Wenn der Kollege gähnt, müssen wir meist mitgähnen. Ist unser Partner traurig, leiden wir mit. Geteilte Freude gilt als doppelte Freude. Warum? Weil der Mensch mitfühlt. Oder, wie Psychologen sagen, weil er zu Empathie fähig ist.
Der Duden definiert sie als "Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen". Und diese Bereitschaft und Fähigkeit wird immer wichtiger. Im Privatleben, aber auch im Beruf. Egal in welcher Branche, egal auf welcher Ebene.
Im gedanklichen Exil
Führungskräfte sollen sich in die Lage ihrer Mitarbeiter hineinversetzen, Angestellte sollen sich auf die Bedürfnisse von Geschäftspartnern einstellen, Verkäufer die Wünsche der Kunden kennen. Wer das kann, der erkennt Motive, Kompetenzen und Bedürfnisse. Wer Gefühle lesen kann, ist klar im Vorteil.
Vor allem als Vorgesetzter. Denn wenn der Chef nicht passt, gehen die Angestellten mindestens ins gedankliche Exil - oder ins tatsächliche.
47 Prozent der deutschen Angestellten haben schon einmal wegen eines Vorgesetzten gekündigt, ergab vor wenigen Monaten eine Umfrage des Nürnberger Beratungsunternehmens Information Factory unter 1000 Beschäftigten. Immerhin 20 Prozent gaben zu, sie hätten zumindest mit diesem Gedanken gespielt.
Kurzum: Der Cheftyp Kotzbrocken hat ausgedient, Empathie ist ein Karrierefaktor. Einerseits.
Andererseits hat Mitgefühl noch immer einen schlechten Ruf. In vielen Unternehmen gelten Menschenkenner als Schwächlinge und Weicheier, Mitgefühl gilt als Makel, Empathie als überflüssig. Vielleicht auch aus Selbstschutz.
So mancher Manager flüchtet sich in das Machtgefüge des Unternehmens, versteckt sich hinter offiziellen Abläufen, will sich weder von anderen durchschauen lassen noch in Kollegen hineinversetzen. Stattdessen hält er lieber die harte Fassade aufrecht, die ihn stark, perfekt und unnahbar wirken lässt.
Natürlich kann man das so machen. Doch wahr ist eben auch: Die exzellente Führungskraft zeigt Empathie. Sie stellt die Menschen in den Mittelpunkt der Arbeit, nicht nur ihre Funktion. Erst dann können Unternehmen dauerhaft erfolgreich sein.
Manager brauchen Sensibilität
Das bestätigt auch Kerstin Hof, Karriereexpertin und Unternehmenscoach. "Unternehmen brauchen Mehrperspektivität, um erfolgreich zu sein. Die Voraussetzung dafür ist Empathie." Vor allem für Manager in Spitzenpositionen - denn ihr berufliches Aufgabenspektrum bestehe besonders aus "konfliktgeneigten Tätigkeiten".
Da ist Sensibilität gefragt. "Manager erlangen wichtige Informationen, wenn sie die Lage des Mitarbeiters nachvollziehen", sagt auch Matthias Hoenen, Psychologe der Uni Düsseldorf. Dann können sie besser abschätzen, wie Mitarbeiter auf Entscheidungen reagieren - und wie sich die Motivation steigern lässt.
Doch wahr ist auch: Nicht nur in Unternehmen ist Empathie keine Selbstverständlichkeit mehr, auch Studenten sind heutzutage gut 40 Prozent weniger empathisch als noch vor 20 Jahren. Das entdeckten Forscher der Universität von Michigan, als sie 72 Studien zwischen 1979 und 2009 auswerteten. Viele seien "auf sich selber fixiert, narzisstisch, selbstbewusst und individualistisch", resümierte Mitautorin Sara Konrath. "Außerdem dominiert das Konkurrenz-Denken."
Kein Wunder, dass die Unternehmen jetzt gegensteuern. Sie wissen, wie wichtig Empathie ist. "Teamfähigkeit und Einfühlungsvermögen werden im Beruf immer wichtiger", sagt Kerstin Hof. "Das wird schon bei Vorstellungsgesprächen deutlich."
Aber lässt sich Empathie lernen? Ist nicht die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ein angeborenes Charaktermerkmal?
Mitnichten, meinen Forscher des Max-Planck-Instituts für kognitive Neurowissenschaften in Leipzig. Sie sind davon überzeugt, dass sich das richtige Maß an Einfühlungsvermögen ebenso erlernen wie etwa Matheformeln oder Vokabeln.
Mehr noch: Sogar Narzissten können Empathie lernen. Das zeigt eine aktuelle Studie von Erica Hepper von der Universität von Surrey. Für ihre Untersuchung gewann sie 300 Freiwillige mit stark narzisstischen Zügen. Mit gewalttätigen Videos gelang es ihr tatsächlich, die Versuchspersonen zu Gefühlsregungen zu verleiten.
Die gute Nachricht ist: Empathie ist trainierbar, Einfühlungsvermögen lässt sich schärfen. Dafür kann es schon helfen, den Begriff aufzuschlüsseln und in seine Bestandteile zu zerlegen. Denn hinter dem vermeintlich komplexen Begriff Empathie verstecken sich ziemlich alltägliche Fähigkeiten - wie beispielsweise Zuhören, Nachfragen und Kritikfähigkeit. Experten raten vor allem zu drei Schritten.
1. Aufmerksam zuhören:
"Beobachten Sie die nonverbale Kommunikation des Gegenübers aufmerksamer", rät Psychologe Hoenen. "Hören Sie genau zu, lassen Sie den anderen ausreden und halten Sie sich mit Bewertungen zurück." Das funktioniert in mehreren Stufen. In einem ersten Schritt sollte durch Körperhaltung, Mimik und Ausdruckssignale deutlich werden: Ich höre dir zu. Das macht Mut und veranlasst den Gesprächspartner zu offenen, persönlichen Äußerungen. Zweitens geht es darum, die Aussagen des Gesprächspartners treffend wiederzugeben. Wichtig ist, bei der Widergabe möglichst neutral zu bleiben. Und drittens geht es um die Wiedergabe der Botschaft, die der Gesprächspartner vermitteln möchte. Das kann etwa wie folgt eingeleitet werden: "Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es Ihnen vor allem darum, dass..." Das hilft dabei, die Gedanken des Anderen besser zu verstehen und sich in ihn hineinzuversetzen.
2. Perspektive wechseln
Sich räumlich in die Lage eines anderen zu versetzen, kann dabei helfen, ihn auch emotional zu verstehen. Der Manager könnte für einige Zeit ins Großraumbüro umziehen, der Inhaber in die Kantinen-Küche: Was auf den ersten Blick skurril klingt, bringt in Wahrheit oft neue Perspektiven.
3. Persönlichkeit hinterfragen
Wer andere verstehen will, muss sich selber kennen. Falls Sie das üben wollen: Setzen Sie sich mit Personen zusammen, denen Sie vertrauen. Jeder schreibt über jeden (auch über sich selbst) mindestens drei Stärken und mindestens drei Schwächen auf. Anschließend diskutieren Sie die Einschätzungen. Dann können Sie etwas Neues über sich lernen.
Doch wie immer gilt: Die Dosis macht das Gift. Heißt konkret: Die Empathie darf nicht Überhand nehmen. Denn aus Mitgefühl kann schnell Mitleid werden: "Ein Manager soll die Gefühle des Gegenübers nachvollziehen und bewerten können", sagt Matthias Hoenen, "aber nicht aufgrund dieser Gefühle wichtige Entscheidungen fällen."