Gefühle im Job „Ekel führt zu Gesundheit, auch im Job“

Wir brauchen den Ekel, gerade auch im Beruf, sagt Coach Christoph Theile Quelle: imago images

Gefühle steuern unser Verhalten und das der Menschen, mit denen wir interagieren. Christoph Theile vermittelt Führungskräften in Seminaren einen bewussteren Umgang damit. Im Interview erklärt er, wie das funktioniert.

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WirtschaftsWoche: Herr Theile, Sie vertreten die Auffassung: Wir brauchen den Ekel, gerade auch im Beruf. Das klingt nicht so nach Spaß bei der Arbeit. Was ist gemeint?
Christoph Theile: Wir haben sieben Basisemotionen, allerdings rufen einige der Begriffe zu Unrecht negative Assoziationen hervor. Nur Freude und Erstaunen sind positiv besetzt. Als negativ gelten dagegen Zorn, Furcht, Trauer, Ekel und Verachtung. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn wir auf die Ziele schauen, die die Emotionen haben: Ekel führt zum Beispiel zu Gesundheit, Verachtung zu Klarheit über die eigene Identität. Und Furcht ist eine Emotion, die uns Sicherheit bietet.

Bei Lebensmitteln ist völlig nachvollziehbar, dass Ekel die Gesundheit schützt. Aber warum im Job?
Ekel ist die Widerstandsemotion. Alles, was mir nicht gefällt, was ich aber noch nicht klar formulieren kann, führt zu Ekel. Wenn mir klar ist, warum ich etwas nicht will, ist der Ekel nicht mehr so vorherrschend.

Also: Wenn der Chef kommt und mir einen Stapel Arbeit auf den Tisch knallt und mich das alles andere als erfreut, nennt man das gleich Ekel?
Genau. Und diese Emotion zeigt: Da ist ein unerfülltes Bedürfnis. Ich fühle mich zum Beispiel nicht respektvoll behandelt, genau dieses Bedürfnis wird also gerade nicht erfüllt. Deswegen steigt jetzt der Ekel, beziehungsweise Widerstand in mir auf als notwendige, gesundheitsverteidigende Reaktion.

Christoph Theile ist Führungskräftetrainer und Geschäftsführer der EQting GmbH in Hamburg. Quelle: Presse

Meistens nützt diese Haltung massiver Unlust aber doch nichts – die Arbeit muss getan werden. Warum gehen Mitarbeiter in die Verweigerung?
Das hat zumeist eine Vorgeschichte. Der Gedanke dabei ist häufig: Der Chef soll sehen, wo er bleibt. Das ist eine innere Wut. Ich habe mich über den Vorgesetzten vielleicht schon vorher wirklich geärgert und das nicht nur einmal. Die Wut ist eine Mischung aus Zorn und Ekel.

Warum spielt der Ekel so eine große Rolle?
Das ist gesellschaftlich-kulturell bedingt. Ich sage manchmal: Der Ekel ist typisch deutsch. Natürlich haben das alle Menschen. Aber die deutsche Art miteinander umzugehen, ermöglicht es eher, den Ekel zuzulassen. Menschen aus asiatischen Kulturen etwa leben ihren Ekel nicht aus – obwohl er auch da ist. Dann richtet sich diese Emotion nach innen.

Der sogenannte Kreis der Emotionen zeigt die sieben Basisemotionen Freude, Zorn, Verachtung, Ekel, Furcht, Trauer und Erstaunen. Die Begriffe auf den farbigen Flächen benennen den Gemütszustand, wenn die jeweilige Emotion ausgewogen vorhanden ist. Steigt eine Emotion an, kann eine andere dabei „sinken“. So ist zum Beispiel die Steigerung von Interesse die Begeisterung. Wer von etwas begeistert ist, verliert aber gleichzeitig auch seine Aufmerksam- bzw. Wachsamkeit, wird sorgloser. Wer verliebt ist, wird nicht gleichzeitig in eine Haltung der Abwehr (Steigerung von Ekel) gehen, sondern im Gegenteil die Schilde fallen lassen, sich also angreifbar machen. Wer mehr als nur entschlossen ist, will etwas umsetzen - und fokussiert sich selbstbewusst auf sein Ziel. Quelle: Presse

Das ist aber auch nicht gut.
Richtig. Das ist dann Gewalt nach innen, ein großes Gesundheitsthema. Ich drücke die Gewalt nicht nach außen aus, sondern ziehe sie in mich hinein und werde dadurch krank.

