Markt- und Wettbewerbsumfelder wandeln sich heute schnell wie nie. In Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung entstehen über Nacht neue Geschäftsmodelle, der hohe Innovationsdruck verlangt Unternehmen immer schnellere Entscheidungen ab. Der Takt von Vorstandssitzungen und Gremienentscheidungen ist viel zu langsam, um mit neuen Wettbewerbern Schritt zu halten und rechtzeitig Innovationen zu entwickeln. Zahlreiche Unternehmen haben das verstanden: Sie bauen Hierarchien ab und verlagern Entscheidungskompetenz in die Breite der Organisation.
Marktführer von morgen beschäftigen Intrapreneure, keine Mitarbeiter
Denn Hierarchien, zumindest allzu starke und mehrgliedrige, bremsen den Entscheidungsfluss und somit allzu oft auch Innovationen. Zudem laden sie die Mitarbeiter dazu ein, Projekte abzuarbeiten und Dienst nach Vorschrift zu leisten, anstatt selbst Ideen einzubringen und neue Lösungswege zu finden.
Zu den Autoren
Dr. Sebastian Dettmers ist Geschäftsführer der führenden Online-Jobplattform StepStone. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Düsseldorf verbindet Jobsuchende durch den Einsatz intelligenter Technologien mit passenden Arbeitgebern. StepStone beschäftigt mehr als 2.500 Mitarbeiter und ist weltweit in mehr als 20 Ländern vertreten.
Michael Eger ist als Partner verantwortlich für den Geschäftsbereich Arbeitgeberattraktivität und Personalgewinnung bei der Promerit AG, einem führenden HR-Beratungsunternehmen mit Sitz in Zürich, Frankfurt, München und Györ (Ungarn). Eger verfügt über 15 Jahre Erfahrung als Management Consultant und Projektleiter in strategischen HR-Projekten.
In einer agilen, digitalen Arbeitswelt reicht es nicht aus, einen fähigen Chef zu haben, der seine Schäfchen anleitet. Im qualifizierten Bereich ist jeder einzelne Mitarbeiter ein Manager, der für den Erfolg seiner Projekte zuständig ist: Er muss Vorhaben antreiben, Entscheidungen eigenverantwortlich und im Einklang mit Firmenziel und -philosophie treffen, kurz: wie ein Intrapreneur agieren.
Fachkräftenachfrage erzielt Rekordwerte
Mit diesem Verantwortungsgewinn wächst der potenzielle Einfluss jedes einzelnen Mitarbeiters auf den Geschäftserfolg. Nie war es so wichtig wie heute, die richtigen Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten – dabei zählen nicht nur die fachlichen Kompetenzen und Fähigkeiten, sondern auch die Haltung und der Wille, sich voll ins Team einzubringen. Gleichzeitig war die Mitarbeitersuche nie so schwierig wie heute. Allein in den letzten fünf Jahren ist die Fachkräftenachfrage in Deutschland um 30 Prozent gestiegen – beinahe monatlich erreicht die Anzahl der Stellenausschreibungen für Spezialisten neue Rekordwerte. In den meisten Unternehmen gibt es heute schon erfolgskritische Positionen, die nur mit Mühe besetzt werden können. Fachkräfte, welche die Digitalisierung in Unternehmen vorantreiben können, sind besonders nachgefragt. Ein Blick auf die Automobilbranche zeigt beispielsweise, dass die dortige Nachfrage nach Ingenieuren im Bereich Elektrotechnik in den vergangenen drei Jahren um rund 30 Prozent gestiegen ist, während die Nachfrage nach Maschinenbauingenieuren im gleichen Zeitraum um 15 Prozent gesunken ist.
Passende Mitarbeiter wichtiger denn je
„Hiring the best is our most important task“, sagte Steve Jobs und war damit auch in Sachen Recruiting ein echter Pionier. Seinem größten Konkurrenten Bill Gates wird das Zitat zugeschrieben: “The key for us, number one, has always been hiring very smart people.” Dem Thema Recruiting die allerhöchste Priorität auch auf CEO-Ebene einzuräumen, scheint ein Erfolgsrezept zu sein. Für Unternehmen wie Apple und Microsoft, die auf hoch qualifizierte Wissensarbeiter angewiesen sind, gilt das besonders – doch auch in Industrieunternehmen wird der einzelne Mitarbeiter wichtiger.
