Frauenförderung "Wir dürfen Männer nicht ausgrenzen"

Marika Lulay ist Informatikerin und sitzt im Vorstand des börsennotierten IT-Dienstleisters GFT. Wir haben mit der Vorstandsfrau darüber gesprochen, warum sie Frauenförderung ablehnt und was ihr Sohn damit zu tun hat.

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Marika Lulay Quelle: Klaus Weddig für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Frau Lulay, wie viel Bargeld haben Sie dabei?

Marika Lulay: Selten mehr als 50 Euro. Ich zahle so oft wie möglich per Kreditkarte, Laptop, iPad oder Smartphone. Auch wenn ich da in Deutschland oft an Grenzen stoße.

Wann zuletzt?

Als ich mit dem Taxi von Mannheim nach Hause fahren wollte. Eine Fahrt für etwa 70 Euro. Ich musste die ganze Taxireihe ablaufen, bis ich einen Fahrer gefunden hatte, der – unter Murren – Kreditkarten akzeptierte.

Zur Person

Verständnis haben Sie dafür vermutlich nicht.

Ich verstehe, dass man Neuem skeptisch gegenüberstehen kann. Aber, wie man auf Englisch so schön sagt: You can’t push water up the hill. Heißt: Innovation wird sich immer Bahn brechen, wenn sie das Leben von Konsumenten verbessert. Keine Branche kann einen Damm bauen, der die Welle der Veränderung dauerhaft abwehrt. Es ist immer besser, selbst die Welle zu reiten.

Dann sind Sie, wie SPD-Chef Gabriel, sicher auch für Programmieren als Pflichtschulfach?

Der Umgang mit Computern und Apps sollte in der Schule Normalität sein. Aber nicht um des Programmierens willen, sondern um frühzeitig ein Verständnis für die digitale Welt zu bekommen – IT-Kompetenz ist eine wichtige Voraussetzung, Veränderungen als etwas Positives zu sehen.

Sie sind eine der wenigen Top-Managerinnen in der IT-Branche. Wie sehr nervt es Sie, auf Ihren Exotenstatus angesprochen zu werden?

Inzwischen ziemlich. Wir müssen auch eher aufpassen, dass wir nicht die nächste Generation der Männer ausgrenzen.

Wie kommen Sie denn darauf?

Durch meinen heute 19-jährigen Sohn: Der hat in der Schule immer wieder erlebt, wie Mädchen gefördert und bevorzugt wurden. Dass sie etwa bei Girls Days an sogenannte Männerberufe herangeführt werden – und für ihn zur Konkurrenz werden, ohne dass er sich im gleichen Maße gefördert fühlte. Er sieht: Im Kanzleramt sitzt eine Frau, im Vorstand eines IT-Unternehmens auch. Der hat wenig Verständnis für die These, dass Frauen im Beruf benachteiligt werden. Irgendwann hat er sich einen Frauenjob gewünscht – meinen. Das hat bei mir eine Art Hallo-wach-Erlebnis ausgelöst.

Hinterfragen Sie sich selbst: Stimmen diese Klischees über Frauen und Männer im Job?

Inwiefern?

Dass es nicht um Männer oder Frauen geht. Sondern darum, das Verhalten dominanter Gruppen aufzubrechen. Das hat mit geschlechterspezifischer Differenzierung nichts zu tun. Deshalb lehne ich einen Fokus auf Frauenförderung als zu einseitig ab.

Zeitalter der Frauenquote

Können Sie sich doch gar nicht leisten im Zeitalter der Frauenquote.

Doch. Zuletzt hat uns das Bundesfamilienministerium zum wiederholten Mal als einen der frauenfreundlichsten Arbeitgeber ausgezeichnet – ganz ohne besondere Förderprogramme. Offenbar haben wir es geschafft, gegen gedankliche und sprachliche Klischees anzugehen.

Klischees, mit denen Sie groß geworden sind.

Und gegen die ich mein Leben lang angegangen bin. Etwas zu tun, weil es alle machen, war für mich nie ein Argument. Weil ich mich etwa immer gern mit Mathematik und Naturwissenschaften beschäftigt habe, ging ich in den Physik-Leistungskurs – als einziges Mädchen.

