Geschäftsrisiko Ghosting Wenn junge Bewerber sich einfach tot stellen

Quelle: imago images

Bislang mussten Bewerber oft damit leben, dass sich begehrte Arbeitgeber nicht zurückmelden. Jetzt drehen sich plötzlich die Kräfteverhältnisse: Bewerber tauchen ab. Das wird für Unternehmen zum Problem. So können sie vorbeugen.

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Als ihr ein Bewerber kurz vor dem Bewerbungsgespräch absagte, war Eva Stock noch besorgt. Der Bewerber müsse ins Krankenhaus, schrieb er. Stock, langjährige Personalerin, wünschte ihm eine zügige Genesung, hinterfragte die Absage zu keinem Zeitpunkt. Der Bewerber meldete sich später nicht mehr. Sechs Jahre ist das her. Damals arbeitete Stock in Berlin, erst in der Personalabteilung der Deutschen Bahn, später bei zwei jungen Digitalfirmen. In den vergangenen Jahren erhielt Stock immer häufiger Absagen mit der immer gleichen Begründung: Krankenhaus. Und dann war Funkstille. Stock ist überzeugt: Sie wurde geghostet. Die Bewerber tauchten unter. Sie sagt: „Wenn jemand ins Krankenhaus muss, ist das selbstverständlich schlimm und ein mehr als legitimer Grund, um den Bewerbungsprozess abzubrechen.“ Aber in der Häufigkeit, glaubt Stock, konnte das kein Zufall sein.

Heute leitet Stock die Personalabteilung bei der Agentur Comspace, 100 Mitarbeiter, sechs ausgeschriebene Stellen. Die Agentur sitzt in Bielefeld. Und Comspace ist nicht die Deutsche Bahn, die ziemlich genau so viele Menschen beschäftigt, wie in Bielefeld wohnen: rund 330.000. Heute wird Stock nicht mehr so häufig geghostet wie in Berlin, den Umgang in Ostwestfalen beschreibt sie als persönlicher. Bei einer von 50 Bewerbungen melde sich vielleicht ein Bewerber oder eine Bewerberin nicht mehr, schätzt Stock.

Auch wenn es die Erfahrungen von Stock nahelegen: Ghosting ist längst nicht nur ein Berliner Phänomen. Bislang mussten vor allem Bewerber damit leben, dass begehrte Arbeitgeber ihnen einfach nicht antworten. Wenn sie Glück hatten, erhielten sie noch eine automatische Eingangsbestätigung per Mail. Und dann war es das. Heute hat der Mangel an Beschäftigten die Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt verschoben. In einer Umfrage der Jobplattform Indeed gaben gut 56 Prozent der 400 befragten Recruiterinnen und Recruiter an, dass sich der Trend des Ghostings durch Bewerber im vergangenen Jahr verschärft hat. Fast ein Drittel der Recruiter wird einmal im Monat geghostet, ein Viertel einmal wöchentlich – und knapp acht Prozent gar einmal am Tag. Insgesamt wurden 90 Prozent der Personaler schon mal geghostet. Die Studie lag der WirtschaftsWoche vor Veröffentlichung vor.

von Jannik Deters, Svenja Gelowicz, Dominik Reintjes

Ghosting ist heute vor allem ein Phänomen im Internet. Wenn Bekannte plötzlich und ohne Vorwarnung nicht mehr bei WhatsApp trotz zwei blauer Haken antworten oder ein Schwarm nach einem Match bei Tinder oder dem ersten Date nicht mehr von sich hören lässt, dann ghosten diese Menschen. Sie werden zu „Geistern“. Sie tauchten unter.

Zeitfresser und Kostenfalle

Für Unternehmen ist das Ghosting durch Bewerber viel mehr als eine nervige Ausprägung des Zeitgeists. Es ist potenziell geschäftsschädigend. In der Umfrage von Indeed gaben 60 Prozent der Recruiter an, dass durch das Ghosting eigene Arbeitszeit verloren geht. Mehr als 40 Prozent klagen über verursachte Kosten und ein Drittel der Recruiter darüber, dass sie anderen Kandidaten bereits abgesagt hatten.

Benjamin Thomsen glaubt die Gründe für das Ghosting zu kennen. Naturgemäß seien die Vertreter der Generation Z, also Menschen die gerade volljährig oder Anfang 20 und auf dem Arbeitsmarkt begehrt sind, „eher unverbindlich unterwegs“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Personalberatung Hapeko Deutschland, die pro Jahr rund 1700 Jobs im Fach- und Führungskräftebereich besetzt. Bei der Generation Z, sagt Thomsen, übertrage sich die „Tinderisierung“, also das aus der Datingapp Tinder bekannte Prinzip, sich alles und jeden aussuchen zu können, auf das Berufsleben. „Die Menschen sind es gewöhnt, alles wegklicken zu können oder zurückschicken zu dürfen. Und dieses Retoure-Recht haben viele dann auch auf andere Lebensbereiche übertragen, wie etwa die Arbeitswelt“, sagt Thomsen. So wollen viele Bewerber nur mal unverbindlich ihren Marktwert testen. Sie wollen schauen, wie weit sie es im Prozess schaffen, welches Gehalt sie herausverhandeln können. Oder mit einem Angebot, das sie gar nicht annehmen wollen, zum Wunscharbeitgeber gehen und dort bessere Konditionen durchdrücken.

Lesen Sie auch: So kriegen Führungskräfte die Generation Z in den Griff.

Manche Bewerber wollten den Arbeitgebern mit einer Absage auch nicht vor den Kopf stoßen und ghosten sie deshalb, sagt Thomsen. „Ich mag Verallgemeinerungen nicht“, betont der Personalberater. Aber: „Vielleicht ist die Generation Z manchmal doch konfliktscheuer als frühere Generationen.“ Generationen wie die Babyboomer, die vor allem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren auf die Welt kamen und noch härter um die Jobs kämpfen mussten.

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