Jeffrey Wijnberg sieht das genauso. Der niederländische Psychologe wehrt sich ebenfalls gegen die „Diktatur des Glücks“, wie er sie in dem gleichnamigen Buch nennt, das vor Kurzem erschienen ist. „Die Suche nach dem Glück ist zu einem Trend geworden, der sich in den vergangenen Jahren immer weiter verstärkt hat“, sagt Wijnberg. „Wie eine politische Korrektheit gibt es auch eine psychologische Korrektheit, die besagt, dass positive Emotionen immer besser sind als negative. Über Zufriedenheit und Glück sprechen viele lieber als über Wut, Aggression, Missgunst und Trauer.“
Das ist ebenso verständlich wie gefährlich, findet Wijnberg. Denn es blendet einen großen Teil des Lebens aus. Und es kann dazu führen, dass sich Menschen, die nicht ständig glücklich sind, Vorwürfe machen und Angst vor den Nebenwirkungen dunkler Gefühle haben. Wijnberg erlebt das bei Patienten in seiner Praxis häufig selbst. Sie fürchten gewissermaßen die Kehrseite der Glücksforschung: Wer nicht glücklich ist, der stirbt womöglich früher, hat weniger Freunde und lässt sich öfter scheiden. Da kann man schon mal Angst vor der eigenen schlechten Laune bekommen.
Diese Einstellung sei Unsinn, findet Wijnberg. Er bezweifelt, dass mit Glück alles besser läuft. „Negative Gefühle sind extrem wichtig“, sagt er. „Sie erzeugen Antrieb und Motivation.“
Wut treibt Revolutionen, nicht Glück
Schon Aristoteles war ewiger Frohsinn ziemlich suspekt. „Wer niemals wütend ist, wird sich auch nie wehren“, schrieb der griechische Philosoph in der „Nikomachischen Ethik“. Der mutige Mann handele „aus dem Beweggrund der Sittlichkeit, aber der Zorn hilft ihm dabei“. Aristoteles glaubte, dass im Ärger eine wichtige Kraft steckt. „Wut hat oft etwas mit erlebter Ungerechtigkeit zu tun und kann daher auf ein wichtiges Problem hindeuten“, sagt auch Thomas Artmann, Psychologe und Geschäftsführer der Beratungsagentur Eudemos.
Mit wem wir uns im Beruf am häufigsten streiten
Je mehr ein Mensch mit einem anderen zu tun hat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie aneinander geraten. Entsprechend gaben 37 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage "Streit - erfolgreich oder folgenreich" der IHK Frankfurt an, sich häufig mit Kollegen beziehungsweise Mitarbeitern zu streiten.
Mehr als ein Drittel gab an, sich häufig mit Führungskräften zu streiten.
Ein Viertel sagte, dass sie häufig mit der Geschäftsleitung aneinander geraten.
23 Prozent streiten sich häufig mit Kunden.
Bei 14 Prozent sind Zulieferer ein häufiger Streitgrund und -partner.
Elf Prozent streiten sich häufig mit Behörden, mit denen sie beruflich zu tun haben.
Jeweils sieben Prozent gaben an, sich mit Gesellschaftern beziehungsweise Kooperationspartnern in die Haare zu kriegen.
Nur drei Prozent geraten häufig mit Kapitalgebern und Banken aneinander.
Das zeigt schon ein Blick in die Geschichte: Von den europäischen Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert über die Bürgerrechtsbewegung in den USA bis zu Occupy – viele wichtige gesellschaftliche Umbrüche wurden angetrieben von Wut über Ungerechtigkeit. Zusammengebissene Zähne sind eben oft überzeugender als ein Lächeln, denn sie machen klar: Hier kommt jemand, der sich zur Not nimmt, was er will, und dem man daher besser zuhört.
Wütende Menschen wirken besonders motiviert
Auch im täglichen Leben und bei der Arbeit setzt Ärger oft wichtige Kräfte frei. Bei Verhandlungen kann es zum Beispiel durchaus helfen, zwischendurch mal so richtig wütend zu werden. In einem Experiment ließen drei Psychologen von der Universität Amsterdam und der Universität Cardiff mehrere Probanden über den Kauf eines Mobiltelefons verhandeln. Eine Hälfte der Teilnehmer trat als Verkäufer auf, die anderen waren die Käufer. Jeder sollte für sich einen möglichst guten Preis herausholen. Wenn ein Käufer während der Verhandlungen wütend wurde, bekam er ein deutlich besseres Angebot. Die Netten wurden von den Verkäufern hingegen regelmäßig über den Tisch gezogen.
„Ärger wird auch von denjenigen, die ihn aushalten müssen, nicht immer als etwas Negatives wahrgenommen“, sagt Ursula Hess, Professorin für Sozial- und Organisationspsychologie an der Humboldt-Universität Berlin. „Manchmal wirkt jemand, der wütend wird, dadurch besonders engagiert und motiviert.“ Hess hat die Wut in zahlreichen Studien untersucht und dabei immer wieder festgestellt, dass das heftige Gefühl viele gute Seiten hat: Es signalisiert Stärke und Gerechtigkeitssinn und kann damit sogar dazu führen, dass man im Ansehen von Kollegen und Mitarbeitern steigt.