Einsame Spitze Höllenjob Vorstand

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Ungebührlicher Druck

Gelegentlich erwachse daraus dennoch persönliche Überforderung, sagt Personalberater Klaus Aden, Chef von Lab & Company. So war es auch im Fall des Finanzvorstands des Schweizer Versicherers Zurich, Pierre Wauthier im August 2013. Der Schweizer beging im Alter von 53 Jahren Selbstmord und warf seinem Vorgesetzten, dem Verwaltungsratspräsidenten und Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, in seinem Abschiedsbrief vor, er habe ihn unter ungebührlichen Druck gesetzt und ein unerträgliches Arbeitsklima geschaffen. Es hatte einen Streit zwischen beiden um eine Formulierung im Quartalsbericht gegeben, bei dem sich Ackermann per Anweisung durchgesetzt hatte. Nach Wauthiers Freitod attackierte seine Familie Ackermann heftig. Der trat, wenn auch ohne Schuld einzugestehen, von seinem Posten zurück.

„Aufsichtsräte haben eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Unternehmen“, sagt Wirtschaftsstrafverteidiger Jürgen Wessing. „Sie müssen den Vorstand überwachen – je mehr Anhaltspunkte sie haben, dass der Vorstand überfordert ist oder die Gesellschaft in eine Krise gerät, umso höher ist ihre Überwachungspflicht.“

Das sind Deutschlands mächtigste Aufsichtsräte
Platz 15 – Ekkehard SchulzAls der ehemalige Thyssen-Krupp-Chef als Aufseher beim Industriekonzern abtrat, schien sein Stern zu sinken. Doch Schulz, hier rechts im Bild mit dem verstorbenen Thyssen-Krupp-Patriarchen Berthold Beitz, ist in der neuen Studie der Universität Göttingen für das Handelsblatt wieder auf dem Vormarsch. Der Manager macht zwei Plätze gut und schafft es damit in die Top 15. Schulz sitzt bei Bayer, MAN und RWE im Aufsichtsrat. Er kommt auf 158 Punkte.Für die Studie haben Michael Wolff, Professor für Management und Controlling in Göttingen, und sein Team die Geschäftsberichte von 160 im Dax, MDax, SDax und TecDax notierten Konzerne ausgewertet. Analysiert wurden dabei 1022 Mandate der Kapitalseite.Jeder der 901 Aufsichtsräte wurde nach den drei Kriterien Reputation, Netzwerk und Status beurteilt. Maximal konnten jeweils 100 und insgesamt 300 Punkte erreicht werden. Die Studie berücksichtigt die Zahl der Mandate, die Bedeutung der Unternehmen, die Kontakte der Aufsichtsräte (Netzwerke) und ihren Status durch langjährige Tätigkeit oder intensive Ausschussarbeit. Quelle: Imago
Platz 14 – Michael DiekmannDer Allianz-Chef ist einer der Aufsteiger in der Rangliste der mächtigsten Aufsichtsräte. Diekmann ist Aufseher bei BASF, Linde und Siemens. Im Vergleich zum Vorjahr steigt der 60-Jährige um acht Plätze und kommt auf Platz 14. Mit 160 Punkten landet Diekmann zwei vor Schulz. Quelle: REUTERS
Platz 13 – Ann-Kristin AchleitnerVerbessert hat sich auch die einzige Frau in den Top 15: Ann-Kristin Achleitner rückt um zwei Plätze vor auf Rang 13. Die Frau von Deutschen-Bank-Chefaufseher Paul Achleitner sitzt bei Linde, Metro und Munich Re in den Aufsichtsgremien. In der Studie der Uni Göttingen sammelte sie 161 Punkte. Quelle: dpa
Platz 12 – Manfred SchneiderEinst war Manfred Schneider Vorsitzender von drei Dax-Aufsichtsräten. Doch mittlerweile zieht er sich altersbedingt zurück. Mit Posten als Aufseher bei Linde und RWE reicht es für den 76-Jährigen trotzdem noch für den zwölften Platz in der Rangliste mit 166 Punkten. Quelle: dpa
Platz 11 – Helmut PerletVersicherung, Bank und Anlagenbauer – Helmut Perlet ist quer durch verschiedene Branchen als Aufseher gefragt. Aktuell hat er ein Aufsichtsratsmandat bei der Allianz, bei der Commerzbank und bei Gea. Mit 167 Punkten in der Studie reicht das nicht mehr für die Top Ten, aber immerhin noch zu Rang elf. Quelle: REUTERS
Platz 10 – Klaus-Peter MüllerFür diesen Posten ist er bekannt: Klaus-Peter Müller (r.) als Commerzbank-Aufsichtsratschef mit Bankchef Martin Blessing. Weitere Mandate hat Müller bei Linde und Fresenius. Im Vergleich zum Vorjahr macht der Manager (174 Punkte ) sechs Plätze gut. Quelle: REUTERS
Platz 9 – Clemens BörsigAls Chefaufseher der Deutschen Bank ist Clemens Börsig abgetreten, doch mächtig ist er nach wie vor. 179 Punkte hat die Studie für den 65-Jährigen ermittelt, der bei Bayer, Daimler und Linde die Geschäfte beaufsichtigt. Das macht Rang neun. Quelle: REUTERS