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Wie fanden Ihre Eltern das?

Okay. Aber ich komme aus kleinbürgerlichen Verhältnissen – nach dem Abitur hätten sie es gerne gesehen, wenn ich eine Lehre gemacht, ein bisschen gearbeitet und Kinder gekriegt hätte. Ich wollte aber studieren.

Und warum ausgerechnet Informatik?

Aus pragmatischen Gründen: Weil mein Lieblingsfach Biologie damals überlaufen war. Weil ich etwas Technisches studieren wollte, auf Maschinenbau, Elektrotechnik oder Mathe-Lehramt aber keine Lust hatte. Weil Informatik neu war und ich an der Fachhochschule schnell fertig werden konnte. Und weil ich nicht machen wollte, was alle machen – neben mir gab es an der FH Darmstadt zwei Kommilitoninnen unter knapp 70 Studenten. Wir galten als die Exoten der FH. Damentoiletten gab’s damals nur auf jedem zweiten Stock, von den Professoren wurden wir gern kollektiv begrüßt mit „Meine Herren“. Da wusste man manchmal nicht, ob man lachen oder weinen sollte.

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Wie haben Sie das ausgehalten?

Es hat mich schon geärgert, aber rückblickend war es eine gute Lehrzeit: Ich wollte nicht den angepassten Weg gehen, habe gelernt, Sprüche und Zweifel auszuhalten, mich gegen Widerstände durchzusetzen, mich aber auch zur rechten Zeit zurückzunehmen. Ich hinterfrage immer wieder, ob das, was ich tue, richtig ist. Gleichzeitig versuche ich, mich von der Meinung anderer unabhängig zu machen und Hürden aus dem Weg zu räumen. Wer nie Widerstände überwinden muss, weiß nicht, was er will.

Sie waren mit Anfang 40 im Vorstand von GFT. Wollten Sie unbedingt Karriere machen?

Nein. Ich wollte studieren, ein paar Jahre arbeiten und eine Familie gründen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass Informatiker gefragt waren. Für Praktika und freie Mitarbeit gab’s mit im Schnitt 40 Mark Stundenlohn drei Mal so viel wie für klassische Studentenjobs, dazu freie Wahl der Arbeitszeit.

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Sie haben das Studium als Jahrgangsbeste abgeschlossen und sich selbstständig gemacht. Hatten Sie keine Angebote?

Doch, ich bekam bei jeder Bewerbung ein Vorstellungsgespräch, unter anderem bei BASF – zur Freude meines Vaters, der dort mehr als 30 Jahre gearbeitet hatte. Der Job klang gut, das Geld hat auch gestimmt – aber als mir der Personaler sagte, dass ich als Frau mit FH-Abschluss maximal Unterabteilungsleiterin werden könne, habe ich abgelehnt.

Weil Sie Größeres vorhatten?

Nein. Weil ich mir nicht schon wieder sagen lassen wollte, wie die Welt funktioniert. Das kam mir alles so bourgeois vor. Also habe ich mit einem Kommilitonen eine GmbH für Bausoftware gegründet, da war ich 23 und wegen der Firmeneinlage hoch verschuldet. Wir hatten aber rasch Aufträge über mehrere Hunderttausend Euro, haben auf der Cebit ausgestellt und mit Hewlett-Packard kooperiert. Nach drei Jahren bin ich ausgestiegen, habe bei einer Beratung angefangen – und bin in der Probezeit wieder gegangen.

Es hat geklappt mit der Karriere

Wieso hat es nicht funktioniert?

Die haben mich als Frau und Informatikerin wie eine Trophäe herumgereicht – ich habe da nicht hingepasst. Also wechselte ich zur Software AG, die galt damals als der Star am Softwarehimmel, war viel größer als SAP. Das Arbeiten war auf einmal sehr entspannt.

Warum?

