Führungswechsel
Quelle: dpa

Spahns DVG – ist das schon die Disruption im Gesundheitswesen?

Die Digitalisierung wird die Gesundheitsbranche stark verändern – es braucht neue Geschäftsmodelle und Datenplattformen. Spahns Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) enthält eine Weltneuheit. Aber das reicht leider nicht.

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Jetzt soll es also bald Apps auf Rezept geben: Laut Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) können vom Jahr 2020 an digitale Gesundheitsanwendungen nach Prüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.

Bereits jetzt werden Apps oder digitale Geräte vereinzelt von Krankenkassen erstattet. Denn dass einzelne Apps einen positiven Effekt in Gesundheits-Vorsorge oder Therapie haben können, ist unstrittig. So jubelt Gesundheitsminister Jens Spahn durchaus zurecht über die Weltneuheit: „Wir werden das erste Land auf der Welt sein, das solche Apps auch bezahlt.“

Doch der wahre Durchbruch des DVG ist ein anderer: Unter anderem durch die Förderung der Telematik-Infrastruktur können Ärzte zukünftig Videosprechstunden anbieten, die gerade die Versorgung im ländlichen Bereich verbessern können. In einem Umfeld, wo immer noch ausschließlich per Post und Fax kommuniziert wird, gleicht die Einführung von elektronischen Patientenakten, E-Rezepten, Apps und Telemedizin einer Revolution. Das ist an der Zeit. Längst bewältigen wir unseren Alltag per Handy oder Tablet. Warum nicht auch in der Gesundheitsversorgung?

Patienten mögen es nicht, wenn sie auf jeder Krankenstation all ihre Daten wieder neu angeben und ihre Datenhistorie mühsam von einem Spezialisten zum nächsten tragen müssen. Angenehmer wäre es, wenn sich alle Akteure über zuverlässige Kommunikationsnetze verbänden und austauschten.

Bei allem wabert weiterhin die Technologie-Verweigerungsformel „Datenschutz“ durch die Diskussion. Ja, natürlich gehört auch Datenschutz dazu. Im DVG wird dies in Form von Anonymisierung und Pseudonymisierung an den verschiedenen Prozessstufen auf höchstem Niveau mitgedacht. Dass die Grundrechte gewahrt werden, dafür wird die Fachwelt sorgen.

Doch die digitale Disruption wird die Gesundheitsbranche sehr viel radikaler in Frage stellen als manche meinen – erst recht, wenn wir verhindern wollen, dass uns China den Marktzugang abgräbt. Drei drängende Punkte stehen auf unserer Prüfliste:

1. Lösungen aus einem Guss

Statt in Einzelteilen sollten wir schnellstmöglich in Patientenlösungen denken und uns entsprechende Erstattungsmodelle für integrierte Service-Produkt-Kombinationen überlegen. Aus Patientensicht ist es nämlich total egal, wer welchen Teil einer Therapie – Diagnose, Medikation, Kontrolle – vornimmt. Als Patientin will ich optimal versorgt sein. Kompetent. Schnell. Sicher. Egal von wem. Also brauchen wir Bezahlmodelle, die unkompliziert zwischen Herstellern, Versorgern und Krankenkassen geregelt sind – egal ob für Privatpatienten oder gesetzlich Versicherte. Damit können übrigens auch Gesundheitskosten gesenkt werden.

2. Bessere Ergebnisse durch Personalisierung

Wir benötigen dringend finanzielle Anreize, um in Forschung und Innovation in Europa respektive Deutschland zu investieren. Denn die größte Chance der Digitalisierung liegt darin, über den verbesserten Zugang zu Patientendaten bessere Forschungsergebnisse zu generieren und personalisierte Therapieansätze für spezifische Patientengruppen zu erlangen. Mit Hilfe vernetzter (und natürlich anonymisierter) Informationen lassen sich spezifische Korrelationen von Krankheit, Alter, Geschlecht, Lebensweise etc. auf der einen Seite und Therapie, Medikation, Anwendungsformen etc. auf der anderen Seite ermitteln. Die wiederum genutzt werden, um medizinische Geräte, pharmazeutische Produkte und therapeutische Prozesse optimal auf den individuellen Bedarf abzustimmen.

Das DVG ist diesbezüglich leider noch viel zu zaghaft. Zwar wurde bereits ein Förderprogramm für forschende Unternehmen ab dem Jahr 2020 beschlossen und damit nachgeholt, was in 31 der 36 OECD-Staaten längst Normalität ist. Aber das Volumen ist auf einen steuerlichen Nachlass von 25 Prozent bis maximal zwei Millionen Euro jährlich beschränkt. Das mag attraktiv sein für niedrig-budgetierte Biotech- oder Startup-Unternehmen, die eher Kurzzeitzyklen anstreben, aber für die großen forschenden Gesundheitsorganisationen leider wenig relevant, die Milliarden in Forschung investieren und dabei eine langfristige unsichere Rendite-Perspektive haben. Im internationalen Vergleich gibt es attraktivere Angebote. Schon in Frankreich reden wir von 30% Steuernachlass bei Forschungsinvestitionen bis 100 Millionen und 5% darüber hinaus. Schluss mit solch konkurrierendem Steuer-Kleinklein!

3. Eine europaweite Datenplattform

Wir brauchen eine gemeinsame europäische Plattform für anonymisierte Patientendaten, die nicht nur den Regierungen, Universitäten und einzelnen Forschungszentren offensteht, sondern auch den Forschungs- und Entwicklungsbereichen der Privatwirtschaft zugänglich ist – selbstverständlich streng limitiert nach europäischen Datenschutz-Regeln.

Das DVG ist ein guter erster Schritt. Aber nationale Reformen mit Pilotcharakter bringen uns nicht voran. Die relevanten Healthcare-Investitionen fließen im Moment in die USA und nach China. Der Vorsprung der anderen wächst!

Wenn wir die Gesundheitsversorgung unserer Bürger nicht anderen überlassen wollen, muss dringend Bewegung in die Sache kommen. Und dabei gilt es, europäisch zu denken! Keine leichte Aufgabe, aber vielleicht gibt es ja bald eine App dafür.

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