Gestiegener Arbeitseinsatz der Aufsichtsräte

Entsprechend gestiegen ist der Arbeitseinsatz der Aufsichtsräte: Hatten sich viele Kontrolleure selbst mit Mandaten für Dax-30-Konzerne früher oft erst auf der Fahrt zur Aufsichtsratssitzung vorbereitet, sind sie mit ihren Aufgaben heute zweieinhalb Monate im Jahr befasst, schätzt Gesellschaftsrechtler Hans-Ulrich Wilsing von der Kanzlei Linklaters.

Das gilt umso mehr für Aufsichtsräte, die auch Anteile am Unternehmen halten. Beim Technologiekonzern SGL Carbon etwa mischt sich der Aufsichtsrat stark ein, seit Quandt-Erbin und SGL-Carbon-Mehrheitseignerin Susanne Klatten in das Gremium als Vorsitzende eingezogen ist. Sehr schnell reduzierte die BMW-Großaktionärin den Vorstand des Carbonherstellers von fünf auf drei Mitglieder und senkte die Vorstandsgehälter.

Bei welchen Entscheidungen Vorstände und Aufsichtsräte nicht für Unternehmensschäden haften müssen

Operative Vorgaben

Vor allem aber versorgt der SGL-Aufsichtsrat seinen Vorstand mit sehr expliziten operativen Vorgaben: Renditeziele gibt es nicht nur für den Gesamtkonzern, sondern auch für einzelne Produkte. Das eingesetzte Kapital soll sich um stolze 15 Prozent verzinsen – gemessen am Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. „Heute“, bestätigt SGL-Vorstandsvorsitzender Jürgen Köhler, „muss ein Aufsichtsrat schon allein aus Haftungsgründen viel mehr Fragen an das Unternehmen stellen.“

Eine Angst, die für Kontrollgremium wie operative Spitze gilt: Machen Vorstände teure Fehler, haben sie im Hinterkopf, dass sie persönlich zur Kasse gebeten werden. Sehen Aufsichtsräte Fehlern der Vorstände tatenlos zu und verlangen keinen Schadensersatz vom eigenen Management, haften sie selbst.

Haftungsfragen gegen den Vorstand

„Ich werde täglich auf ein Haftungsthema aufmerksam gemacht – entweder von Finanzvorständen oder unseren Anwälten“, erzählt der Vorstandschef eines MDax-Unternehmens. Bei Gerichten seien rund 6000 Prozesse gegen Manager anhängig, rechnet Michael Hendricks, Chef der Spezialberatung für Managerhaftpflichtversicherungen (D & O) Hendricks & Co vor. Dazu kommen die Fälle, die als Schadensfälle nur Versicherern gemeldet sind. Bei zwei bis drei Beteiligten je Fall sind also rund 20 000 Manager derzeit Schadensersatzforderungen ausgesetzt, so Hendricks (siehe WirtschaftsWoche 50/2013). Die Auseinandersetzungen finden meist hinter verschlossenen Türen statt, um keine Imageschäden zu riskieren.

Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Aufsichtsrat Haftungsfragen gegen den Vorstand nicht intensiv anging und die Hauptversammlung einband so wie bei Jürgen Schrempp damals bei DaimlerChrysler. Der Vorstandschef hatte durch eine Äußerung vor der Presse, die Fusion mit Chrysler sei tatsächlich eine Übernahme gewesen, dem Konzern einen Schaden von 300 Millionen Dollar eingebrockt, wovon die Managerhaftpflichtversicherer 2007 nur 168 Millionen Euro übernahmen. Gegen Schrempp ging Daimler nicht vor. Der Aufsichtsrat hatte von zwei Kanzleien die Frage von Schrempps Haftung per Rechtsgutachten klären lassen und entschied, keine Entschädigung von ihm zu fordern. Wer die Kanzleien waren, wird nicht preisgegeben. Auf der Tagesordnung der Hauptversammlung landete der Vergleich mit den Versicherern nicht.

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