Gleichstellung „Der Mittelstand braucht eine Frauenquote“

Für Vorstände von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen, deren Führungsgremien mindestens drei Personen angehören, gilt schon heute eine Frauenquote.    Quelle: dpa

Vor allem in den Chefetagen mittelständischer Firmen sind Frauen noch selten. Warum da nur eine staatliche Quote helfen kann und wieso das den deutschen Unternehmen auch im internationalen Kampf um die Talente hilft, erklärt Headhunterin Martina van Hettinga. 

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Seit 2016 gilt eine Frauenquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen. Im Sommer 2021 kam eine ähnliche Regelung für die Vorstände der Konzerne hinzu. Doch manchen wie der Geschäftsführerin der Personalberatung i-potentials, Martina van Hettinga, geht diese Vorgabe nicht weitgenug.

WirtschaftsWoche: Frau van Hettinga, Sie fordern eine Frauenquote. Waren Sie schon immer von diesem Instrument überzeugt?
Martina van Hettinga: Nein, überhaupt nicht. Ich habe früher in verschiedenen Start-ups gearbeitet und bin da immer relativ schnell aufgestiegen. Für mich war klar: Leistung entscheidet über die Karriere. Aber dann habe ich immer mehr Einblicke in größere Unternehmen gesammelt und gesehen, dass ich einfach Glück hatte. Wir haben vielerorts ein strukturelles Problem, das Frauen bremst. Männer befördern – bewusst oder unbewusst – eher Männer und so kommen gute Frauen nicht voran.

Diese Erkenntnis sitzt so tief, dass Ihnen die bereits geltenden Regeln nicht weitgenug gehen. Was muss Ihrer Meinung nach passieren?
Für Aufsichtsräte und Vorstände börsennotierter Unternehmen gibt es bereits Frauenquoten. Das ist richtig, weil wir in der Vergangenheit gesehen haben, dass Freiwilligkeit bei diesem Thema nicht hilft. Aber auch der Mittelstand braucht eine Frauenquote.

Warum?
Ich glaube, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher und innovativer sind. Das belegen im übrigen auch Studien. Außerdem helfen sie, verschiedene Zielgruppen besser zu verstehen, was in einer auf Konsumenten zentrierten Welt sehr wichtig sein kann. Drittens verschärft sich der Fach- und Führungskräftemangel immer weiter. Nur Unternehmen, die sich diverser aufstellen, können auf einen größeren Pool an Talenten zugreifen. Das gilt sowohl für die Einstellung von Frauen als auch das Rekrutieren internationaler Bewerber. Wenn deutsche Mittelständler das flächendeckend machen, profitiert der gesamte Standort im weltweiten Wettbewerb um geeignete Kandidaten.

Wenn es offensichtlich so viele Vorteile gibt, warum braucht es dann noch eine staatliche Quote?
Eine aktuelle Umfrage der Albright Stiftung hat gerade erst gezeigt, dass 68 der 100 größten Familienunternehmen in Deutschland keine Frau im Vorstand haben. Diese Unternehmen haben oft eine sehr lange Tradition, in der immer ein Mann an der Spitze stand. Das ist dann schwierig zu durchbrechen. Außerdem haben die Inhaber oft auch unrealistische Vorstellungen. Sie suchen eine Topführungskraft, die idealerweise die ganze Woche vor Ort sein soll und da reden wir nicht von Berlin oder München, sondern von der Provinz. Unter 40 Stunden geht ohnehin im Top-Management gar nichts. Und dann soll diese Führungskraft auf jeden Fall auch noch perfekt Deutsch sprechen. Die Frauen, die diese Kriterien erfüllen, wollen gerade alle Arbeitgeber – und dem Mittelstand ist es dann teilweise nicht wichtig genug, weil es eben keine Quote gibt. Sie kommen diesen Frauen häufig nicht entgegen.

Vielen Unternehmern wird Ihre Forderung nicht gefallen. Sie werden sich in ihrer unternehmerischen Freiheit beschnitten fühlen und sagen: Solange ich mein Geld in das Unternehmen stecke, kann ich auch entscheiden, wen ich einstelle. Können Sie das verstehen?
Natürlich. Ich bin auch Unternehmerin und möchte, dass sich der Staat möglichst wenig einmischt. Aber an dieser Stelle gibt es ein strukturelles Problem, das wir nur abschaffen, wenn wir wirklich umdenken. Dazu gehört auch die Kindererziehung: Mädchen für die Natur- und Ingenieurswissenschaften begeistern genauso wie Jungs für Erziehungswissenschaften. Dazu gehört, das Aufbrechen tradierter Rollenbilder, das Infragestellen der Vollzeitbeschäftigung als einzige Möglichkeit Karriere zu machen, aber eben auch die Einführung einer Frauenquote jenseits der börsennotierten Unternehmen. Wenn sich strukturell etwas ändern soll, dann reicht es eben nicht, mal eine Frau einzustellen. 

Wie sollte eine solche Quote Ihrer Meinung nach im Detail aussehen?
Wir sollten nicht zu tief stapeln. Ich denke, 30 Prozent Frauen – und das über alle Führungsebenen – wäre sinnvoll. Nur wer auch auf den unteren Ebenen talentierte Frauen fördert, hat in ein paar Jahren auch eine gut gefüllte Talentpipeline. 

Gerade der deutsche Mittelstand ist geprägt vom Anlagen- und Maschinenbau, deshalb führen Unternehmer oft an, es gäbe diese Frauen überhaupt nicht, die sie für ihre Firmen bräuchten. Ist da nicht etwas dran?
Nein, das stimmt nicht. Es gibt sie, wenngleich nicht in besonders großer Zahl. Aber deshalb spreche ich ja auch nicht von einer 50-50-Quote, sondern von 30 Prozent. Im unteren Management ist der Anteil an Frauen übrigens noch deutlich größer. Es schaffen nur deutlich weniger den Aufstieg in die Führungsetage. Dieses Phänomen nennen wir Leaky Pipeline.

Wie kann der Mittelstand es schaffen, für diese wenigen Frauen attraktiv zu werden?
Er ist schon attraktiv. Denn gerade diese unternehmerische Kultur, in der zum Beispiel Innovationsprozesse sehr zielgerichtet vorangetrieben und nicht zehn Schleifen gedreht werden, bevor der Vorschlag dann in einer Schublade verschwindet, ist ein Umfeld, das den meisten modernen Führungskräften liegt. Diesen Vorteil muss der Mittelstand aber noch deutlicher herausstellen. Außerdem ist der erste Schritt extrem wichtig. Wenn das Unternehmen erstmal eine Top-Trau an Bord hat, ist es leichter weitere folgen zu lassen. Sie symbolisieren, dass diese Firma für Veränderungen offen ist und männlich dominierte Strukturen aufgebrochen werden können. Wenn Geschäftsführertreffen grundsätzlich erst um 20 Uhr starten, finden das moderne Führungskräfte unzeitgemäß – egal ob Mann oder Frau. 

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