Folgerichtig ist die Mitarbeitergewinnung und -bindung in einigen Vorständen bereits als Top-Thema angekommen. So betont Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner im aktuellen Buch „Das agile Unternehmen“, dass die Auswahl der Mitarbeiter entscheidend sei, um ein Unternehmen erfolgreich zu machen. Rainer Hillenbrand, Vorstand der Otto Group, ergänzt: „Das wichtigste sind richtig gute Mitarbeiter!“
Rückendeckung von der Führung
Nichtsdestotrotz gibt es immer noch viel zu viele Firmenchefs, die es bei Lippenbekenntnissen belassen, wenn es um die Relevanz von HR geht. Seien wir ehrlich: Selbst dort, wo der HR-Chef Teil der Geschäftsleitung ist, spielt er oftmals eine untergeordnete Rolle. In kaum einem Unternehmen genießt die Personalabteilung den Ruf, absolut erfolgskritische Arbeit zu leisten. Abteilungen wie Einkauf oder Vertrieb sind in den meisten Unternehmen wesentlich angesehener.
Warum sonst haben so viele Personalabteilungen Mühe, ausreichend Budget für eine zeitgemäße Rekrutierung bereitgestellt zu bekommen? Warum müssen Personaler wochenlang auf eine Freigabe seitens der Geschäftsführung warten, wenn es um die Neubesetzung einer Vakanz geht? Warum scheitern Initiativen für eine transparente Darstellung der Firmenkultur nach außen am Veto der Geschäftsführung? Sicher ist es auch Aufgabe von HR, hier einen Sinneswandel zu bewirken.
HR-Verantwortliche müssen die Sprache des Managements lernen, sich an messbaren Kennzahlen (KPIs) orientieren, um Relevanz und Auswirkungen der eigenen Arbeit auf das Business überzeugend darzustellen. Hier ist noch Luft nach oben: Gut die Hälfte der Recruiter in Deutschland erhebt keinerlei KPIs, wie eine Befragung von 2016 zeigt.
So verkürzen Unternehmen die Dauer der Mitarbeitersuche
Ist die Position eine Vollzeitstelle oder benötigen Sie vorübergehende Unterstützung, zum Beispiel durch Zeitarbeitskräfte? Was hindert Sie daran, den passenden Kandidaten jetzt zu rekrutieren?
Quelle: Robert Half
Legen Sie einen Zeitplan für den Einstellungsprozess fest. Holen Sie sich die Zustimmung aller Entscheider ein, dass die Stellenbesetzung höchste Priorität hat. Blocken Sie Termine für Vorstellungsgespräche. Prüfen Sie die Stellenbeschreibung und das Gehaltsangebot. Definieren Sie, an welchen Punkten Sie kompromissbereit sind. Setzen Sie einen Notfallplan auf, um mögliche Terminverschiebungen abzufangen und bestimmen Sie, wer die finale Entscheidung fällen soll.
Führen Sie ein erstes Kennenlernen mit den Bewerbern online, etwa über Skype oder FaceTime. Organisieren Sie das Vorstellungsgespräch vor Ort mit allen Entscheidern idealerweise an einem Tag. Holen Sie sich unmittelbar danach die Rückmeldung vom Bewerber und den involvierten Entscheidungsträgern ein, um das gegenseitige Interesse früh zu bestimmen.
Informieren Sie die Kandidaten, wann Sie voraussichtlich die finale Entscheidung treffen werden. Sollte sich der Termin verzögern, rufen Sie die Bewerber an und teilen Sie das neue Entscheidungsdatum mit. Achten Sie in dem Fall genau auf die Reaktion seitens des Bewerbers: Ist diese verhalten, kann das ein Indiz für einen abgesprungenen Kandidaten sein.
Prüfen Sie vor der Endauswahl Referenzen ehemaliger Arbeitgeber. Sobald Sie sich dann für einen Bewerber entschieden haben, teilen Sie ihm das telefonisch mit. Unterbreiten Sie Ihr Angebot inklusive Gehaltspaket, aber bereiten Sie sich darauf vor, das Gehalt und mögliche Zusatzleistungen mit dem Bewerber nachzuverhandeln. Vereinbaren Sie gemeinsam das Eintrittsdatum.
Mitarbeitergewinnung und -bindung ist Top-Managementaufgabe
Doch HR den Schwarzen Peter zuzuschieben, ist unfair. Denn neben einem klaren Bekenntnis zur Arbeit von HR ist die Arbeitgeberattraktivität heute eine der wichtigsten Rahmenbedingungen für erfolgreiche Mitarbeitergewinnung und -bindung. Es liegt in der Verantwortung des Managements, eine positive Unternehmenskultur zu definieren, sie zu prägen und nachhaltig zu leben. Eine aufgesetzte Employer Brand wird heutzutage im Nu entlarvt – dank Arbeitgeberbewertungen & Co. kann jeder einen ungeschönten Blick in die Unternehmen werfen.
Wenn Mitarbeiter aufgrund der Führungskultur unzufrieden und demotiviert sind, kann auch die beste Recruiting-Organisation nicht viel bewirken. Das Bekenntnis der Chefetage zur Relevanz von Unternehmenskultur ist die Basis für erfolgreiche Rekrutierung. Das Management und HR brauchen diesen Schulterschluss, denn in der Wirtschaft gilt: Ohne gute Mitarbeiter ist alles nichts.