Führungskultur Manager brauchen wieder mehr Bescheidenheit

Wenn ein Manager öffentlich zugibt, etwas nicht zu wissen, sabotiert er sich damit selbst. Dem Klischee nach wissen Führungskräfte nämlich immer, wo es lang geht. Tatsächlich sollten Manager wieder bescheidener sein.

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Jemand schreibt mit einem Füllfederhalter. Quelle: dpa
Eine Frau guckt gequält Quelle: Antonioguillem - Fotolia
Jemand legt einem Mann, der sich die Händen vor die Augen hält, die Hand auf die Schulter. Quelle: zest_marina - Fotolia
Ein Mann im Sprung Quelle: Svenni - Fotolia
Ein Mann guckt gelassen. Quelle: Janina Dierks - Fotolia

Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Der oder die Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens würde bei einer Pressekonferenz, oder vielleicht einem Town-Hall-Meeting vor Mitarbeitenden auf die Frage „Wo wird das Unternehmen in fünf Jahren stehen?“ antworten: „Ich weiß es nicht.“

Ein unerhörter Vorgang? Inkompetenz? Müsste diese Person nicht sofort ihres Amtes enthoben werden? Gemäß gängiger Vorstellungen von Führung lautete die Antwort vermutlich „Ja!“.

Führungskräfte sollen den Weg kennen

Was ist Führung? Machen Sie sich einmal den Spaß und geben Sie das Wort in die Google-Bildersuche ein: Sie werden lauter Darstellungen von Menschen finden, die voranschreiten, die aus der Masse herausstechen, anderen per Fingerzeig bedeuten, was zu tun ist.

Nico Rose ist Führungskraft im Vorstandsstab Personal eines internationalen Medienkonzerns. Der ausgewiesene Experte für Positive Psychologie ist zudem als Coach und Speaker aktiv. Quelle: René Golz

„Ich sage Euch, wie der Hase läuft“, ist die unterliegende Botschaft. Da geht es um Führung als Wissens- und Kompetenzvorsprung, als hierarchische Unterscheidung, als qualitativer Unterschied von oben und unten – oder zumindest vorne und hinten. Darin steckt implizit auch ein „Mir nach, ich kenne den Weg!“

Doch ist diese Sichtweise wirklich noch tragfähig in einer Welt, in der sich das verfügbare Wissen (Nicht eher: Unwissen?) etwa alle zwei Jahre verdoppelt, in der sich technologische Rahmenbedingungen schneller ändern, als man das Wort Rahmenbedingung buchstabieren kann, in der das Gros der derzeit nachgefragten Job-Profile vor zehn Jahren noch gar nicht erfunden war? Wäre es nicht ehrlicher und sogar zielführender, wenn Unternehmenslenker (wie auch Politiker) häufiger sagten: „Ich weiß es nicht“?

Wir sind alle „work in progress“

Einer, der mit der gebotenen Umsicht des Forschers genauer hinschaut, ist Bradley Owens, Professor für Business Ethics an der Marriott School of Management in Utah, seines Zeichens einer der führenden Experten für Bescheidenheit als Führungskompetenz. Auf die Frage, warum er sich diesem scheinbar abseitigen Management-Thema widmet, sagt er: „Bescheidenheit ist eine klassische Tugend. Sie wird jedoch insbesondere in Organisationen oft missverstanden und unterschätzt. Diesem Umstand wollte ich auf den Grund gehen.“

Für Owens ist bescheidene Führung eine Idee, deren Zeit einfach gekommen ist. Er glaubt, dass die sich wandelnde Natur von Arbeit als solcher auch das Bild einer „idealen Führungskraft“ verändern wird. In seinen Worten: „Viele Tätigkeiten sind heutzutage geprägt von hoher Dynamik, wechselseitigen Abhängigkeiten und steigender Unsicherheit. Im Lichte dieser Herausforderungen brauchen Führungskräfte die Bescheidenheit, Bereiche der eigenen Unsicherheit, Unerfahrenheit und des Unwissens anzuerkennen, gerade weil dies Lernen und Adaptation ermöglicht.“

Bescheidendes Führungsverhalten kann gemäß des Professors auf drei Verhaltensdimensionen heruntergebrochen werden:

  1. Eigene Limitierungen und Fehler zugeben
  2. die Stärken und Leistungen anderer hervorheben, sowie
  3. Lernbereitschaft signalisieren

Derart eröffnen Führungskräfte anderen Menschen ihren eigenen Entwicklungsprozess und legitimieren somit ähnliche Veränderungen bei den Geführten – frei nach dem Motto: Wir sind alle „work in progress“ – und das ist auch gut so.

