwerkszeug und Impulse, andere sagen, sie verlängern“, beobachtet der Arzt Kräutter – und bestätigt damit indirekt Ulf Kepper. „Manchmal braucht es ein paar Schritte auf den alten Pfaden und eventuell eine erneute Krise, um zu begreifen, dass mehr nötig ist“, sagt er.

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