Sie ist die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns. Und sie will einiges dafür tun, dass sie nicht allzu lange die Ausnahme bleibt. „Ich habe mir vorgenommen, in meiner Rolle das Thema Gleichberechtigung überall anzusprechen. Und immer nur eines zu fragen: warum nicht?“, sagte Jennifer Morgan, 48, in einem ihrer ersten Interviews, nachdem sie Anfang Oktober gemeinsam mit Christian Klein den Chefposten beim Technologiekonzern SAP übernommen hatte.
Ihr Einsatz für mehr Gleichberechtigung in der deutschen Wirtschaft dürfte ebenso anstrengend werden wie der für die unbeliebte Bürosoftware. Denn trotz all des Geredes über Diversity herrscht in deutschen Büros noch lange keine Gleichberechtigung – und vor allem ihre Karrierechancen im eigenen Unternehmen schätzen die meisten Spitzenmanagerinnen eher schlecht ein. Das geht aus dem Global Female Leaders Outlook 2019 hervor, den die Unternehmensberatung KPMG herausgibt und die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.
58 Prozent der Frauen, sowohl in Deutschland als auch weltweit, erleben demnach Vorurteile in ihrem beruflichen Alltag. Hierzulande haben zwar haben zwar 69 Prozent der Befragten einen Plan für die eigenen Karriere, allerdings erwarten nur 28 Prozent, diesen Schritt im eigenen Unternehmen zu machen. 51 Prozent gehen davon aus, dass sie dazu in eine andere Firma wechseln müssen. Dieses Ergebnis, so heißt es in dem Papier, sei erstaunlicherweise unabhängig vom Alter oder der aktuellen Position – und wesentlich schlechter als im internationalen Vergleich: Im Rest der Welt gehen 38 Prozent von einer Beförderung im eigenen Unternehmen aus.





Im Vergleich zu anderen Ländern müssen Frauen in Deutschland auch deutlich höhere Hürden überwinden, um Karriere und Familie zu vereinbaren. Hierzulande haben nur 48 Prozent der befragten Managerinnen Kinder, international liegt der Anteil der Mütter unter den Spitzenmanagerinnen bei 74 Prozent. Und es fehlt den deutschen Frauen an Vorbildern: 40 Prozent der Befragten berichteten von einer klassischen Rollenverteilung ihrer Eltern: Der Vater, so haben sie es erlebt, arbeitete; die Mutter kümmerte sich um die Familie. Weltweit liegt der Anteil der Managerinnen, die solche Muster aus der eigenen Familie kennt, lediglich bei 28 Prozent. Immerhin aber ändert sich dies auch in Deutschland: Bei den unter 40-Jährigen gaben nur noch 25 Prozent an, sie seien mit klassischen Rollenbildern aufgewachsen. Und unter den befragten Spitzenmanagerinnen selbst leben die meisten in gleichberechtigten Partnerschaften – nämlich 58 Prozent.
Gerade an der Spitze der deutschen Wirtschaft bewegt sich für die Frauen wenig: Der Anteil der von ihnen besetzten Posten in den Führungsgremien von Dax-Konzernen in diesem Jahr nicht gestiegen. Er liegt lediglich bei 14 Prozent, wie der Dax-Vorstandsreport der Unternehmensberatung Odgers Berndtson kürzlich vorrechnete. Dazu wurden die Lebensläufe aller Vorstandsmitglieder im Dax bis Ende September dieses Jahres analysiert – also wenige Tage, bevor Jennifer Morgan zur SAP-Chefin berufen wurde. Trotzdem sah Studienleiter Klaus Hansen auch Hoffnung für Managerinnen: „Früher wurden Frauen oft für die Leitung eines Zentralbereichs wie HR oder Recht & Compliance in einen Dax-Vorstand berufen. Heute überträgt man ihnen verstärkt auch die Verantwortung für den Vertrieb oder ganze Geschäftsbereiche.“
18 der 28 Vorstandsfrauen führen der Studie zufolge Kerngeschäftsfelder oder Regionen, wie zum Beispiel den Vertrieb, Global Consumer Operations oder die Regionen Europa & Lateinamerika. Vier von ihnen verantworten den wichtigen Bereich Finanzen – nämlich Dessi Temperley (Beiersdorf), Melanie Kreis (Deutsche Post), Rachel Empey (Fresenius) und Helene von Roeder (Vonovia). Trotz des gesellschaftlichen Drucks sind aber auch noch immer sieben Dax-Vorstände reine Männerclubs: nämlich bei Bayer, Deutsche Bank, Eon, HeidelbergCement, Infineon, MTU und RWE.
Wie sich daran etwas ändern lässt? Mit einer Quote wohl kaum – das meinen jedenfalls die für von KPMG befragten Frauen: Nur jede fünfte Spitzenmanagerin hält politische Vorgaben für den richtigen Weg. Damit Männer und Frauen gleichermaßen bei der Karriere zum Zuge kommen, sehen die meisten Befragten die Unternehmen in der Pflicht. Sie müssten den Kulturwandel vorantreiben. 67 Prozent der deutschen Spitzenmanagerinnen gaben übrigens an, dass sie vor allem von Männern gefördert wurden. Und so lange diese in den Chefetagen das Sagen haben, dürfte es auch weiterhin auf sie ankommen. „Wenn es um Frauenförderung geht, müssen die Männer mit am Tisch sitzen“, betonte auch Jennifer Morgan. „Es hat keinen Sinn, wenn nur Frauen darüber reden. Das Netzwerken untereinander ist zwar extrem wichtig, aber die meisten Entscheider sind nun mal immer noch Männer. Die müssen Geschlechtergerechtigkeit als eine Führungsaufgabe ansehen, sonst wird das nie etwas.“
Für den Global Female Leaders Outlook 2019 wurden im Frühsommer dieses Jahres weltweit und branchenübergreifend 1124 weibliche Führungskräfte aus 52 Ländern befragt. 41 Prozent der weltweiten Teilnehmerinnen arbeiten auf Führungsebene. 71 Prozent der weiblichen Führungskräfte sind seit mindesten sechs Jahren im Unternehmen, 61 Prozent arbeiten für ein Unternehmen mit mindestens 500 Millionen US-Dollar Umsatz.