Gehirnforschung "Wer schon eine Sau ist, wird eine noch größere"

Versicherungen sind wie Klopapier. Irgendwie unsexy. Gehirnforscher wissen, wie sich solche Produkte trotzdem verkaufen lassen. Im Interview spricht ein Pionier der Disziplin über Emotionen, Ethik und Verkaufstricks. 

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Hans-Georg Häusel Quelle: Presse

Herr Häusel, dynamische Drei-Topf-Hybride sind nicht gerade ein Verkaufsschlager für Lebensversicherer. Wie kann ein Vertriebler dem Kunden ein solch verbales Monstrum schmackhaft machen?
Hans-Georg Häusel: Indem er an seine Emotionen appelliert. Sie sind unser Hauptantrieb, bei allem, was wir kaufen. Der Vertriebler muss es schaffen, die Emotionszentren im Gehirn seines Kunden anzusprechen.

Die da wären?
Dominanz, Neugierde und Harmonie. Menschen wollen anderen entweder überlegen sein, wollen Neues erfahren oder sich in Sicherheit wiegen.

Die Gesellschaft teilt sich also in Performer, Explorer und Harmonizer?
Oder Formen dazwischen. Wer dominant ist und Neues erleben will, sucht oft den ultimativen Kick. Da sind Sie dann bei den Investmentbankern dieser Welt. Wer dominieren und sich gleichzeitig sicher fühlen will, ist der typische Kontrollfreak.

Der Vertriebler muss also erst einmal verstehen, welchen Kunden er vor sich hat?
Das muss er über eine Reihe von Fragen herausfinden.

Wie sieht denn das perfekte Kundengespräch aus?
Der Vertriebler sollte den Kunden in gute Stimmung versetzen. Ordentliches Auftreten gehört dazu, weder zu aggressiv noch zu elegant. Dazu helle Räume, bequeme Stühle. Das alles macht, dass der Kunde dem Gespräch gegenüber aufgeschlossen ist.

Was wäre eine gute erste Frage?
Fragen Sie nie zuerst, wie viel Geld der Kunde bereit ist, auszugeben. Der Gedanke an Geld bereitet dem Gehirn Schmerzen. Besser ist es zunächst die Wunschbilder des Kunden zu erkunden. „Wenn Sie 100.000 Euro aus der Lebensversicherung rausbekommen, was würden Sie am liebsten damit machen?“ Der Kunde könnte antworten: „Ich würde mir einen Porsche kaufen – davon träume ich schon viele Jahre.“

Gleich einen Porsche und nicht nur ganz allgemein einen Sportwagen?
Es könnte auch eine andere attraktive Automarke sein. Aber Marken sind für viele Menschen sehr wichtig.

Warum faszinieren Marken die Menschen so?
Marken sind nichts anderes als in unserem Gehirn verankerte emotionale Bilder. Bei starken Marken hat der Kunde sofort eine Idee, was dahintersteckt. Beim BMW ist es die Freude am Fahren, bei Audi der Vorsprung durch Technik.

Die wertvollsten Marken der Welt (Stand: Mai 2014)

Die Slogans appellieren an Neugierde und Dominanz …
Unser Gehirn nimmt die Welt nicht objektiv wahr, sondern es ist stark von Marken durchdrungen. Da rattern sofort die Assoziationen los.

Wie wäre das denn zum Beispiel bei dem In-Gegenstand schlechthin, dem iPhone?
Da denken Kunden sofort an die Peergroup, mit der sie sich vergleichen wollen, an das schöne Design, aber auch an die fantastische Technik. Beim iPhone habe ich nicht nur das Gefühl, das Topprodukt zu besitzen, sondern ich kann auch neue Erfahrungen machen und fühle mich stark, beherrsche die Technik – und damit die Welt.

„Unser Leben besteht aus Manipulation“

Das hört sich fast an wie ein Automatismus.
Schon das Äffchen erledigt eine Aufgabe nur solange für Gurkenscheiben, bis es gesehen hat, dass ein anderes Äffchen für die gleiche Arbeit Trauben bekommt. So funktioniert unser Konsum. Das Belohnungssystem gewöhnt sich schnell an einen Zustand – und möchte dann immer noch einen Schnaps obendrauf.

Kann der Mensch noch steuern, was er tut?
In jedem Fall ist die Willensfreiheit lange nicht so groß, wie wir glauben. Mindestens 80 Prozent aller Entscheidungen laufen unterbewusst ab. Die meisten Menschen wissen nicht, warum sie so reagieren. Neben den Emotionen gibt es aber viele andere Dinge, die uns unbewusst beeinflussen: die kulturellen Prägungen, das soziale Umfeld, die Situation, in der wir uns zur Zeit der Entscheidung befinden …

Wann Überzeugungen zu Handlungen führen

Werden Kunden nicht öfter von Verkäufern ausgetrickst?
Unser ganzes Leben besteht doch aus Manipulation. Es ist ein Teil unseres Lebens. Jede Frau, die sich morgens schminkt, manipuliert. Weil sie anders aussieht, wenn sie aus dem Haus geht, als nach dem Aufstehen. Jeder Pfarrer, der von der Kanzel spricht, spielt mit den Emotionen der Kirchengemeinde, damit die Leute etwas spenden. Auch Journalisten schreiben doch so, dass der Text von möglichst vielen Menschen gelesen wird. Man muss die philosophische Frage stellen …

… die da lautet: Ist das ethisch gerechtfertigt?
Da gibt es unterschiedliche Positionen. Platon sagt, solange der Mensch dem anderen Gutes tut, ist Manipulation nichts Schlimmes. Jürgen Habermas würde sagen, wenn der Mensch mit dem anderen vorher keinen konstruktiven Dialog geführt hat, ist es verwerflich. Friedrich Nietzsche würde sagen: Alles was den Menschen mächtiger macht, ist okay. Grundsätzlich gilt aber: Wenn ich dem anderen durch Manipulation schade, ist das verwerflich.

Der Stuhl sollte bequem, das Büro schön renoviert sein und dann lockt der Berater den Kunden mit materiellen Wünschen. Glauben Sie nicht, dass der Kunde ein solches Gebaren durchschaut?
Jeder Berater muss in seiner Person authentisch bleiben. Natürlich könnten Berater ihr Werkzeug auch gegen den Kunden verwenden. Mit einem Küchenmesser lässt sich jemand erstechen – oder aber ein wunderschönes Mahl zaubern. Wenn der Berater mit dem Herzen bei der Sache ist und versucht, für den Kunden die beste Lösung zu finden, fühlen sich Kunden wohl, und nicht etwa manipuliert.

Die Frage ist also, wie der Verkäufer mit seinem Wissen umgeht ...
Die moralische Einstellung zum Kunden ist fundamental. Wenn Sie eine Sau sind, dann werden Sie durch Verkaufstricks eine noch größere Sau.

Sollte ein Kunde nicht in der Lage sein, ein gutes Produkt auch ohne Verkaufstricks abzuschließen?
Das Produkt spricht nicht für sich. Der Verkäufer muss dem Kunden das Produkt schmackhaft servieren – aber mit ethischem Gewissen. Die Tricks sind ja keine bösen Tricks. Wenn der Kunde glücklich ist und es dem Verkäufer selber auch nützt, umso besser.

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