Frauenquote greift ab 1. August Steigen manche Frauen nicht auf, weil sie nicht wollen?

Neue Studien zeigen, dass Frauen einen geringeren Führungsanspruch besitzen als ihre männlichen Kollegen. Quelle: imago images

Ab heute müssen zahlreiche Firmen die Frauenquote für Vorstände beachten. Doch noch immer sitzen in manchen Chefetagen nur Männer. Neue Studien deuten darauf hin, dass das auch am eigenen Führungsanspruch liegt.

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Die Studie von Ekaterina Netchaeva ist nicht gut gealtert. Und dabei ist die Arbeit erst im Juni erschienen. Die Forscherin untersucht darin mit zwei Kolleginnen die Karriereambitionen von Frauen und leitet das erste Kapitel ausgerechnet mit einem Zitat von Sheryl Sandberg ein. Die 52-Jährige gilt immer noch als Vorbild dafür, in welch mächtige Positionen es Frauen in der Privatwirtschaft und noch dazu der männlich dominierten Tech-Szene der Vereinigten Staaten bringen können. 2017 listete das „Forbes Magazine“ Sandberg hinter Angela Merkel, Theresa May und Melinda Gates als viertmächtigste Frau der Welt auf. Doch Anfang Juni, als die Studie nach einer Überarbeitung vom „Journal of Vocational Behavior“ akzeptiert wurde, kündigte Sandberg an, im Herbst von ihrem Posten bei Facebook zurückzutreten. Unglückliches Timing also.

Doch dafür ist die Studie aus anderen Gründen hochaktuell. Die Forscherinnen um Psychologin Netchaeva stellen darin einen „Gender Aspiration Gap“ fest. Demnach haben Männer viel größere Ambitionen in Führungspositionen aufzusteigen als Frauen. Und dieses Kernergebnis könnte eine der vielen Ursachen sein, warum in zahlreichen Vorstandsetagen internationaler Konzerne trotz bekannter Vorbilder wie Sandberg, General Motors-CEO Mary Barra oder Merck-Chefin Belén Garijo noch immer Männer dominieren. Nur fünf Prozent der CEOs der 500 größten börsennotierten Unternehmern der USA sind Frauen. In Deutschland werden ebenfalls nur 5,7 Prozent der 160 Unternehmen aus Dax, MDax und SDax von Frauen geführt.

Hierzulande soll daran jetzt zumindest das FüPoG II etwas ändern: das zweite Führungspositionen-Gesetz. Ab dem 1. August müssen börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern bei der Neubesetzung des Vorstands darauf achten, dass mindestens eine Frau in dem Gremium sitzt, wenn der Vorstand aus mehr als drei Mitgliedern besteht. So will es das Mindestbeteiligungsgebot. Das Gesetz trat schon am 12. August des vergangenen Jahres in Kraft. Ab jetzt greift es.



Doch Wirkung zeigt die Quote schon länger. Nach Zahlen des DIW Berlin von Ende 2021 lag der Frauenanteil in den Vorständen der 200 umsatzstärksten Unternehmen der Republik bei 14,7 Prozent. Eine Steigerung um mehr als drei Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Die Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Unter 183 untersuchten Unternehmen, zu denen sämtliche Unternehmen aus Dax, MDax und SDax zählen, lag der Frauenanteil im Vorstand zuletzt ebenfalls bei 14,7 Prozent – das entspricht jedoch nur einer Steigerung von 1,7 Prozentpunkten. Doch nicht für all diese Unternehmen gilt auch das neue Gesetz. So bestehen die Vorstände einiger Firmen nur aus drei oder weniger Vorstandsmitgliedern. Ein besonderer Fall ist zudem die Wahl der Rechtsform: Firmieren Unternehmen statt als Aktiengesellschaft (AG) als Europäische Aktiengesellschaft (SE), so können sie die paritätische Mitbestimmung und die Frauenquote umgehen. In der AG muss der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern und Aktionären bestehen.

Und so kommt FidAR zu dem Ergebnis, dass sich ab dem 1. August nur für 62 Unternehmen in Deutschland etwas ändern wird. Und nach der aktuellen Studie haben von diesen Unternehmen bereits 46 mindestens eine Frau im Vorstand. Aus dem Dax zählen dazu etwa Continental, die Deutsche Telekom, Mercedes-Benz oder BASF. In 16 der 62 Unternehmen sitzen hingegen nur Männer im Vorstand, zeigen die Daten von Ende April. Diese Unternehmen müssen bei der nächsten Neubesetzung also die Quote beachten. Das gilt etwa für MTU und die Munich Re, für Sartorius und Lanxess sowie die Metro und Kion.

Die Ursachen für das Missverhältnis sind vielzählig und weitgehend erforscht: Frauen übernehmen häufiger als Männer die Kinderbetreuung und setzen dafür im Job aus. Manche Studien führen tradierte Rollenbilder oder geringere Eigenwerbung als Gründe für den fehlenden Aufstieg mancher Mitarbeiterinnen an. Und die existierende Männerdominanz in Entscheidungspositionen ermöglicht strukturelle Diskriminierung.

