Gefühlvoll Führen Tun Sie nicht, als hätten Sie alles im Griff

Schamgefühl im Job: Mit Verletzlichkeit richtig umgehen Quelle: imago images

Die US-Soziologieprofessorin und Bestseller-Autorin Brené Brown sagt: Aus Angst oder Scham handeln Chefs und Mitarbeiter oft ungeschickt. Drei Beispiele mit Vorbildcharakter zeigen, wie es besser geht.

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Brené Browns TEDx-Talk über „Die Macht der Verletzlichkeit“ wurde seit 2010 über 38 Millionen Mal angeschaut und gehört damit zu den Top-Ten-Vorträgen des Formats. Sie ist regelmäßig zu Gast in Oprah Winfreys „Super Sunday“-Ratgebersendungen. Dabei ist ihr Forschungsgebiet wenig sexy: Scham und Schuldgefühle.

Mit Hilfe ausführlicher Befragungen ermittelte Brown, dass glückliche Menschen zwar auch Fehler machen. Aber sie werfen sich diese nicht persönlich vor („Mein Gott, bin ich blöd“, versus: „Mein Gott, war das blöd“). Sie stellte zudem fest, dass jeder lernen kann, entsprechend zu denken und zu handeln.

Denn Angst vor Scham und damit die Sorge, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, sind evolutionär sehr intensive Kräfte. Sie führen zu Vermeidungsstrategien: Ablenkung, Perfektionismus, übermäßiges Sicherheitsdenken. Wer derart beschäftigt ist, um das eigene Überleben zu kämpfen, kann weder kreativ noch fröhlich sein.

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Brown hält Vorträge an Schulen, bei der Armee und in Firmen. Schnell begannen Top-Manager, die Erkenntnisse aus dem Privatleben nicht nur daheim, sondern auch im Job umzusetzen. Browns neues Buch „Dare to Lead“ ist das Ergebnis dieser Feedbackschleife: Verhaltensweisen, die uns helfen, besser mit Freunden und uns selbst klarzukommen, nützen auch im Job. Doch wie genau soll das gehen: Verletzlichkeit im Büro?

In Deutschland ist Browns Konzept noch weitgehend unbekannt. Von Managern wird hierzulande eher erwartet, sich unverwundbar zu geben und immer Bescheid zu wissen. Dennoch handeln manche erfolgreichen Führungskräfte auch ganz anders, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Sabia Schwarzer, heute Global Head of Group Communications and Responsibility (GCORE) bei der Allianz wurde in einer schweren Krise ein Traumjob angeboten. Sie erzählt, wie sie damit umging – und zu einer starken Chefin wurde: „Wir waren in den USA und mein Mann Peter wurde schwer krank. Ich habe mich acht Monate intensiv nur um ihn gekümmert. In dieser Zeit kam von meinem damaligen Chef der Anruf, dass er gerne irgendwann gehen wollte und mich als seine Nachfolge sieht.“ Schwarzer erinnert sich: „Ich kenne meinen Mann, seit wir 17 sind und wir sind jetzt 28 Jahre verheiratet. Heute geht es meinem Mann glücklicherweise wieder gut. Ein so schweres Jahr durchzustehen hat mich in gewisser Weise auch für den Job vorbereitet. Meine Rolle ist eher die eines Nordsterns: das Unternehmen ehrlich zu halten, in unserer großen Transformation auch auf die Menschen zu achten. Ich weiß, was wichtig ist im Leben. Als mein Mann krank wurde, hat monatelang unsere Nachbarschaft für uns gekocht. Nach einem speziellen Krebs-Kochbuch. Wir hatten in unserem Haus immer Menschen – und Essen. Jeden Tag. Hätte ich die Zähne zusammengebissen und so getan, als hätte ich alles im Griff, dann hätte ich dieser Gemeinschaft die Chance genommen, sich zu engagieren.“

10 Botschaften aus "Dare to lead" von Brené Brown

Später nahm sie an einem Coaching ihrer neuen Abteilung teil. Das Team hat sich sehr gequält und kam nicht wirklich in ein Gespräch. „Ich wollte den Wandel des Unternehmens nicht begleiten und kommunizieren, sondern diesen Wandel mit der Abteilung gemeinsam abbilden und vorantreiben. Das kann man alleine nicht bewältigen.“ Als Schwarzer den Kollegen erzählte, wie sie ihre neue Aufgabe versteht, kamen ihr die Tränen, weil sie sich an die Zeit erinnerte, in der sie dieses Angebot bekommen und angenommen hatte. „Ja, bei meinem ersten Führungsmeeting habe ich geweint, aber das hat alle Anwesenden mobilisiert.“

