Die Zunft der Insolvenzverwalter hat es mit ihrem Image nicht immer leicht: Als Pleitegeier sehen sie manche, also als jene, die aus für die Beschäftigten stets tragischen Unternehmenspleiten auch noch Profit schlagen. Vor zehn Jahren brachen nach dieser Lesart für Frank Schmitt und seine Kollegen goldene Zeiten an – die Finanzkrise trieb mehr Unternehmen als üblich in die Insolvenz und verstärkte den Eindruck, dass Insolvenzverwalter Nutznießer von Krisen sind.
Schmitt, der bei der Frankfurter Kanzlei Schultze & Braun seit zwanzig Jahren mit Unternehmensinsolvenzen zu tun hat, relativiert das Bild. Heute zumindest habe seine Branche ein anderes Image. „Man wird zwischenzeitlich eher als der Sanierer und Retter gesehen“, sagt Schmitt, der sich auch selbst häufiger in der Rolle des Notarztes, als in der des Unternehmensbestatters wiederfindet.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Während sich deutsche Unternehmen bester Konjunktur erfreuen und eher mit dem Problem Fachkräftemangel als Insolvenz zu kämpfen haben, erleben die Insolvenzverwalter eine Flaute. Vor zehn Jahren war das anders. Mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers in den USA begann die Weltfinanzkrise, die auch vor Deutschland nicht haltmachte. Immerhin: „Was immer stattfindet, sind Privatinsolvenzen“, sagt Schmitt.
So beugen Sie der Insolvenz vor
Auch Traditionsprodukte können irgendwann einmal ihren Reiz beim Kunden verlieren. Aufgabe von Unternehmenslenkern ist es, frühzeitig zu antizipieren, welche Produkte auch in Zukunft ihren Absatz finden werden, und welche nicht.
Die richtige Mischung aus Vertrauen und Kontrolle ist hier gefragt. Wer ein Unternehmen führt, sollte wissen, wie es um die Finanzen steht und wofür Geld ausgegeben wird. Bei vielen Insolvenzen stellt sich später heraus, dass zuvor schon länger in der Buchhaltung geschlampt worden ist.
Eigentlich eine Binsenweisheit der Personalführung: Einem Unternehmen geht es nur so gut wie seinen Mitarbeitern. Führungskräfte sollten regelmäßig das Gespräch suchen. So erfahren sie, wie die Stimmung im Team ist, wodurch sie steigt oder fällt, wo Dinge nicht rund laufen. Wer nicht zuhört, bekommt Probleme erst mit, wenn es zu spät ist.
Kontinuität ist gut, wenn immer alles gleich läuft, kann sie aber auch zu einer gewissen Betriebsblindheit führen. Nicht wenige Firmen schlittern in die Pleite, weil die Verantwortlichen in der Führungsetage an ihren jahrelang praktizierten Strategien festhalten, nach dem Motto: Das haben wir schon immer so gemacht. Wenig Bewegung sorgt eben auch für Schockstarre, wenn mal etwas nicht mehr klappt.
Bei Managementwechseln gilt wie bei allem: Es kommt auf das richtige Maß an. Ein wenig frischer Wind kann zwar gegen Betriebsblindheit helfen. Problematisch ist aber, wenn jedes Jahr ein neuer Manager dem Unternehmen seinen Stempel aufdrücken will. Neue Strategie hier, veränderte Abläufe da - das frustriert nicht nur Mitarbeiter, sondern kann sich bei zu vielen Fehlentscheidungen auch empfindlich auf die Bilanzen auswirken.
Viele Unternehmen gehen durch Krisen, viele überstehen sie. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Nicht jede Krise lässt sich mit ein bisschen Extra-Geld vom Gesellschafter wegzaubern. Deshalb ist eine frühzeitige, schonungslose Analyse hilfreich, um Warnzeichen einzuordnen und die richtigen Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Insolvenz heißt nicht zwangsläufig das Ende. Gerade wenn ein Unternehmen frühzeitig zum Insolvenzgericht geht, kann noch viel zum Guten gewendet werden. Das Insolvenzrecht ist inzwischen so gestaltet, dass Unternehmer auch in Eigenregie ihre Firma sanieren können, ohne zwingend einen fremden Insolvenzverwalter in alle Bücher schauen lassen zu müssen.
