
"Herr Lohse, ich meine, es ist Zeit, dass wir uns gemeinsam Gedanken darüber machen, wie sie in den Genuss ihres wohlverdienten, der Früchte ihres wohlverdienten Ruhestandes kommen."
Heinrich Lohse sitzt tief eingesunken auf einem Ledersessel im Büro des Generaldirektors. In der Hand hält er eine Zigarre, deren äußere Schichten er abgepult hat und die nun abstehen wie feines Haar nach dem Schlafen. Sein Blick ist empört.
"Soll das etwa heißen..?", platzt es aus ihm heraus. "Seit 37 Jahren arbeite ich für diese Firma."

Dann geht er freiwillig in den Ruhestand – mit sofortiger Wirkung.
Herr Lohses Problem gibt es wirklich
Die Szene aus Loriots bekanntestem Film „Papa ante portas“ ist legendär. Der Einkaufsleiter Heinrich Lohse wird nach der übertriebenen Anschaffung von Schreibmaschinenpapier und Radiergummis in die Rente geschickt. Von heute auf morgen sitzt der Vollblutmanager zuhause - und geht dort seiner Familie, der Nachbarschaft und allen, die ihn treffen, auf die Nerven.
Was filmisch überspitzt erscheint, liegt näher an der Realität, als man glaubt. „Empty Desk Syndrome“ nennen Experten die Leere und die Probleme, die entstehen, wenn Führungskräfte in den Ruhestand gehen.
Angst und Vorfreude beim Ruhestand
Die Ergebnisse stammen aus dem AXA Deutschland-Report 2016. Für den Report wurden im März 2016 3.324 Interviews mit je circa 100 Erwerbstätigen und 100 Ruheständlern pro Bundesland geführt. Der Report stellt eine bundesweite Gesamtauswertung der Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Ruhestandsplanung und dem Ruhestandsmanagement dar.
Dieser Auszug zeigt, worum sich die Deutschen im Hinblick auf den Ruhestand sorgen und worauf sie sich freuen.
32 Prozent der Erwerbstätigen und 27 Prozent der Ruheständler befürchten eine Verarmung im Hinblick auf ihren Ruhestand.
30 Prozent der Erwerbstätigen und 34 Prozent der Ruheständler bereitet ein Verlust der Stabilität Deutschlands Sorgen.
Die Sorge um Rentenkürzungen beschäftigt 34 Prozent der Erwerbstätigen und 36 Prozent der Ruheständler.
Am meisten sorgen sich die Befragten um die Gesundheit. 59 Prozent der Erwerbstätigen und Ruheständler gaben an, dass Erkrankungen ihnen große Sorgen im Hinblick auf ihren Ruhestand bereiten.
22 Prozent der Ruheständler und 36 Prozent der Erwerbstätigen freuen sich darüber bzw. darauf, im Ruhestand viel zu verreisen.
Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Ruheständlern und Erwerbstätigen. 43 Prozent der Ruheständler und nur 21 Prozent der Erwerbstätigen freuen sich darüber bzw. darauf, sich im Ruhestand nicht mehr beweisen zu müssen.
"Mehr Zeit zur Verfügung haben" ist für 56 Prozent der Ruheständler und 60 Prozent der Erwerbstätigen eine Ruhestandsfreude.
Einfach mal "zu machen, was man will" ist für die Befragten die größte Freude im Ruhestand. 64 Prozent der Ruheständler und 55 Prozent der Erwerbstätigen freuen sich darüber bzw. darauf.
"Die Grundbedürfnisse eines Managers, die durch die berufliche Position und das soziale Umfeld erfüllt wurden, werden nach dem Ausscheiden nicht mehr befriedigt", erklärt Barbara Simonsen, Karriereberaterin aus Ratzeburg in Schleswig-Holstein. Sie berät Führungskräfte beim Einstieg, aber auch beim Ausstieg aus dem Berufsleben.
Mit Beginn des Ruhestands erleben Führungskräfte Simonsen zufolge einen Verlust an Kompetenzen, Zuständigkeiten, Verantwortungen und Aktivitäten. “Gefühle von Sinn- und Nutzlosigkeit und von innerer Leere machen sich breit.“ Die Folgen: Angstzustände, Hilflosigkeit, Depression und womöglich Suizid.
Symptome einer Depression
Deutliche Geschlechtsunterschiede finden sich bei der sogenannten unipolaren Depression, von der Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Diese Form ist gekennzeichnet durch Symptome wie verminderten Antrieb oder gesteigerte Müdigkeit, ...
... depressive Stimmung in einem ungewöhnlichen Ausmaß, die fast jeden Tag mindestens über zwei Wochen hinweg auftritt, ...
...Verlust an Interessen, keinerlei Freude mehr an Tätigkeiten, die einem früher mal Spaß und Befriedigung gebracht haben, ...
...Verlust des Selbstvertrauens und des Selbstwertgefühls sowie Selbstvorwürfe und Selbstzweifel,...
...Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Appetitverlust oder gesteigerter Appetit.
(Quelle: Ursula Nuber, "Wer bin ich ohne dich?", Campus-Verlag)
Auch Siegfried Bülow hatte Angst. Angst davor, sich nutzlos zu fühlen, Angst davor, Langeweile zu haben, Angst davor, still zu stehen. Das alles hatte er bei seinem Vater erlebt, als dieser kurz nach der Wende plötzlich in den Vorruhestand musste. "Danach saß er nur noch zuhause und ging sich mit der Mutter gegenseitig auf den Wecker", erzählt der 65-jährige Bülow. "Er wusste einfach nichts mit sich anzufangen."
17 Jahre lang arbeitete Bülow als Geschäftsführer von Porsche in Leipzig. Als er 2000 aus Wolfsburg nach Leipzig wechselte, gab es dort nur plattes Land. Heute arbeiten an dem sächsischen Standort des Luxus-Autobauers 4500 Menschen. Porsche Panamera und Macan werden hier gebaut. Insgesamt wurden 1,3 Milliarden Euro investiert. Es ist vornehmlich Bülows Verdienst.