Dann müssten die Deutschen, wenn Sie richtig liegen, aber ein enorm gesundes Volk sein. Und Asiaten krank.
Nicht zwangsläufig. Was wir im Alltag bei vielen Menschen erleben, sind nur heftige Wechsel zwischen Widerstand und Angreifbarkeit. Gesundheit dagegen ist ein emotionaler Ausdruck nach außen: Ich bin immun gegen Angriffe, wenn ich mich immun fühle. Mit diesem Gefühl von Immunität bin ich gleichzeitig auch selbstbewusst und kann mir zum Beispiel genau überlegen: Will ich das machen oder nicht? Wenn es sich so anfühlt, dass es mir gesundheitlich schadet, dann kann ich auch mal Nein sagen. Und dazu sehen sich sehr viele Menschen – auch in Deutschland – nicht in der Lage. Das Pflichtgefühl ist extrem hoch ausgeprägt.

Was ist zu tun, wenn jemand nicht die Klarheit hat, was er tun oder nicht tun will und warum?
Als erstes gilt es zu beachten, dass sich Emotionen gleicher Art immer gegenseitig verstärken. Das kann man bei Kindern gut beobachten: Ich sage meinem Kind etwas, es geht in den Widerstand, durch den Widerstand meines Kindes gehe ich in den Widerstand und am Ende machen wir uns komplett an. Es muss aber nicht eskalieren. Es gibt zwei Möglichkeiten, den Widerstand aufzulösen. Totales Loslassen oder große Klarheit. Ich gebe also zum Beispiel zu verstehen: Erkenne selbst, was das für Konsequenzen hat. Oder ich sage: Das ist das, was ich mir von dir wünsche – und gehe. Aber nicht, weil ich etwas sage – dann kommt wieder Widerstand – sondern weil es nachvollziehbare Gründe gibt.

Übertragen wir das mal auf das Chef-Mitarbeiter-Verhältnis. Wie kommuniziert man als Führungskraft am besten eine Aufgabe?
Wer eine Aufgabe übertragen bekommt, sollte diese einmal selbst ausgesprochen haben. Wenn der Chef sagt: Schicken Sie bis 16 Uhr die Mail und Sie sagen im Vorbeigehen, jaja, mache ich, dann vergessen Sie es. Wenn er aber sagt: Ich habe eine Sache, die ist mir wirklich unglaublich wichtig, erzeugt er Aufmerksamkeit. Am besten legt er danach eine rhetorische Pause ein. Dann kommt garantiert die Frage: Was ist es denn? Dann kommt die Aufgabe: Können Sie das und das bis dahin erledigen? Dann könnte kommen: Ja, mache ich. Nun müsste der Vorgesetzte herausfinden, ob es wirklich angekommen ist. Ist es vorgekommen, dass Sie Dinge vergessen, will ich es Sie sagen hören. Dann frage ich: Was wollen Sie genau machen? Natürlich wirkt das etwas von oben herab, aber manchmal ist es einfach nötig. Antwort: Okay, ich schicke die Mail bis 16 Uhr. Das gelingt, weil Sie im emotionalen Modus von hoher Aufmerksamkeit sind. Diese Emotion sorgt für deutlich bessere Wahrnehmung bei Ihrem Gegenüber.

