Führungswechsel
Richtig gut kann die Medizin werden, wenn Mensch und Maschine sich ergänzen. Quelle: imago images

KI in der Medizin bietet große Chancen – was fehlt, sind die Daten

Wie geht der Kampf Maschine gegen Mensch im Gesundheitswesen aus? Ein Blick nach China zeigt: Die Möglichkeiten sind riesig, es fehlen aber die richtigen Daten. Und es herrscht zu viel Angst vor dem gläsernen Patienten.

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Mehr als die Hälfte der Menschen ist bereit, neue Technologien zu nutzen, wenn es um ihre Gesundheit geht. Das ergab eine aktuelle PwC-Studie. Die Digitalisierung der Gesundheitsbranche ist ohnehin längst im Gange, egal ob Terminvergabe-Apps oder Online-Apotheken, ob Fitness-Tracker oder Schadensmeldung bei der Krankenversicherung. Bislang wird die Branche quasi nur umzingelt. Doch jetzt geht es an die Essenz – zunächst im Bereich der Diagnose.

Eine US-Studie zeigte schon vor Jahren, dass zwölf Million Amerikaner falsch diagnostiziert werden. Jedes Jahr! Hauptursache war nicht etwa die Fehl-Interpretation, sondern es waren fehlende Daten. Ärzte können nur auf Basis dessen entscheiden, was sie wissen. Und sie wissen nicht genug. Daten-Management ist also kein modischer Trend, sondern medizinische Notwendigkeit.

Die neuen Technologien werden insbesondere in China erfolgreich eingesetzt. Das Guangzhou Hospital nutzt KI bereits jetzt für jede noch so kleine Operation. Via WeChat werden nicht nur über digitale Gesichtserkennung Patienten individuell erkannt, ihre CT Scans gesammelt und sonstige Daten erhoben, sondern auch Diagnosen gestellt und Behandlungen vorgeschlagen. Das Instrument kann angeblich 200 Krankheiten mit 90-prozentiger Sicherheit diagnostizieren. Schon 2017 wurde in China ein Roboter namens Xiaoyi präsentiert, der mit Spracherkennungstechnik künstlich trainiert worden war. Schlagzeilen machte, als er die chinesische medizinische Zulassungsprüfung für Humanärzte bestand.

Sogar im Bereich psychischer Gesundheit entdecken Maschinen, was Profis verborgen bleibt: Viele Menschen scheuen sich, einen Psychologen aufzusuchen. Sie verstecken ihre seelischen Probleme sogar vor sich selbst, plaudern lieber in Sozialen Medien scheinbar munter mit dem Rest der Welt. Doch auch in dieser Anonymität lassen sich mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz eindeutige Hinweise auf menschliche Gesundheit oder Krankheit entdecken – und zwar mit größerer Präzision als in so manchem persönlichen Gespräch. Mit den Methoden des Deep Learning konnten zwei amerikanische Forscher anhand von Instagram-Fotos depressive und gesunde Personen unterscheiden – und zwar bevor die Betroffenen selbst, geschweige denn die Fachklinik, die entsprechende Diagnose gestellt hatte.

Ein anderes Beispiel maschineller Überlegenheit: Google fand heraus, dass ein Algorithmus anhand von Aufnahmen der Retina mit einer Genauigkeit von etwa 70 Prozent vorhersagen konnte, welche Patienten eine schwerwiegende Herzattacke (zum Beispiel einen Herzinfarkt oder Schlaganfall) erleben würden.

Eine Krankheit zeigt ihre Symptome relativ klar. Die Ursache hingegen ist besonders schwer zu ermitteln. Das Spektrum an Einflussfaktoren ist gewaltig. Erst wenn wir das Wesen eines Menschen in seiner Komplexität betrachten, werden wir die relevanten Zusammenhänge erkennen können. Digitalisierung hilft uns, größte Datenmengen auszuwerten. Zusammenhänge zu erkennen, die weder Patient noch Arzt selbst in Erwägung ziehen – genau darin sind Maschinen richtig gut.

Inzwischen ist klar, dass es gar nicht so viele Daten braucht, wie man oft denkt. Wichtiger ist die Qualität. Doch die besteht gerade nicht bei handverlesenen Datensätzen, sondern bei möglichst vielfältigen ungefilterten Daten. KI zeigt die besten Arbeitsergebnisse, wenn man sie mit ausreichend, aber möglichst unbearbeiteten Daten füttert. Wenn es um Intelligenz geht, brauchen auch Maschinen Rohkost. Sie filtern dann die überflüssigen Ballaststoffe heraus und verwerten die puren Nährstoffe.

Allerdings mangelt es im medizinischen Bereich meist genau daran. Denn bei Krankheiten spielen eine Vielzahl von komplex miteinander verwobenen Einflussfaktoren eine Rolle – Alter, Geschlecht, Ethnie, genetische Veranlagung, aber eben auch Wohn- und Arbeitsumfeld, aktuelle und frühere Lebensgewohnheiten. Darüber hat Google heutzutage genauere Informationen als der Hausarzt, der aufgrund von Datenschutzregelungen nicht einmal die gesamte Krankheitsgeschichte kennt.

Damit sich das ändert, müsste man die Gefahren von Datenmissbrauch sicher abwehren, in der Gesundheitsbranche ein besonders sensibles Thema. Die Nutzung von unter strenger Aufsicht anonymisierten Daten hilft zwar bei der Forschung und Entwicklung von Medikamenten, nützt aber nichts im konkreten einzelnen Behandlungsfall. Hier geht es ja gerade um individuelle Zusammenhänge zwischen Lebensgewohnheiten und Erkrankung.

Derzeit laufen wir Gefahr, dass unsere Ärzte diagnostisch im Dunkeln tappen, nur weil wir Angst haben, Licht zu machen. Sicher, so manche Versicherung wird versuchen, Menschen mit einem höheren Krankheitsrisiko höhere Beiträge abzuverlangen oder ihnen erst gar keinen Versicherungsschutz anbieten. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, durch klare Regulierung solche systematische Benachteiligung von Personen zu verbieten.

Die Ärzte selbst jedenfalls müssen nicht um ihre Existenz bangen, wissen wir doch aus Erfahrung, dass die persönliche Zuwendung einen wesentlichen positiven Einfluss auf den Genesungsverlauf hat. Der regelmäßige individuelle Kontakt motiviert Patienten, sich aktiv am Behandlungsprozess zu beteiligen – nicht zu vergessen die Effekte auto-suggestiven Denkens. Deswegen werden Roboter die ärztliche Behandlung so wenig ersetzen wie Bücher das menschliche Denken abgeschafft haben. Anders gesagt: Wenn sich ein Arzt durch einen Computer ersetzen lässt, dann hat er es wohl auch nicht anders verdient.

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