Ekaterina Netchaeva, die Forscherin der Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi in Mailand, widmete sich in der neuen Studie einem weniger erforschten Phänomen, das durchaus einen Teil der Antwort liefern könnte: dem Gender Aspiration Gap. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten dafür Forschung der letzten 60 Jahre. So kam eine Stichprobe von 138.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zusammen. Ihr Ergebnis, dass Frauen deutlich geringere Führungsambitionen haben als Männer, wirft die Frage auf, ob sämtliche gutgemeinte Initiativen, die Unternehmen und Politik entwerfen, überhaupt auf fruchtbaren Boden fallen. Denn obwohl sich vor allem in den letzten Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung und der Förderung von Frauen etwas getan hat, so beobachten die Forscherinnen, dass sich der Gender Aspiration Gap in den vergangenen sechs Jahrzehnten kaum verändert hat. Oder deutlicher ausgedrückt: All die Bemühungen von Unternehmen haben zumindest für die Karriereambitionen von Frauen bislang nichts gebracht.

Die großen Karriere-Irrtümer

Basierend auf ihren Ergebnissen führten die Forscherinnen eine Simulation für ein Unternehmen mit acht Hierarchieebenen durch. Der geschlechtsspezifische Unterschied in den Führungsansprüchen würde demnach dazu führen, dass auf der höchsten Organisationsebene auf jede Frau 2,13 Männer kommen. „Angesichts dessen, wie viel Wert auf die Entwicklung und Umsetzung von Diversity-Initiativen gelegt wurde, waren wir überrascht, dass es keine signifikante Verbesserung gab“, sagt Netchaeva.

Ambitionen werden schon mit 20 ausgebremst

Tatsächlich konnten Netchaeva und ihre Kolleginnen auch feststellen, wann die Führungsansprüche von Männern und Frauen auseinanderdriften. Das nämlich geschehe meist zwischen dem 18. und dem 22. Lebensjahr – also zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Karriere. In diesem Alter würden die Studenten in den USA zum ersten Mal in den Arbeitsmarkt eintreten, in Form von Praktika oder Teilzeitstellen etwa. „Wir vermuten, dass Frauen in dieser Zeit zum ersten Mal mit berufsbedingten geschlechtsspezifischen Vorurteilen konfrontiert werden“, sagt Netchaeva. Und weiter: „Aus früheren Untersuchungen wissen wir zum Beispiel, dass Frauen häufig beobachten, dass ihre männlichen Kollegen mehr Karriereförderung sowie Aus- und Weiterbildung erhalten, was sich negativ auf ihre Ambitionen auswirkt.“ Frauen haben also nicht per se einen geringeren Führungsanspruch als Männer. Vielmehr wird ihr Ehrgeiz schon früh von gesellschaftlichen Widerständen ausgebremst.

Ein Team aus Forschern der London School of Economics und des französischen Instituts Sciences Po kam in einer Studie für das Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) zu ähnlichen Ergebnissen. Sie stellten fest, dass die langfristigen Karrierebestrebungen von Frauen schon früh im Arbeitsleben von Erlebnissen wie „Belästigungen oder erniedrigenden Kommentaren“ gebremst werden. Auch die Firmenkultur oder ein geringerer Lohn – also der bekannte Gender Pay Gap – können die Führungsambitionen von Frauen ausbremsen.

Die Forscher nutzten eine Stichprobe von mehr als 670 Anwältinnen und Anwälten aus den USA. Diese wurden nach ihrer Einstellung in einer Kanzlei mit dem Abstand einiger Jahre immer wieder befragt. Die Forscher konnten feststellen, dass Männer trotz ähnlicher Voraussetzungen wie einer gleichen Ausbildung schon früh in der Karriere verstärkt das Ziel verfolgten auch zum Partner – also zum Gesellschafter – der Anwaltskanzlei aufzusteigen. Als die Anwältinnen und Anwälte gebeten wurden, ihre eigenen Ambitionen Partner zu werden auf einer Skala von eins bis zehn einzuordnen, so antworteten 60 Prozent der Männer mit einer acht oder einer höheren Zahl. Das taten nur 32 Prozent der Anwältinnen. Nur 13 Prozent der Männer antworteten mit einer Zahl unter vier. Bei den Frauen waren es 31 Prozent. In der Studie konnten die Forscher nachweisen, dass die Wahrscheinlichkeit befördert zu werden mit höheren Ansprüchen steigt. „Zwölf Jahre nach Eintritt in eine Anwaltskanzlei werden Frauen mit 13 Prozent geringerer Wahrscheinlichkeit Partner als Männer“, heißt es in der Studie.

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Ob eine Quote an diesen Ansprüchen etwas ändert, ist fraglich. Und doch gibt es Möglichkeiten, dem Gender Aspiration Gap entgegenzuwirken. Die Forscher kommen in ihrer Studie für das IZA zu dem Schluss, dass schon kleine Änderungen im Umgang von Unternehmen mit ihren Mitarbeitern sehr früh in ihrer Karriere „große und nachhaltige Auswirkungen auf ihre Leistungs- und Aufstiegschancen“ haben können. Auch Netchaeva sieht hier vor allem die Unternehmen in der Pflicht. So könnte es sein, dass die aktuellen Diversity-Initiativen „zu allgemein“ sind und „nicht auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen“ eingehen. „Es ist auch wichtig zu bedenken, dass Frauen unterschiedliche Bedürfnisse haben können, wenn es um ihre Arbeit geht. So kann es beispielsweise sein, dass manche Frauen zu wenig Vorbilder im Unternehmen haben, während andere mit der Work-Life-Balance ihres Unternehmens unzufrieden sind“, sagt die Forscherin. „Nachdem diese Bedürfnisse verstanden wurden, sollten die Initiativen speziell auf sie zugeschnitten werden.“ Im Idealfall erreichen die Initiativen junge Frauen schon vor oder während des Studiums, bevor sie in die Arbeitswelt eintauchen. 

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