
Die beschreibbare Wandfarbe ist noch nicht ganz trocken, die Eröffnungsfeier findet trotzdem schon statt. Es gibt Fingerfood, Craft Beer und natürlich kommen viele wichtige Menschen. Die Willkommensbotschaft: „Sei die Disruption, die du in der Welt sehen willst“. Nach der Begrüßungsrede geht es wahlweise zum Kicker oder Tischtennis.
Labs, Hubs und Inkubatoren entstehen derzeit reihenweise, mittlere und große Unternehmen wollen sich mit ihnen an die Digitalisierung herantasten. Abseits der gewohnten (und als lähmend empfundenen) Strukturen und Prozesse sollen hier innovative Produkte entstehen und neue Formen der Zusammenarbeit getestet werden. Die grundsätzliche theoretische Idee ist sinnvoll, doch die Realität sieht oftmals anders aus. Vier Beobachtungen:
1. Im Mittelpunkt stehen selten die Inhalte, sondern die sichtbaren Symbole der Digitalisierung. So entsteht oft eine attraktive und hochleistungsfähige Hülle, die im täglichen Tun nur wenige zu „bedienen“ beziehungsweise zu nutzen wissen. Die Potenziale vieler Labs bleiben so auf der Strecke.
Zu den Autoren
Johannes Kleske & Igor Schwarzmann sind die Gründer der Strategieberatung ThirdWave. In zahlreichen Vorträgen, Reports und Essays setzen sie sich für einen selbstbewussten und reflektierten Umgang mit der Digitalen Transformation ein.
Julia Straub ist Mitgründerin von covolution. Sie unterstützt Unternehmen, konkrete Business-Herausforderungen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern zu lösen und sich dabei weiterzuentwickeln. Vor covolution war sie u.a. bei IFOK und The Boston Consulting Group tätig.
Sören Krüger ist Consultant und Projektleiter bei IFOK. IFOK unterstützt seit 1995 Kunden dabei, Veränderung zu gestalten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Dialog und Beteiligung. Im Mittelpunkt der Projekte stehen immer die Menschen – ob bei der Mediation von Konflikten im öffentlichen Raum oder bei der Begleitung von Transformationsprojekten in Organisationen.
2. Während im Vordergrund das Neue sichtbar ist, regiert im Hintergrund das Alte. Ein Innovation Lab ist ein klares Symbol der Erneuerung. Bei genauerer Betrachtung funktionieren viele Labs jedoch nach den bekannten Mustern klassischer Organisationen: Starke Hierarchie, ein zentral Verantwortlicher und komplexe Reportinglinien in die Mutterorganisation sind nur wenige Beispiele.
3. Der „Clash of Cultures“ verhindert systematische Weiterentwicklung. Innovation Labs treten mit dem Anspruch an, anders zu sein als ihre Mutterorganisationen. Es werden also bewusst Gräben gezogen: Schwerfälliger Tanker hier, Innovation Lab-Speedboot dort. Aber wie in jeder Organisation führt Lager-Trennung auch hier dazu, dass kein Austausch und kaum sinnvoller gegenseitiger Austausch stattfindet.
4. Innovation wird zum Zufallsprodukt der Methodenschlacht. Klar, wer Innovationen entwickeln will, muss innovativ arbeiten. Allerdings führt nicht jeder Design Thinking-Workshop automatisch zu bahnbrechenden Ideen und Prototypen. Die Fragen der erfolgreichen Skalierung werden nicht gestellt und so verharren viele gute Ideen im PostIt-Dschungel und kommen selten in die Umsetzung.
All diese Punkte zeigen: Viele Innovation Labs drohen an der Umsetzung zu scheitern. Sie sind als Leuchttürme konzipiert, die nach innen und nach außen strahlen, aber nicht als Treiber einer systematischen Vorbereitung der Unternehmen auf eine veränderte Umwelt. Warum ist das so?
Schnelle Digitalisierung ist ein Missverständnis
Die Innovation Labs stehen sinnbildlich für den allgemeinen Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung in deutschen Unternehmen. Zum einen ist der Leidensdruck noch nicht groß genug, um wirklich tiefgreifende Veränderungen umzusetzen. Den meisten deutschen Unternehmen geht es grundsätzlich gut. Trotz einer angeschlagenen Weltwirtschaft gehen die Gewinne kaum zurück. Selbst bei VW sind nach dem Abgasskandal die Gewinne nur so unwesentlich eingebrochen, dass die neue Strategie 2025 nur allgemeine Ziele zu selbstfahrenden Elektroautos enthält und ansonsten vor allem Effizienz predigt. Ein radikaler Umbau sieht anders aus.
Zum anderen löst die Digitalisierung bei deutschen Unternehmen eher ein abstraktes Bedrohungsgefühl aus als einen echten Handlungsimpetus. Das operative Tagesgeschäft läuft in den meisten Unternehmen weiter wie gehabt. Die Konsequenz: viele in der Fläche wirkungslose Digital-Einzelaktionen, statt einer systematische Auseinandersetzung und mutigen Transformation.
Das Missverständnis in der Digitalisierungsdebatte ist die Annahme, dass die Aufgabe darin besteht, das Unternehmen mit all seinen Prozessen möglichst schnell zu digitalisieren. Der Blick geht also nach innen. Stattdessen ist die Herausforderung viel eher, dass sie das Umfeld der Unternehmen massiv verändert: Andere und schnell aufkommende Wettbewerber, veränderte Kundenbedürfnisse und immer vielfältigere Mitarbeitererwartungen. Wer die Digitalisierung erfolgreich meistern will, muss in der Lage sein, mit den sich wandelnden Umfeld-Faktoren umzugehen. Heute, morgen und 2050. Die wahre Aufgabe besteht darin, flexibel und anpassungsfähig zu werden – und zu bleiben.