Inklusion "Behinderte vom Arbeitsmarkt auszuschließen, ist ein Fehler"

Etwa 80 Prozent der deutschen Unternehmen beschäftigen behinderte oder chronisch kranke Mitarbeiter. Pascal Sandvoß von Coloplast erklärt, warum gerade gehandicapte Menschen zum Erfolg des Betriebs beitragen können.

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Menschen mit Behinderung haben können zur positiven Entwicklung eines Unternehmens beitragen. Quelle: dpa

Etwa 80 Prozent der deutschen Unternehmen beschäftigen behinderte, chronisch kranke oder dauerhaft gesundheitlich eingeschränkte Mitarbeiter. Ab wann gilt ein Mensch als gehandicapt?

Die Klassifizierung von einem Handicap ist schwierig. Allgemein lässt sich wohl sagen, dass ein Mensch mit Handicap von der Norm abweicht. Sei es wegen körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen. Menschen mit Handicap können Rollstuhlfahrer sein, Blinde oder Menschen mit Down-Syndrom. Aber eben auch Menschen mit Krebs. Inklusion bedeutet jedoch genau von diesen Einschränkungen abzulassen und sich auf die Stärken und die Leistungsfähigkeit zu konzentrieren.

Gehandicapte Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Sie werden seltener eingestellt.

Das liegt an Unwissen und Vorurteilen. Gehandicapte Menschen haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, oft prüfen die Arbeitgeber auch nicht, ob sie eine offene Stelle mit einem Behinderten besetzen könnten. Grundsätzlich darf aber durch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz niemand diskriminiert werden, der beeinträchtigt ist. Die Gesellschaft muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass Menschen mit Handicap nicht genauso gute Mitarbeiter sind wie andere. Nehme man Stephan Hawking als Beispiel, der ist trotz seiner Behinderung leistungsfähiger als die meisten anderen Menschen. Unternehmen müssen gehandicapten Mitarbeitern einfach mal eine Chance geben, um zu sehen, wie es ist.

Zum Unternehmen

Eine Umfrage unter mehr als 500 Führungskräften zeigt, dass große Unternehmen mehr Inklusion betreiben als kleine. Woran liegt das?

In Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sind die Inklusions-Entwicklungen durchweg positiver als in Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigen. Viele kleinere Unternehmen glauben, dass Inklusion zu viel Geld kostet. Beratungsunternehmen machen viele teure Vorschläge, die Unternehmen abschrecken. Oft gibt es in kleinen Unternehmen auch keinen Mitarbeiter, der sich mit dem Thema Inklusion auseinandersetzt und sich auskennt. Ausserdem informieren sich behinderte Menschen natürlich im Vorfeld über den Betrieb, für den sie sich bewerben. Ein großes Unternehmen hat auf seiner Webseite wahrscheinlich eher einen Abschnitt zu Inklusion als ein kleineres. Deshalb bewirbt sich der Gehandicapte wohl eher da.

Warum können Unternehmen auch von der Einstellung von Menschen mit Handicap profitieren?

Ich kann nur von Coloplast sprechen. Wir haben mehr behinderte Menschen eingestellt, als die Quote uns vorschreibt. Und wir merken keinen Unterschied zwischen der Arbeit von Menschen mit und ohne Handicap. Die Arbeit ist die gleiche. Und man hat in Studien gesehen, was Diversity alles zum Unternehmen beitragen kann. Je vielfältiger das Team ist, desto mehr Denkansätze und Sichtweisen gibt es, die sich positiv auf die Kreativität im Team auswirken. Auch entwickeln behinderte Menschen im Team die soziale Kompetenz der anderen Mitarbeiter weiter, weil Vorurteile abgebaut werden. Sie helfen die Akzeptanz, Toleranz und den Respekt der Unternehmensmitarbeiter zu verstärken, so dass sie die Gesellschaft anders wahrzunehmen. Und natürlich steigt das äußere Ansehen der Unternehmen, die gehandicapte Menschen beschäftigen. Das kann ein wirtschaftlicher Vorteil sein.

Einmalige Kosten bringen Vorteile

Trotzdem muss das Unternehmen noch Kosten aufbringen, um die Inklusion zu finanzieren.

Die Kosten sind kein riesiges Problem. Wenn umgebaut werden muss, können sich die Unternehmen an ihr lokales Integrationsamt wenden. Das prüft den Fall individuell und vergibt finanzielle Förderungen wie Darlehen und Zuschüsse. Besonders Sinn macht das, wenn das Unternehmen sowieso umzieht oder größere Umbauarbeiten anstehen. Und wenn ein Betrieb einmalige Kosten aufbringt, um den Arbeitsplatz den Bedürfnissen des Mitarbeiters anzupassen, kann es viel gewinnen. Durch ein besseres Firmenansehen, aber auch durch ein offeneres und vielfältigeres Team. Menschen mit Behinderung haben eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu sein als Menschen ohne Behinderung. Es kann nicht sein, dass wir einen großen Bewerberteil aus dem Arbeitsmarkt ausgrenzen und uns dann über fehlende Fachkräfte und den demographischen Wandel aufregen. Das ist ein Strategiefehler.

Warum deutsche Unternehmen keine Menschen mit Behinderungen einstellen

Angenommen, ich bin Unternehmer und möchte Menschen mit Handicap einstellen. Worauf muss ich achten?

Zunächst muss in dem Betrieb die Arbeitskultur stimmen. Respekt und Akzeptanz müssen vorhanden sein. Man sollte die Führungskräfte schulen, damit sie Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse der Mitarbeiter nehmen. Denn nur mit Wertschätzung fühlt der neue Mitarbeiter sich wohl und kann sein ganzes Potential entfalten. Und natürlich muss man auch technische Voraussetzungen erfüllen und den Arbeitsplatz im Zweifelsfall behindertengerecht umbauen. Dazu gehören zum Beispiel Rampen oder barrierefreie Toiletten.

Ein Berliner Software-Unternehmen stellt Asperger-Autisten ein, weil sie besonders sorgfältig arbeiten. In welchen anderen Branchen sind Menschen mit Handicap eventuell sogar besser als ihr Kollegen?

Ich kann nur für unser Unternehmen sprechen: Unsere Mission ist es, Menschen mit körperlichen Einschränkungen, das Leben leichter zu machen. Dadurch, dass viele unserer Mitarbeiter selbst Beeinträchtigungen haben, können sie die Kunden besser beraten. Das ist Kommunikation auf Augenhöhe. Und man muss sehen, dass gehandicapte Menschen aufgrund ihrer eigenen Einschränkung oft mehr Verständnis haben. Das kann man aber natürlich nicht verallgemeinern. Ich kann keinen Bereich nennen, in dem es nicht möglich wäre, behinderte Menschen zu inkludieren. Sicherlich gibt es Bereiche wo es einfacher ist, z.B. im eigenen Büro und Bereich wo es schwieriger ist, z.B. im Handwerk. Letztlich kommt es immer auf den Einzelfall an. Wenn wir uns auf das konzentrieren was möglich ist, kann Inklusion gelingen.

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