Generation Babyboomer „Viele Babyboomer sind an ihre Belastungsgrenzen gekommen“

Die Generation Babyboomer verlässt allmählich den Arbeitsmarkt – sie hat ihn mit einer bestimmten Haltung für Jahrzehnte geprägt. Quelle: imago images

Die Gen Z ist zu empfindlich, zu wenig belastbar, beklagen Entscheider. Dabei sind die Babyboomer doch die Generation, die den Begriff Burnout prägte. Wie tickt die Kohorte, die langsam aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet?

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Sie treffen seit Jahrzehnten Entscheidungen. Sie besetzen aktuell noch viele Posten im Management. Und sie sind anderen Generationen zahlenmäßig weit überlegen. Nun nehmen die Babyboomer, geboren in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, Abschied von der Arbeitswelt. Wenn die Babyboomer in den nächsten 15 Jahren in den Ruhestand gehen, wird eine Lücke entstehen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts werden 12,9 Millionen Erwerbspersonen bis 2036 das Renteneintrittsalter überschritten haben. Dies entspricht knapp 30 Prozent der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen, bezogen auf das Berichtsjahr 2021.

Babyboomer haben mit ihrem Arbeitsethos auch das Erschöpfungssyndrom Burnout geprägt. Da kann es durchaus verwundern, dass die Generation dennoch mit Skepsis auf Millenials und Gen Z blickt. Und sich irritiert zeigt über deren Streben nach weniger und flexiblerer Arbeitszeit, den Wunsch nach Wertschätzung, bei Feedback und überhaupt. Denn circa 63 Prozent der Erwerbstätigen und rund 65 Prozent der Entscheider halten die Generation Z für nicht kritikfähig, zeigte eine exklusive Umfrage der WirtschaftsWoche im vergangenen Jahr.

Die Generationen auf dem Arbeitsmarkt

Belastete Babyboomer: Eine Generation prägt den Begriff Burnout

Andreas Hillert ist Chefarzt an der Schön Klinik Roseneck. Er erforscht die Zusammenhänge zwischen beruflichen Belastungen, gesellschaftlichem Wandel und psychischen Erkrankungen. „Leitmotive in der Generation der Babyboomer waren unter anderem Leitsätze wie 'Nur wer etwas leistet, ist etwas wert!'“. Die hätten positiv gesehen zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Für die Babyboomer aber war die Gefahr groß, in Überlastungskonstellationen hineinzugeraten, erklärt Hillert – also in chronischen Stress und Burnout-Erleben. Diese Ambivalenz zeichne die Generation – zu der er selbst gehört – aus. „Mit entsprechenden Mustern sind viele Babyboomer an ihre Belastungsgrenzen gekommen.“

Das Thema Burnout, erklärt er weiter, wurde etwa ab 1974 bekannt – und gab der Generation einen Begriff, der „nichtstigmatisierend“ und damit gut geeignet war, um Belastungsgrenzen zu kommunizieren. „All die heute geschriebenen und verkauften Ratgeber zur Stress- und zur Burnout-Prävention sind letztlich ein Spiegelbild dieser Babyboomer-Dynamik.“ Sie mussten lernen, ihre Belastungsgrenzen zu erkennen und sich abzugrenzen. Ein Teil der überlasteten Babyboomer erlernte Hillert zufolge das, was unter Vertretern der Generation Z längst etabliert ist: Nein sagen, achtsam sein, Grenzen setzen. Jüngere Generationen bewältigten Stress hingegen häufig eher, indem sie sich mit eigenen Zielen und der Sinnhaftigkeit von Aufgaben beschäftigen.

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Allerdings, erklärt Hillert, waren die Strategien der Babyboomer unterschiedlich: Während die einen das Nein-Sagen lernten, verabschiedeten sich andere in eine Frühberentung oder Frühpensionierung – häufig mit depressiver Symptomatik aus Überforderungserleben. So erreichten beispielsweise in den Jahren zwischen 1993 und 2001 weniger als zehn Prozent der Beamten die Regelaltersgrenze, die meisten Frühpensionierungen erfolgten aufgrund von Diagnosen aufgrund psychischer Erkrankungen. Dass die Zahl der Frühpensionierungen seitdem stark rückläufig war, führt Hillert maßgeblich auf erhöhte Versorgungsabschläge zurück.

Verschiedene Generationen erleben Belastung unterschiedlich

Dennoch warnt Andreas Hillert davor, Überlastung und Überlastungserleben im Job mit Themen wie Work-Life-Balance und kürzeren Wochenarbeitszeiten zu vermengen. Wissenschaftlich sei nicht belegt, dass wer länger als 40 Stunden pro Woche arbeitet, medizinisch gefährdet sei. Wichtiger sei häufig die sogenannte Gratifikationsbilanz, erklärt Hillert: Wer das Verhältnis aus eigener Leistung und Gratifikationen wie Gehalt, Anerkennung oder Lernmöglichkeiten als ausgeglichen empfinde, habe üblicherweise weniger Stress.

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Ein wesentliches Ergebnis einer Studie, die er Anfang des Jahres im Fachjournal „Psychotherapeut“ veröffentlicht hat, zeigt, dass das Burnout-Erleben jüngerer Menschen nicht selten deutlich stärker ist als das von älteren. Das Erleben von Belastung hat also sehr viel mit der Generationszugehörigkeit zu tun – wegen der unterschiedlichen Sozialisation. „Ein junger Mensch, der täglich liebevoll gefragt wird, wie es ihm geht – der hat feinere Antennen, die eigene Belastung zu erkennen“, erklärt Hillert. Doch vor allem Ziellosigkeit und fehlende Orientierung können für Stress sorgen. Kurzum: Babyboomer mussten lernen, sich abzugrenzen und Nein zu sagen. Angehörige der Gen Z könnten laut Hillert von etwas profitieren, was den Babyboomer zugeschrieben wird: sich verbindlich mit beruflichen Zielen zu identifizieren.

Babyboomer reizbarer und ängstlicher als früher Geborene

Der Frage, wie die Generation Babyboomer wirklich tickt, nähert sich eine Langzeitstudie an, die im Frühjahr veröffentlicht wurde. Naemi Brandt forscht an der Universität Hamburg und ist Erstautorin der Studie „Acting Like a Baby Boomer?“, in der sie mit einem Team einen großen Datensatz ausgewertet hat. Die Daten stammen von über 4700 US-Bürgern, die zwischen 1883 und 1976 geboren sind – schließen also die Generation der Babyboomer und früher Geborene ein. Die Forscher wollten herausfinden, wie sich Personen verschiedener Geburtsjahrgängen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterscheiden. Die Befragten haben sich dafür selbst beschrieben.

Die Ergebnisse lauten vereinfacht gesagt: Babyboomer sind weniger verträglich, ängstlicher, reizbarer und weniger stressresistent als Kohorten vor ihnen, also ihre Eltern und Großeltern. Kurzum, sie sind in bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen weniger reif. Positiver schneiden sie bei Persönlichkeitsmerkmalen wie Offenheit und der sogenannten Extraversion ab.

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Fragt man die Psychologin Brandt, woran das liegt, kann sie nur mutmaßen. „Eine unserer Annahmen ist, dass sich die Übergänge in soziale Rollen verschoben haben – die Babyboomer hatten längere Ausbildungszeiten, sind später in den Beruf eingestiegen. Das verzögerte den Reifungsprozess.“ Einen Vergleich der Babyboomer mit jüngeren Kohorten könne sie hingehen nicht ziehen. Dafür fehlen schlicht die Daten.

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Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im November 2022 . Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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