Auch Soziologin Brown rät, schwierigen Gesprächen nicht auszuweichen. Stattdessen sei es wichtig, immer klar zu definieren, was das Ziel und wann die Aufgabe erledigt ist. Schwarzer stimmt aus ihrer Erfahrung zu: „Ich musste viele sehr schwierige und konsequente Entscheidungen treffen. Es ist manchen Kollegen schwergefallen, zu verstehen, wie das zusammenpasst: eine weiche, empathische Art, und trotzdem konsequente Entscheidungen. Wenn ich weiß, jemand ist fleißig und gewissenhaft, dann ist es für mich ganz leicht, wenn mal ein Fehler passiert – und Fehler passieren – auf den Job zu gucken und nicht auf die Person. Wo es mir schwerer fällt, und wo ich tief durchatmen muss, ist bei Menschen, von denen ich weiß, die sind immer schwierig, die stellen alles in Frage, die drücken sich. Die gibt es auch. Wenn die einen Fehler machen, bin ich geneigt, es auf die Person zu beziehen. Deswegen brauche ich Zeit in meinem Tag, um immer wieder selbst zur Ruhe zu kommen.“

Keine Angst vor Niederlagen

Ähnlich positiv sieht Julia Jäkel, CEO des Hamburger Verlagshauses Gruner & Jahr, die bewusste Trennung von Mensch und Handlung. Denn nur wer keine Angst vor Konsequenzen hat, kann sich den „Mut zum Experiment“ erlauben, der für Kreativität notwendig ist. Sie erzählt: „Nachdem wir 2015 mit großem Erfolg neue Magazine gestartet hatten wussten wir, wie innovativ G+J sein kann. Angesichts einiger Erfolgsgeschichten haben wir den Eintritt in einen der attraktivsten Märkte gewagt, den der wöchentlich erscheinenden Frauenzeitschriften.

Das Magazin „Frei“ sollte moderner, jünger und anders sein als die zahllosen Konkurrenzblätter. Alle Markt- und Werbeumfeld-Analysen sprachen für eine Erfolgsstory.“ Doch die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Die Verkaufszahlen blieben hinter den Erwartungen zurück. Auch Anpassungen von Preis, Titel und Logo halfen nicht. Nach 18 Ausgaben zog der Verlag die Notbremse und stellte das Heft wieder ein.

Dennoch – oder: gerade deshalb – bezeichnet Jäkel „Frei“ als „Schlüsselerfahrung für eine kreative Kultur und den Unternehmergeist bei G+J, weil bei den Mitarbeitern dank einer absolut offenen und stringenten Kommunikation des Scheiterns zwei Botschaften angekommen sind. Erstens: G+J erlaubt Mut und fordert das Wagnis. Zweitens: G+J entscheidet schnell und konsequent. Das war von großer Bedeutung, um eine kreative Arbeitsatmosphäre zu schaffen und zu bewahren. Denn niemand kann kreativ sein, wenn er ständig Angst vor der Niederlage hat.“

Eine derartige Unternehmenskultur, in der nicht jedes Problem gleich persönlich übel genommen wird, kann sogar noch viel größere Schäden vermeiden. Zum Beispiel, wenn man sich den Bereich IT-Sicherheit anschaut. Christian Funk, Leiter des Global Research and Analysis Team beim IT-Sicherheitsunternehmen Kaspersky, mahnt: „In vielen Firmen gibt es keine gute Fehlerkultur. Wenn Angestellte ihre E-Mails lesen und merken, dass es sein könnte, dass sie gerade auf einen Link in einer zweifelhaften Mail geklickt haben, verschweigen sie das häufig aus Scham oder Angst vor Konsequenzen. Dabei wäre es für die Firma absolut notwendig, sofort Bescheid zu wissen. Dann kann die IT-Abteilung schnell reagieren und das Schlimmste verhindern. Solche E-Mails sind sehr gut gemacht, oft zielgerichtet, es kann wirklich jedem passieren, aus sowas hereinzufallen. Doch statt die IT zu benachrichtigen, werden Spuren vernichtet, E-Mails und heruntergeladene Dateien gelöscht. Erst nach Monaten wird die Infektion entdeckt – dann ist keine Forensik mehr möglich und man kann kaum mehr feststellen, wie lange schon jemand im Netzwerk ist, welche Dateien ausgespäht wurden und welche nicht. Jeder Mitarbeiter sollte wissen: Du musst sofort reagieren und hast nichts zu befürchten!“

Wäre das auch bei ihm im Team der Fall? Funk lacht: „Ich hoffe es! Hier wissen alle, wie schnell man am Ende eines langen Tages einen Fehler machen kann.“

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