Fehler machen und machen lassen

Dirk Sliwka, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Personalwirtschaftslehre an der Universität zu Köln, schlägt in eine ähnliche Kerbe: Er fordert, dass Manager im Angesicht stetig steigender Komplexität wie Forscher agieren sollten. Sliwka empfiehlt Führungskräften, sich mit der offenen Neugier des Nichtwissens an Themen anzunähern – anstelle von vorauseilender Gewissheit. Es geht ihm um ein quasi-experimentelles Vorgehen, geleitet von zu prüfenden Hypothesen anstatt vorgefertigter Meinungen.


Bescheidenheit erfordert Reife

Diese Medaille hat natürlich zwei Seiten: Führungskräfte, die Unsicherheit zeigen können – und Geführte, die mit dieser Offenbarung achtsam umgehen und sie nicht zwangsläufig als Makel deklarieren (das gilt auch für das erweiterte Milieu, beispielweise die anderen Führungspersonen). Fast möchte man sagen, es braucht ein Umfeld aus Menschen, die in der Lage sind, die Begrenztheit ihrer Führungspersönlichkeiten auszuhalten. Wer als erwachsener Mensch immer noch nach dem allwissenden Übervater sucht, vermindert dadurch den Spielraum real existierender Führungskräfte für Echtheit. Bescheidenheit in der Führung erfordert demnach ein hohes Maß an Reife, auf beiden Seiten.

Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz

Was hätten Unternehmen davon, würden sie Bescheidenheit als Führungskompetenz aktiv förderten? Laut Professor Owens steht die Forschung hier noch am Anfang. Es mehren sich allerdings die Anzeichen, dass bescheidene Führung mit einer Reihe von positiven Konsequenzen bei den Geführten einhergeht, darunter: erhöhtes Arbeitsengagement und mehr Zufriedenheit, gesteigertes emotionales Wohlbefinden und vermehrtes prosoziales Verhalten. Doch sie sorgt auch für positive Veränderung bei dezidiert harten Kriterien, beispielsweise der Wechselbereitschaft von Mitarbeitern.

Wer bescheiden ist, macht sich nicht kleiner, sondern genau richtig groß

Owens bestätigt im Übrigen, dass es Führungskontexte gibt, in denen Bescheidenheit völlig fehl am Platz ist, beispielsweise in Situationen, die in hohem Maße bedrohlich oder von großem Zeitdruck geprägt sind. Spitzfindig lässt sich natürlich fragen, ob fehlende Bescheidenheit an früherer Stelle nicht oft dazu führt, dass für Unternehmen unheilschwangere Situationen gerade erst entstehen. Jüngere Entwicklungen, beispielgebend sei hier die deutsche Automobilindustrie, legen durchaus einen entsprechenden Zusammenhang nahe.

Das Wort Bescheidenheit ist im Deutschen etymologisch verwandt mit dem Bescheid, also einer Mitteilung, welche ausdrückt, „was Sache“ ist. Wer bescheiden ist, trennt sauber zwischen dem, was da ist und was nicht. Es geht gerade nicht darum, uns kleiner machen, als wir sind. Nur eben auch nicht größer. In diesem Sinne ist Bescheidenheit eine enge Verwandte der Authentizität. Das englische Wort „humility“ lässt sich auf den Begriff Humus, also Erde, zurückführen. Wer im besten Sinne bescheiden ist, wirkt geerdet, bietet Halt und fruchtbaren Boden für das Wachstum anderer. Menschen, die es meistern, aus einer solchen Haltung heraus zu führen, dürfen in aller Bescheidenheit stolz auf sich sein.

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