Wie sorgt man dafür, dass sich die Methode nicht abnutzt?
Wenn ich immer die gleichen Worte wähle, nutzt es sich ab. Aber nicht, wenn ich die Emotion aufbaue. Mein Gegenüber spürt dann, dass ich gerade Aufmerksamkeit verlange. Die höchste Aufmerksamkeit spiegelt sich dann automatisch.

Wie baue ich die auf?
Es gibt eine Methode: Wenn ich mich frage, was ich in diesem Moment alles wahrnehmen kann – und die Frage unbeantwortet lasse – dann bin ich voll da. Wenn ich dann mit dieser Ruhe und eigenen Aufmerksamkeit spreche, dann fokussiere ich automatisch: „Eine Sache heute, unbedingt.“ Dann spüren Sie das sofort und sind ebenfalls voll da.

„Viele glauben, dass sie nicht emotional sein dürfen“

Zurzeit wird viel über die Generation junger und künftiger Arbeitnehmer gesprochen, Stichwort Generation Z. Sie gilt als sehr entspannt und weniger gestresst. Was machen jüngere Leute anders?
Sie weichen aus. Sie gehen nicht in den Widerstand, sondern ins Loslassen. Das ist ihre Art, mit Druck umzugehen. Sie ziehen den Widerstand nicht nach innen – das Pflichtgefühl ist nicht mehr so stark – das dürfte auch gesundheitliche Auswirkungen haben.

Ist es also eine gute Reaktion?
Eigentlich nicht, weil sie sich der Sache nicht stellt. Ich stelle mich damit auch nicht meinen inneren Bedürfnissen. Das Thema Identität spielt hier eine Rolle. Identität und Gesundheit hängen aber zusammen. Ich komme nicht zu mir, wenn ich immer ausweiche. Da fehlt dann auch die Reflexion, die genau da hinführen könnte. Diese jungen Leute müssten auch mal in den Konflikt hinein und ihn ausleben. Sie vermeiden zwar den Ekel, aber der ist auch das Symbol für die Auseinandersetzung mit mir selbst. Der Ekel ist dafür da, dass wir uns selbst und unsere Werte und Überzeugungen verteidigen. Das verleiht Energie.

Was bedeutet das eben beschriebene Verhalten der Jüngeren für Führungskräfte? Müssen sie emotionaler werden?
Die Arbeit muss aus Sicht der Jungen cool sein und Spaß machen. Wie soll das ohne Emotionen gehen? Geld ist dagegen kein Faktor mehr. Wenn man des Geldes wegen arbeitet, kommt man in den kühlen, emotionsfreien Bereich, das macht nicht glücklich. Die junge Generation hat das losgelassen. Die Antwort lautet also: Ja!

Wie ist die bisherige Managementdenke in Bezug auf Emotionen?
Der Großteil der oberen Manager würde sagen: Emotionen gehören nicht in die Entscheidungsfindung. Wenn man sie aber fragt: Was ist mit Begeisterung, mit Kraft und Power, das Ding zu machen? Da stimmen sie dann voll zu. Das Problem ist also, dass Emotionen den Ruf haben, etwas Weiches zu sein. Wenn man erklärt, was alles Emotionen sind, sind auch die meisten Manager der Meinung, dass sie sie doch gebrauchen können. Natürlich wollen sie Sicherheit, das Gefühl von Erfolg und so weiter. Das Management ist gerade in einem Umbruch. Diese Managergeneration kapiert langsam, dass sie Emotionen brauchen, haben aber noch Berührungsängste. Viele glauben, dass sie nicht emotional sein dürfen. Aber sie dürfen. Und sie müssen. Das ist zwingende Voraussetzung für Führung. Wer Emotion nicht kann, dem werden die Leute weglaufen.

Das heißt, die Haltung der Jüngeren verstärkt nur die Dringlichkeit, dass Führungskräfte sich mehr Gedanken über Emotionen machen.
Es wäre schon immer gut gewesen, sich Gedanken über Emotionen machen und dann selber emotional zu werden. Aber die Vergangenheit war einfach mal so, dass wir sehr viel Energie ins Rationale und Prozessorientierte gesteckt haben. Jetzt sind wir in der Zeit der Digitalisierung. Heißt auch: Die Maschinen können die Aufgaben übernehmen, auf die wir keine Lust haben. Damit befreien wir das menschliche Potential wieder, die Kreativität.

