Gleichberechtigung „Männer müssen ihre Privilegien abgeben“

Statt mehr Gleichberechtigung zu fördern, ziehen sich Männer „in ihre Männerbünde zurück und feiern ihre archaische Männlichkeit“, kritisiert der hier interviewte Christoph May. Quelle: imago images

Sind Männer die Verlierer im Streben nach mehr Vielfalt in der Wirtschaft? Durchaus, meint der Medienwissenschaftler Christoph May. Und zwar zu recht.

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WirtschaftsWoche: Herr May, viele Männer halten nichts von einer Frauenquote in Unternehmen, egal für welche Etage. Ein häufiges Argument: Es arbeiteten weniger Frauen in den meisten Unternehmen, mit einer Quote hätten sie bessere Chancen aufzusteigen, als Männer. Was sagen Sie dazu?
Christoph May: Es ist auf jeden Fall immer super, wenn Männer nichts davon halten, dass Frauen Gleichberechtigung anstreben… Spaß beiseite, Fakt ist: Frauen werden benachteiligt. Von Frauen gegründete Start-ups haben 2016 neunmal weniger Kapital einsammeln können als die von Männern gegründeten. Selbst die relativ junge Start-up-Szene ist durch und durch männlich dominiert. Ohne Quote bleiben Männer in ihrer monokulturellen Blase und glauben, dass sie schon ganz gender-paritätisch arbeiten.

Was ist mit Ausschreibungen, in denen steht, bei gleicher Eignung würden Frauen oder Menschen mit Behinderung bevorzugt? Hat am Ende wieder der recht, der sagt, diese beiden Gruppen hätten es leichter, weil die Konkurrenz innerhalb der Bewerbergruppe kleiner ist?
Nein, denn alle Gruppen, die nicht weiße Männer sind, sind strukturell benachteiligt. Wie kann man da als Mann auf die Idee kommen, man werde benachteiligt, wenn gesellschaftliche Standards verbessert und Hürden abgeschafft werden? Es ist doch so: Männer müssen ihre Privilegien abgeben. Und um sie abzugeben, müssen sie sie kennen. Das gelingt sicher nicht mit den männlich dominierten Schweigekulturen in Unternehmen, wo Männer nur unter ihresgleichen wirtschaften. Dagegen kann nur eine Quote helfen – im Gegensatz zu Selbstverpflichtungen.

Viele Unternehmen tun sich aber schwer, Frauen für Führungsposten zu finden.
Dass es nicht genug Frauen für Führungspositionen oder Aufsichtsratsposten gäbe, ist ein Standardargument, aber es stimmt so nicht. Es gibt genug Netzwerke, über die man für jede Branche, für jede Position gute Frauen finden kann. Unter Frauen sind diese Netzwerke bekannt. Wenn Männer behaupten, sie fänden keine Frauen, dann haben sie nicht gesucht.

Christoph May arbeitet als selbständiger Männerforscher, berät Unternehmen und hält Vorträge und Workshops über Kritische Männlichkeit. 2016 gründete er das Online-Magazin HeTox und 2018 das Netzwerk Detox Masculinity (Männlichkeit entgiften). Quelle: PR

Warum würde es sich lohnen, gründlicher zu suchen?
Zu viele Männer merken und begreifen nicht, dass sie in einer männlich dominierten Monokultur leben. Sie würden enorm davon profitieren, ihre Männerbünde hinter sich zu lassen. Unternehmen werfen nachweisbar deutlich höhere Gewinne ab, je mehr Frauen beteiligt sind. Zu viele Männer glauben ernsthaft, sie hätten Anspruch auf einen bestimmten Posten – und die Mitbewerberin bekäme ihn nur aufgrund eines Frauenbonus.

Für viele jüngere Männer ist Gleichberechtigung bereits selbstverständlich, sie wollen erfolgreiche Partnerinnen, die Karriere machen wie sie selbst, und Zeit mit ihren Kindern verbringen. Nur in der Praxis funktioniert das nicht immer. Woran liegt das?
Diese Männer sind so aufgewachsen, dass nichts ein Problem darstellte. Sie können nicht verstehen, wie es sein kann, benachteiligt zu sein. Wer privilegiert aufwächst, hat blinde Flecke.

Männer-Höchstquote statt Frauen-Mindestquote

Einer dieser blinden Flecken ist die Tatsache, dass in vielen Paaren und Familien die Arbeit im Haushalt und in der Erziehung noch immer zumeist von den Frauen erledigt wird. Welche Rolle spielt das, wenn sie bei den Führungsposten in der Wirtschaft seltener zum Zug kommen?
Es ist ein Riesenproblem, dass Männer sich kaum an der Care-Arbeit beteiligen. Nicht einmal 2,5 Prozent aller Männer nehmen mehr als zwölf Monate Elternzeit. Und selbst wenn wir mehr Männer auf der Straße mit kleinen Kindern sehen, heißt das nicht, dass sie wirklich ihren Anteil an der Care-Arbeit leisten, die im Übrigen auch bezahlt werden muss.

