Führung Diven raus, Dialog rein

Digitalisierung im Management Quelle: Illustration

Digitalisierung bedeutet, dass sich Menschen aufs Wesentliche konzentrieren. Doch dafür müssen sich Manager bisweilen von Angestellten trennen. Ein Vorabdruck aus dem neuen Buch von Reinhard Sprenger.

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Die Firma als gut geölte Maschine – dieses Bild dominierte lange die Unternehmensführung. Alles scheinbar Unnötige wurde der Effizienz geopfert. Insbesondere der Mensch. Er war lediglich Lückenbüßer für Aufgaben, die sich nicht maschinell bearbeiten ließen. Insofern war er eigentlich nur geduldet, sollte arbeiten, nicht denken, und seine Individualität störte. Paradoxerweise ist es gerade die technische Entwicklung, die die Re-Integration des Menschen in die Wertschöpfung erzwingt. Denn die Digitalisierung hat eine unbeabsichtigte Nebenwirkung: die Neu- und Höherbewertung menschlicher Fähigkeiten. Ihnen eröffnet sich nun eine echte Realisierungschance. Weil der Markt sie fordert. Und Technik sie ermöglicht.

Was muss Führung tun, um Digitalisierung zu ermöglichen? So wie es bisher läuft, läuft es jedenfalls nicht. Wir sind zu langsam, zu unentschieden, zu zögerlich. In Deutschland argwöhnt man, dass sich mit der Digitalisierung beliebig Schaum schlagen lässt. Oder man hält die Digitalisierung des eigenen Betriebs schlicht für zu teuer.

Deshalb bricht man eher symbolisch zu neuen Ufern auf. Man legt die Krawatte ab, trägt zum Anzug weiße Turnschuhe, nötigt die Mitarbeiter zur Du-Anrede und verzichtet auf akademische Titel. Man übt Onlinemarketing und macht erste agile Gehversuche, startet IT-Projekte (die jedoch nicht mit dem Restunternehmen verzahnt sind), ernennt einen Chief Technology Officer, kauft eine kleine Internetbude, entwickelt eine nette Service-App.

Alles in Ordnung. Aber meist werden nur analoge Daten in ein digitales Format übertragen. Was ansteht, ist die digitale Umwandlung des ganzen Unternehmens: Digital-first-Haltung im Grundsatz. Auch etwas mehr Geschwindigkeit und Experimentierfreude täten gut. Wenn der „tipping point“ erreicht ist, ist es zu spät. Dann rennen wir nur noch hinterher. Natürlich, in der Kulisse werkeln die Techniker an immer neuen Verbindungen ungeheurer Datenmengen, an Sensoren und Robotern. Aber das ist nur das technische Hintergrundrauschen. Wesentlich ist der Vordergrund, die menschliche Seite der Digitalisierung. Wollen Sie die digitale Transformation wirklich umfassend entwerfen, dann ist der Mensch der einzige „Rechner“, der das leistet. Ein Rechner, komplex und einfach zugleich, der unberechenbar ist – und genau deshalb in der Lage, die Kundenwünsche, den technologischen Wandel und die globalen Märkte zu beobachten.

Digitalisierung bedeutet in ihrem Kern eben keine Technikrevolution, gerade nicht die Macht der Maschinen und die Herrschaft der Algorithmen. Sondern Konzentration auf das Wesentliche, was nur Menschen leisten können: die Wiedereinführung des Kunden, die Wiedereinführung der Kooperation, die Wiedereinführung der Kreativität. Das sind die drei Ks, und jedes einzelne dieser drei Ks hat die Kraft, Ihr Unternehmen radikal zu transformieren.

Führen in digitalen Zeiten: Manager müssen sich nach Ansicht von Reinhard Sprenger auf drei Aspekte konzentrieren, um den ‧digitalen Wandel zu meistern: den Kunden, die Kooperation und die Kreativität. Wie sie das in ihrem Führungsalltag berücksichtigen? Das beschreibt Sprenger in seinem neuen Buch, das am 12. März erscheint (Deutsche Verlags-Anstalt, 25 Euro)

Einige Monate des Jahres lebe ich in New Mexico. In Santa Fe ist das Casa Sena mein Lieblingsrestaurant. Meine Kinder, zum damaligen Zeitpunkt 11 und 14 Jahre alt, begleiteten mich eines Abends, fanden aber auf der Speisenkarte nichts, auf das sie sich hätten freuen können. Ich fragte daher den Kellner, ob die Küche nicht ein paar Pommes frites zubereiten könne. „Kein Problem“, kam ohne Zögern seine Antwort und alsbald erhielten meine Kinder das Gewünschte. Später konnte ich allerdings beim Blick auf die Rechnung keinen entsprechenden Betrag entdecken. Auf meine Bemerkung antwortete der Kellner: „Oh, wir haben die Pommes vom Restaurant auf der anderen Straßenseite geholt und vergessen, sie zu berechnen.“ Welches deutsche Restaurant besorgt die Pommes von der Konkurrenz, um den Kunden zufriedenzustellen?

Auch wenn es Sie vielleicht überrascht: Diese Geschichte aus analoger Vorzeit zielt weit in die digitale Zukunft. Mein erstes Rezept ist deshalb gleich ein zweifaches. Erstens: Der Kunde ist wichtiger als die Speisenkarte. Zweitens: Warum nicht mit der Konkurrenz kooperieren, wenn es allen hilft?

Wenn Sie wollen, dass der Kunde in erster Linie an Sie denkt, müssen Sie in erster Linie an den Kunden denken. Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb – alles wird radikal vom Kunden her gedacht. Das meint eine Organisation, die sich am Alltag des Kunden orientiert, das meint personalisierte Ansprache, marketinggetriebene Planung, individualisierte, konfigurierbare Produkte, die sich passgenau in das Lebensumfeld der Kunden integrieren. Und das muss mehr sein als hoch hinauswollendes Geschwätz. Der Kunde ist dann nicht mehr die Umwelt des Unternehmens, sondern umgekehrt, das Unternehmen ist die Umwelt des Kunden. Änderungswünsche kommen dann auch vom Kunden, nicht von der Hierarchie.

Damit scheint zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Notwendigkeit auf, tiefgreifende strukturelle Alternativen zu diskutieren. Vorrangig geht es darum, Prozesse und Strukturen zu schaffen, mit denen das Unternehmen schneller auf Marktveränderungen reagieren kann. Zukunftsfähig sind Sie, wenn Sie dabei keine Tabus kennen. Weder Produkt noch Verfahren, weder Personal noch Kapital, weder Organisationsform noch Rechtsform. Nur die Befriedigung von Kundenbedürfnissen.

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