Gelegentlich erwachse daraus dennoch persönliche Überforderung, sagt Personalberater Klaus Aden, Chef von Lab & Company. So war es auch im Fall des Finanzvorstands des Schweizer Versicherers Zurich, Pierre Wauthier im August 2013. Der Schweizer beging im Alter von 53 Jahren Selbstmord und warf seinem Vorgesetzten, dem Verwaltungsratspräsidenten und Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, in seinem Abschiedsbrief vor, er habe ihn unter ungebührlichen Druck gesetzt und ein unerträgliches Arbeitsklima geschaffen. Es hatte einen Streit zwischen beiden um eine Formulierung im Quartalsbericht gegeben, bei dem sich Ackermann per Anweisung durchgesetzt hatte. Nach Wauthiers Freitod attackierte seine Familie Ackermann heftig. Der trat, wenn auch ohne Schuld einzugestehen, von seinem Posten zurück.
„Aufsichtsräte haben eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Unternehmen“, sagt Wirtschaftsstrafverteidiger Jürgen Wessing. „Sie müssen den Vorstand überwachen – je mehr Anhaltspunkte sie haben, dass der Vorstand überfordert ist oder die Gesellschaft in eine Krise gerät, umso höher ist ihre Überwachungspflicht.“
Gestiegener Arbeitseinsatz der Aufsichtsräte
Entsprechend gestiegen ist der Arbeitseinsatz der Aufsichtsräte: Hatten sich viele Kontrolleure selbst mit Mandaten für Dax-30-Konzerne früher oft erst auf der Fahrt zur Aufsichtsratssitzung vorbereitet, sind sie mit ihren Aufgaben heute zweieinhalb Monate im Jahr befasst, schätzt Gesellschaftsrechtler Hans-Ulrich Wilsing von der Kanzlei Linklaters.
Das gilt umso mehr für Aufsichtsräte, die auch Anteile am Unternehmen halten. Beim Technologiekonzern SGL Carbon etwa mischt sich der Aufsichtsrat stark ein, seit Quandt-Erbin und SGL-Carbon-Mehrheitseignerin Susanne Klatten in das Gremium als Vorsitzende eingezogen ist. Sehr schnell reduzierte die BMW-Großaktionärin den Vorstand des Carbonherstellers von fünf auf drei Mitglieder und senkte die Vorstandsgehälter.
Bei welchen Entscheidungen Vorstände und Aufsichtsräte nicht für Unternehmensschäden haften müssen
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn eine unternehmerische Entscheidung vorliegt, die durch Prognosen und damit durch nicht justiziable Einschätzungen gekennzeichnet ist.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn sie auf der Grundlage angemessener Information getroffen wurden. Eine rein formale Absicherung durch Einholung externen Rats reicht nicht.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn sie die Ertragskraft des Unternehmens langfristig stärken und dessen Wettbewerbsfähigkeit sichern wollten. Dies trifft nicht zu, wenn mit der Entscheidung in völlig unverantwortlicher Weise Risiken falsch bewertet und eingegangen werden.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn sie mit der Entscheidung keine eigenen Interessen verfolgt haben.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn der Vorstand in gutem Glauben gehandelt hat – also die Informationsgrundlage nicht evident unzureichend und die Entscheidung nicht objektiv vollkommen unvernünftig und damit offensichtlich ungeeignet war, um das Wohl der Gesellschaft zu fördern.
Operative Vorgaben
Vor allem aber versorgt der SGL-Aufsichtsrat seinen Vorstand mit sehr expliziten operativen Vorgaben: Renditeziele gibt es nicht nur für den Gesamtkonzern, sondern auch für einzelne Produkte. Das eingesetzte Kapital soll sich um stolze 15 Prozent verzinsen – gemessen am Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. „Heute“, bestätigt SGL-Vorstandsvorsitzender Jürgen Köhler, „muss ein Aufsichtsrat schon allein aus Haftungsgründen viel mehr Fragen an das Unternehmen stellen.“
Eine Angst, die für Kontrollgremium wie operative Spitze gilt: Machen Vorstände teure Fehler, haben sie im Hinterkopf, dass sie persönlich zur Kasse gebeten werden. Sehen Aufsichtsräte Fehlern der Vorstände tatenlos zu und verlangen keinen Schadensersatz vom eigenen Management, haften sie selbst.
Haftungsfragen gegen den Vorstand
„Ich werde täglich auf ein Haftungsthema aufmerksam gemacht – entweder von Finanzvorständen oder unseren Anwälten“, erzählt der Vorstandschef eines MDax-Unternehmens. Bei Gerichten seien rund 6000 Prozesse gegen Manager anhängig, rechnet Michael Hendricks, Chef der Spezialberatung für Managerhaftpflichtversicherungen (D & O) Hendricks & Co vor. Dazu kommen die Fälle, die als Schadensfälle nur Versicherern gemeldet sind. Bei zwei bis drei Beteiligten je Fall sind also rund 20 000 Manager derzeit Schadensersatzforderungen ausgesetzt, so Hendricks (siehe WirtschaftsWoche 50/2013). Die Auseinandersetzungen finden meist hinter verschlossenen Türen statt, um keine Imageschäden zu riskieren.
Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Aufsichtsrat Haftungsfragen gegen den Vorstand nicht intensiv anging und die Hauptversammlung einband so wie bei Jürgen Schrempp damals bei DaimlerChrysler. Der Vorstandschef hatte durch eine Äußerung vor der Presse, die Fusion mit Chrysler sei tatsächlich eine Übernahme gewesen, dem Konzern einen Schaden von 300 Millionen Dollar eingebrockt, wovon die Managerhaftpflichtversicherer 2007 nur 168 Millionen Euro übernahmen. Gegen Schrempp ging Daimler nicht vor. Der Aufsichtsrat hatte von zwei Kanzleien die Frage von Schrempps Haftung per Rechtsgutachten klären lassen und entschied, keine Entschädigung von ihm zu fordern. Wer die Kanzleien waren, wird nicht preisgegeben. Auf der Tagesordnung der Hauptversammlung landete der Vergleich mit den Versicherern nicht.