In die private Familienorganisation können sich aber die Unternehmen nicht einmischen.
Doch, die Firmen können Kitas einrichten, sie können männliche Mitarbeiter ermutigen, mehr Elternzeit zu nehmen oder Teilzeit zu arbeiten. Sie können ihre Belegschaften dafür sensibilisieren, dass einer, der sich vollverantwortlich um sein Kind kümmert, kein „Weichei“ ist. Unternehmen sollten eine familienfreundlichere Kultur etablieren. Das ist ein wichtiger struktureller Aspekt dieser Debatte: Männlichkeit wird mit Leistung und Arbeit verbunden – und deshalb müssen sie Leistung zeigen und sich kaputt arbeiten. Jetzt wäre es aber an der Zeit, dass nicht noch eine Generation mit abwesenden Vätern aufwächst und die bisherigen Bilder von Männlichkeit sich ändern. Um das aufzubrechen, braucht es auch die Unternehmen.

Womöglich trauen sich aber auch zu wenige Frauen, bei den prestigeträchtigen Posten die Hand zu heben?
Das Problem ist, dass man mit der Besetzung in den oberen Etagen beginnen will. Warum nicht gleichzeitig in den unteren Hierarchien anfangen und Kandidatinnen entsprechend früher fördern?

von Varinia Bernau, Jan Guldner, Kristin Rau, Nora Schareika, Claudia Tödtmann

Ist die Leistung von Männern denn weniger wert, weil sie Männer sind und Privilegien genießen, die frühere Generationen ihnen gesichert haben?
Selbstverständlich ist die genauso viel wert, wie die Leistung aller anderen. Und genau deshalb kann so einer es sportlich sehen, wenn er einen Job mal nicht bekommt, und sich bei der nächsten Firma bewerben, zum Beispiel. Ich persönlich würde noch weiter gehen: Warum tauschen männlich dominierte Unternehmen nicht einfach freiwillig solange ihre Stellen aus, bis sie faktische Gleichstellung erreicht haben? Das würde den gesellschaftlichen Prozess enorm beschleunigen. Ein längst überfälliges Signal. Obendrein ein ökonomisches: Wir lösen unseren Männerbund auf, weil männliche Monokulturen unseren Umsatz erheblich mindern.

Viele Männer sind bereits jetzt unsicher, wie sie sich noch verhalten dürfen. Wie sollte der moderne Mann im Berufskontext sein?
Es gibt strukturell keine Krise der Männlichkeit – der Begriff wird in dem Zusammenhang häufiger verwendet, ich würde ihn unbedingt vermeiden. Diese Art von Unsicherheit ist eigentlich eine Abwehrreaktion. „Ich weiß nicht, was überhaupt noch erlaubt ist“ bedeutet eigentlich „Ich will mich nicht damit auseinandersetzen.“ Warum gehen diese Männer nicht zu den Frauen hin, fragen nach und lernen? Stattdessen ziehen sie sich in ihre Männerbünde zurück und feiern ihre archaische Männlichkeit. Wie der moderne Mann sein sollte? Ich weiß es selbst nicht. Wir können noch nicht wissen, wie eine neue Männlichkeit aussehen soll, wenn wir zuvor nicht unsere Männerbünde aufbrechen, um für faktische Gleichstellung zu sorgen.



Wenn wir noch nicht einmal wissen, wie der neue Mann am besten sein sollte – ist es überhaupt das richtige Ziel, alles genau geschlechterparitätisch verteilen zu wollen?
Ich wäre gerne in einer Gesellschaft aufgewachsen, wo echte Gleichstellung schon erreicht wäre. Dann würden sich Menschen frei ihren Talenten und Neigungen entsprechend für einen Beruf entscheiden. Das geht nicht, solange Männer die Vorherrschaft haben und sich für bestimmte Probleme nicht interessieren.

Braucht es dann der Gerechtigkeit halber auch eine Männerquote für weiblich dominierte Branchen?
Nein. Wir brauchen deutlich höhere Löhne in den schlecht bezahlten typischen Frauenberufen. Und ja, damit sich die Männer endlich zuständig fühlen, sollten Unternehmen die Frauenquote in Männerquote umbenennen: Maximal 40 Prozent Männer in allen Bereichen.

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