Gallup-Studie Jobwechsel? Ja gern! Die Great Resignation erreicht Deutschland

Quelle: Getty Images

Deutschlands Arbeitnehmer fühlen sich so wenig an ihre Arbeitgeber gebunden wie nie zuvor, zeigt die neue Gallup-Studie 2021. Und die Möglichkeiten, den Job zu wechseln, waren nie so groß. Wie Unternehmen nun Talente an sich binden können.

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Die Bereitschaft zum Jobwechsel war unter den deutschen Beschäftigten noch nie so hoch wie derzeit, analysiert das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gallup. Jeder vierte Beschäftigte ist auf dem Absprung und will in einem Jahr nicht mehr bei seinem derzeitigen Arbeitgeber sein, zeigt die aktuelle Umfrage des Gallup Engagement Index 2021, der seit 21 Jahren jährlich die Mitarbeiterzufriedenheit der Belegschaften misst.
Besonders bedrohlich für die Unternehmen: Unter denjenigen, die mit dem Gedanken an einen Jobwechsel spielen, ist bereits jeder vierte auf der Suche nach einer neuen Stelle, so die Erkenntnis Marco Nink, verantwortlich für die Umfrage. Für die Unternehmen dürfte sich die Lage nicht so schnell bessern. Denn insgesamt hegen 42 Prozent der Befragten Wechselabsichten, das aber erst innerhalb der nächsten drei Jahre. Hinzu kommt: Der Jobwechsel ist leichter als noch vor einigen Jahren. Viele Firmen bieten auch neuen Mitarbeitern die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, sodass sie gar keinen Umzug auf sich nehmen müssen.

Wechselbereitschaft höher als in den USA

Nink vergleicht: „Zum ersten Mal ist die Wechselbereitschaft der Arbeitnehmer in Deutschland sogar höher als in den Vereinigten Staaten, wo mit der sogenannten Great Resignation eine riesige Kündigungswelle durchs Land rollt.“ In den USA sind aktuell zehn Prozent der Mitarbeiter auf dem Absprung. Der Technologiekonzern Apple zahlt seinen Ingenieuren laut Medienberichten deshalb bereits sechsstellige Bleibeprämien in Aktienpaketen, um Abwerbungen der Konkurrenz zuvorzukommen. 

Auslöser für die neue Aufbruchstimmung ist die Tatsache, dass sich etliche Mitarbeiter von ihren Unternehmen in der Coronapandemie von ihrem Arbeitgeber im Stich gelassen fühlten. Anderen fiel wiederum durch den Abstand zum Büro und den Alltag mit den Kollegen auf, dass ihre Lebensziele doch andere seien als ihre derzeitige Situation.

Mehr als jeder Dritte durch Stress ausgebrannt 

„Die Lebenszufriedenheit hat insgesamt deutlich abgenommen“, urteilt Nink. Die Burn-out-Quote ist auf 35 Prozent gestiegen, 2019 lag sie erst bei 26 Prozent. Von den Befragten sagten 38 Prozent, dass sie in den vergangenen 30 Tagen das Gefühl hatten, gestresst und ausgebrannt zu sein.

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„Das Arbeitsumfeld hat einen hohen Einfluss darauf, wie gesund sich die Leute fühlen“, so Nink weiter. Für ihn ist besonders überraschend: 58 Prozent der Mitarbeiter würden ihre psychischen Probleme sogar mit ihrem Vorgesetzten besprechen. „Die Unternehmen treffen damit auf eine ungewohnte Offenheit der Mitarbeiter bei psychischen Problemen, worauf sie ihre Führungskräfte vorbereiten sollten“, rät der Personalexperte. Er warnt: Wenn Vorgesetzte nun nicht mit dem Vertrauen ihrer Mitarbeiter umzugehen wissen, werde sich beim nächste Mal keiner mehr an sie wenden.

Empfänglicher für Angebote von der Konkurrenz

Laut Gallup sind nur 17 Prozent der Befragten emotional an ihren Arbeitgeber gebunden – und damit 83 Prozent empfänglich für ein Angebot von der Konkurrenz. So kommt es, dass sich derzeit die Firmen gegenseitig die Mitarbeiter abwerben und viele Firmen in ihrer Not Headhunter mit 30 Prozent vom Jahresgehalt der Neuen honorieren. Und die Personalberater melden sich häufiger denn je bei den befragten Arbeitnehmern, denen die Abwerbeangebote gerade jetzt hochwillkommen sind: Jeder dritte Befragte (31 Prozent) wurde laut Gallup in den vergangenen zwölf Monaten von einem Headhunter kontaktiert. Das sind doppelt so viele Offerten wie noch vor drei Jahren (15 Prozent in 2019). 

Ein paar Jahre früher in die Rente

Dabei versuchen – ähnlich wie in den USA – viele Beschäftigte über 50, früher in Rente zu gehen, berichtet Nink. „Der Stellenwert der Arbeit an sich hat sich verändert und ist gesunken.“ Auf die Frage, ob man weiterarbeiten will, obwohl man es beispielsweise nach einem Lottogewinn nicht mehr müsse, antworten nur noch 61 Prozent mit „ja“. Vor sechs Jahren waren das noch 77 Prozent.

Für Gallup-Experte Nink ist der stärkste Hebel von Unternehmen – außer Geld – gute Mitarbeiterführung durch die direkten Vorgesetzten: „Die wirken als emotionales Auffangbecken und schützen vor Fluktuation.“ So vermeiden die Firmen hohe Fehlzeiten und Arbeitsunfälle, sichern sich mit der erhaltenen Erfahrung in der Belegschaft Kundenzufriedenheit und bessere Vertriebsergebnisse, kurz: mehr Wettbewerbsfähigkeit. Volkswirtschaftlich liegen diese Fluktuationskosten zwischen 93 und 115 Milliarden Euro jährlich, so die Studie.

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