Fußballtrainer gelten als Meister der Motivation, für den Erfolg zu kämpfen. Wenn dann ein Spiel trotzdem verloren geht, sehen wir verzweifelte, frustrierte, manchmal weinende Spieler. Was passiert da?
Beim Fußball sehen wir, was passiert, wenn man in die Extreme geht. Die Emotionen sind so aufgeheizt, dass sie außer Kontrolle geraten. Die Spieler sind so unter Druck, dass sie vor dem Tor stehen und den Ball drüber ballern. Wichtig ist zu erkennen: Es geht nicht um tatsächlichen Erfolg, sondern um das Gefühl von Erfolg. Kann ich einen Erfolg fühlen, auch wenn ich verliere? Wenn ich mit mir zufrieden bin, ja. Genauso geht es in meinem Ansatz mehr um ein Gefühl von Gesundheit, ein Gefühl von Freiheit und so weiter. Das beeinflusst wiederum meine Haltung und wie ich mein Gegenüber auch beeinflussen oder mitreißen kann.

Es klingt ein wenig unheimlich: Wo ist die Grenze, ab der ich meine Emotionen so stark kontrolliere, dass sie vielleicht gar nicht mehr authentisch sind? Was ist noch echt und welches Gefühl ist vielleicht nur mal eben hoch- oder runtergefahren worden?
Was wir uns bei unseren Reaktionen wünschen ist, dass sie aus einer souveränen Position herauskommen. Wir wollen nicht unkontrolliert herausknallen. Wir wollen nicht, dass unsere Emotionen und Gefühle uns steuern und wir hinterher bereuen, was wir gesagt oder getan haben. Das heißt nicht, dass ich die Emotionen nur steuere. Wenn ich verliebt in einen anderen Menschen bin, tue ich das ja nicht bewusst, kann das auch nicht hoch- und runterfahren. Was ich aber tun kann ist, meine Gefühlsregungen bewusster wahrnehmen. Bei einem schönen Gespräch kann ich innehalten und denken „wie schön es gerade ist“ – dann verstärkt das die Situation. Oder ich habe gerade total Stress, weil meine Sicherheit gefährdet ist. Ich kann aus dieser Panik herauskommen, indem ich mir ein Gefühl von Vertrauen aufbaue, indem ich alles genau beobachte und mich freimache. Dann komme ich aus der Starre. So finde ich einen Zugang zu meinen Emotionen. Ich werde also nicht unauthentisch, sondern kann mit meinen Emotionen umgehen.

Nun sagt vielleicht manche Führungskraft: Das ist mir zu anstrengend. Ich kann meine Mitarbeiter nicht alle ständig lesen und womöglich sogar umerziehen. Ich hole mir lieber Mitarbeiter, die von vornherein funktionieren.
Was wäre das für eine Führungskraft? Die Aufgabe ist doch Führung und eine gute Definition ist: Die Führungskraft schafft die Rahmenbedingungen, damit die Mitarbeiter erfolgreich sein beziehungsweise sich erfolgreich fühlen können. Wenn ich das ernst nehme und Emotionen erkenne und damit umgehen kann, dann werde ich diese Mitarbeiter zu Höchstleistungen bringen, sie fördern und ihre Ängste verschwinden lassen. Wenn Mitarbeiter angstfrei über ihre Bedürfnisse sprechen können, dann habe ich das maximale Vertrauen. Der Mitarbeiter kann sagen: ich mache mir Sorgen, dass ich das nicht schaffe. Oder ich erkenne es selbst. Dann bin ich wirklich Führungskraft. Wenn nicht, hat man einfach nicht verstanden, was es bedeutet, zu führen.

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