Weil ich mich, ohne Angst ums nächste Gehalt, voll um die Arbeit kümmern konnte, eingebettet in eine anthroposophische Unternehmenskultur: sechseckige Schreibtische, vegetarische Kantine, Tennisanlage und eine Gärtnerei, in der Behinderte arbeiteten. Zehn Prozent des Gewinns gingen an Waldorfschulen. Wir haben nur mit Kunden gearbeitet, die zu uns passten. Das hat in der Branche für Irritationen gesorgt – aber die klare Haltung abseits des Mainstreams hat mich eben gereizt. Wir waren damals trotzdem Deutschlands erfolgreichste IT-Firma, die mir die Chance gegeben hat, mich weiterzuentwickeln, bis zur Abteilungsleiterin und der Verantwortung für mehrere Geschäftsstellen.

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Also hat es doch geklappt mit der Karriere.

Aber nicht um der Karriere willen. Grenzen sind für mich Ansporn: Wer mir sagt, das schaffst du nicht, drückt einen roten Knopf – dem versuche ich das Gegenteil zu beweisen. Das macht zwar angreifbar. Aber wer erfolgreich Verantwortung übernimmt und an Grenzen geht, dem traut man mehr zu.

Frauenförderung…

...war damals ein Fremdwort in der IT-Branche. Ich war in meinen Unternehmen lange die einzige weibliche Führungskraft, hatte nur Männer im Team. Ab und zu gab’s flapsige Bemerkungen, die habe ich nicht groß an mich rangelassen – letztlich entschied die Qualität der Arbeit, nicht die Frage des Geschlechts. Dieser Stil hat mich sehr geprägt.

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Offenbar so sehr, dass Sie kurz nach der Geburt Ihres Sohnes 1996 wieder arbeiten gingen, während Ihr Mann zu Hause blieb.

Ich habe nach drei Monaten wieder angefangen zu arbeiten, allerdings reduziert. Dann kam ein Angebot von einem US-Unternehmen. Wir haben eine Woche diskutiert und dann pragmatisch entschieden: Weil ich schon damals mehr verdiente und die besseren Karriereaussichten hatte, bin ich gewechselt. Mein Mann hat erst Erziehungsurlaub genommen, dann den Job ganz an den Nagel gehängt, um sich um unseren Sohn zu kümmern. Und er hat seinen Porsche gegen einen Ford Fiesta eingetauscht, weil da der Kinderwagen reingepasst hat.

Für Ihren neuen Arbeitgeber, das US-Softwareunternehmen Cambridge Technology Partners, haben Sie den Markteintritt in Deutschland organisiert und zuletzt die Position des Vice President für Zentral- und Nordeuropa bekleidet. Warum sind Sie 2002 zum badischen Mittelständler GFT gewechselt?

GFT-CEO Ulrich Dietz hatte über die Jahre immer wieder angeklopft. Und als Cambridge vom Konkurrenten Novell übernommen wurde, war ich bereit für etwas Neues. Und obwohl die GFT-Zentrale damals noch im Schwarzwald saß, konnte ich als Vorstand in Frankfurt bleiben, bei der Familie – auch diese frühe Idee von Work-Life-Balance hat mich überzeugt.

Was müssen Bewerber mitbringen, damit Sie sie einstellen?

Sie sollten selbstbewusst und risikotolerant sein und Unsicherheit akzeptieren können – wer sich gern hinter starren Regeln versteckt und nur verwalten möchte, ist hier falsch. Andererseits muss jemand auch in der Lage sein, sich im rechten Moment zurückzunehmen – denn Erfolg hängt bei uns wesentlich von der Fähigkeit ab, mit anderen Teams zusammenzuarbeiten. Kurzfristig orientierte Rambos haben bei uns keine Chance. Wer diese Eigenschaften mitbringt, kann bei uns früh Verantwortung in einem internationalen Umfeld übernehmen.

Wie erkennen Sie, ob jemand ins Team passt?

Zum einen über meine Lieblingsfrage: „Was war das Verrückteste, das Sie im vergangenen Jahr gemacht haben?“ Egal, wie die Antwort ausfällt: Allein die Reaktion verrät mir immer etwas über den Kandidaten – wie ehrlich ist er, wie spontan, wie stimmig antwortet er? Und die Mischung muss stimmen – ich brauche Mitarbeiter, die das Glas halb leer sehen genauso wie die Daueroptimisten. Klar geraten die mal aneinander. Aber wenn es nie knallt, haben Sie keinen Erfolg.

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