Führungswechsel
Quelle: imago images

Archäologie der Zukunft – das wird uns KI noch bringen

Was wir heute für Innovationen halten, treibt die Menschheit zum Teil schon seit langem um. Umgekehrt können wir an Trends erkennen, was in Zukunft unser Leben prägen wird. Wir müssen nur wie Archäologen danach suchen.

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„Die Zukunft ist schon da. Sie ist nur ungleich verteilt.“ Dieses Bonmot stammt von William Gibson, einem amerikanischen Science-Fiction-Autor. Er bezeichnete sich selbst aber lieber als „Archäologe der Gegenwart“, weil er nur ausbuddele, was eigentlich schon da sei. Und er hat recht. Wir sind heute höchstens Zeugen des technischen Endspurts einer jahrhundertelangen Entwicklungsgeschichte. Wenn überhaupt.

Selbst die technischen Innovationen Künstliche Intelligenz, Deep Learning, Data Mining, Cybersecurity sind alle nur scheinbar brandneu; in Wahrheit tragen diese Innovationen bereits lange Bärte der Jahrhunderte.

Den ersten Schachcomputer präsentierte der deutsch-ungarische Hofsekretär Wolfgang von Kempelen im Jahre 1769. Okay, da war Betrug im Spiel. Dafür berichtete schon der antike Schriftsteller Homer, dass der Gott Hephaistos selbstfahrende Fahrzeuge und intelligente, handwerkliche geschickte künstliche Dienerinnen angefertigt hatte. Mag auch Legende sein, aber sind die heutigen Maschinen denn wirklich so intelligent und autonom wie gern behauptet?

Und Big Data? Archäologische Funde belegen flächendeckende Datenerhebungen bereits im alten Mesopotamien. Und von einer folgenschweren Volkszählung erzählt schon die Bibel.

Kurz: Die Zukunft ist schon lange da, und zwar länger als wir uns erinnern können. Ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen in der Welt nehmen wir höchstens bruchstückhaft wahr.

Als Gründerin eines auf Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit fokussierten Beratungsunternehmens und als Aufsichtsrätin mit Mandaten in drei Ländern reise ich nicht nur durch verschiedene Zeitzonen, sondern quasi auch durch verschiedene Zukunftszonen der Erde. In dieser Weise privilegiert kann ich – als „Archäologin der Zukunft“ – einzelne Scherben, Gefäße, Steine und Metallstücke zusammentragen, aus denen sich die technische Welt von morgen ziemlich gut „prä-konstruieren“ lässt.

Wer den Stellenwert Künstlicher Intelligenz in Europas Zukunft verstehen will, sollte den Blick nach China richten. Dort gab es schon 2018 eine Sensation, die im selbstherrlich verträumten Europa kaum jemand wahrgenommen hat: „Human Parity“ im Bereich Übersetzung. Im Klartext: Maschinen konnten plötzlich genauso gut übersetzen wie Menschen.

Die „Menschengleichheit“ der Maschinen feiert Triumph um Triumph: In Singapur wurde ein erster unbemannter Taxiservice gestartet. KI-Anwendungen diagnostizierten Krebszellen auf Bildern besser als erfahrene Ärzte. Und in Hongkong sitzt der erste Roboter im Aufsichtsrat eines Risikokapitalgebers.

Das McKinsey Global Institute prophezeit: Schon im Jahr 2030 werden rund siebzig Prozent aller Unternehmen zumindest eine KI-Anwendung implementieren. Volkswirtschaftliche Modelle des Institutes zeigen, dass Künstliche Intelligenz neue wirtschaftliche Betätigungsfelder im Gesamtvolumen von etwa 13 Trillionen Dollar ermöglichen könnte. Das wären 16 Prozent mehr als das heutige kumulierte globale Bruttoinlandsprodukt (GDP), also ein jährliches GDP-Wachstum von etwa 1,2 Prozent.

Solche phantastischen Potenzial-Prognosen bringen Investitionen zum Sprudeln. Und die Geldflüsse werden nicht so schnell versiegen. Investoren erhoffen sich für die KI-Welt einen ewigen Frühling, der in den nächsten drei bis fünf Jahren allen mutigen Anwendern und Anlegern eine reiche Ernte bescheren wird.

Doch KI ist kein Selbstläufer zum Erfolg. Wer möchte, dass der erhoffte Frühling auch im eigenen Unternehmen Knospen sprießen lässt, sollte zwei kryptisch anmutenden Akronymen beachten: XAI und GANs.

XAI steht für Explainable Artificial Intelligence, deutsch „Erklärbare KI“. Es geht um die Transparenz darüber, wie Maschinen „entscheiden“. KI-Ethikspezialisten warnen zurecht. Automatisierte Anwendungen in Finanz- oder Gesundheitsdienstleistungen werden zur Gefahr, wenn sich nicht nachvollziehen lässt, wie einzelne Entscheidungen (etwa bei einer Kreditvergabe) getroffen werden.

GANs steht für Generative Adversarial Networks, deutsch „Generative gegnerische Netzwerke“. Um ihre Attacken zu perfektionieren, nutzen Cyberkriminelle GANs, die Maschinen „verwirren“: Plötzlich identifiziert ein autonomes Fahrzeug einen simplen Busch als laufenden Waschbären; ein Mensch hört eine verstellte Stimme am Telefon; Präsident Obama äußert im Video rassistische Sprüche.

Für uns Zukunfts-Archäologen ist deswegen klar: Technologiekompetenz wird in der KI-Welt noch wichtiger als in den frühen Zeiten der Digitalisierung. Dafür sind die Skalierungsmöglichkeiten der KI zu groß, sowohl für die Profitabilitäts- wie auch für die Risikoseite. Denn anders als die Zukunft ist der erhoffte Gewinn nämlich nicht schon da; er wird aber wahrscheinlich eines Tages ungleich verteilt.

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