Die derzeitigen billigen Kredite und die Kauflaune der Verbraucher helfen also zahlreichen Unternehmen dabei, nicht pleite zu gehen. Können Insolvenzen aber auch aus eigener Kraft vermieden werden? Schmitts Antwort darauf ist eindeutig: „Überwiegend spielen Managementfehler eine Rolle“, sagt er. Der Rest seien Forderungsfälle, Pech oder unvorhersehbare Ereignisse.
Zu den häufigsten Managementfehlern zählt der Insolvenzverwalter das, was er unter „Betriebsblindheit“ zusammenfasst. „Ein klassischer Fall ist, dass die Geschäftsführung zu spät gegensteuert, wenn gewisse Produkte oder Dienstleistungen nicht mehr laufen. In anderen Fällen stellt sich heraus, dass man sich nicht ausreichend um das Controlling und die Buchhaltung beziehungsweise den Debitoreneinzug gekümmert hat. Auch damit verbunden: Eine Personalführung, die darauf verzichtet, sich einfach mal mit seinen Abteilungsleitern auszutauschen und ihnen zuzuhören.“ Zu wenig Bewegung auf den Ebenen des mittleren und oberen Managements führt manchmal zu solcher Betriebsblindheit. „Ein 'Wir haben das schon immer so gemacht' kann dazu führen, dass Trends verschlafen und Entwicklungen nicht rechtzeitig erkannt werden“, berichtet der Frankfurter.
Schmitt nennt als Beispiel den Schuhhersteller Rohde in Hessen, dessen klassische Pantoffeln in vielen Haushalten noch heute zum Inventar gehören. „Als ich in das Unternehmen kam, war schon lange absehbar gewesen, dass der erforderliche Absatz nicht mehr funktioniert hat und dass die Liquidität nicht mehr gesichert war. Es zeigte sich aber auch, dass die einzelnen Abteilungen nicht mehr so miteinander gesprochen haben, wie es notwendig und sinnvoll gewesen wäre. Beispielsweise haben wir dann eine wöchentliche Projektgruppensitzung ins Leben gerufen, in der alle Mitarbeiter mit wichtigen Schnittstellen zusammenkamen. Da gab es häufig Aha-Effekte und der regelmäßige Austausch hat die Zusammenarbeit der Abteilungen und das gemeinsame Verständnis enorm gefördert“, berichtet Schmitt. Fazit: „Das Thema Kommunikation und Mitarbeitermotivation wird oft unterschätzt.“
Nicht minder problematisch sind zu häufige Wechsel in der Unternehmensführung. Immer wieder neue Manager und Geschäftsführer wollen sich profilieren, präsentieren neue Ideen und ändern immer wieder die Richtung. „Das kann zu einer Kette falscher Entscheidungen führen“, so die Erfahrung. Ganz zu schweigen von dem demotivierenden Effekt auf die Mitarbeiter, wenn diese immer wieder neue Konzepte umsetzen sollen.
Nur ein kleinerer Teil der Insolvenzen, so schätzt Schmitt, gehen auf den Faktor „Pech“ zurück. Das können Maschienendefekte sein, Ausfälle von Zulieferern und ähnliches. Betroffen sind häufiger kleine Unternehmen, die nur einen kleinen finanziellen Puffer besitzen. Es komme vor, dass „eigentlich alles stimmt“. Dann komme zum Beispiel ein Großauftrag hinzu, der vom Auftraggeber nicht pünktlich bezahlt werde. Oder ein maßgeblicher Debitorenausfall führe zu einem kostspieligen Rechtsstreit – „und schon kippt die Situation“, sagt Frank Schmitt. Es helfe wenig, wenn die Gesellschafter zuvor noch einmal Geld ins Unternehmen pumpten in der Annahme, so könne die Krisenphase überbrückt werden. Sie verlieren dann einfach noch mehr Geld.
Für den Insolvenzverwalter ist laut Frank Schmitt das vorrangige Ziel, zu retten, was zu retten ist. „Es ist immer der Anspruch, zumindest Teilbereiche zu sanieren und zu erhalten. Das ist gleichwohl nicht immer einfach“, sagt der Jurist. Ihm habe das Schicksal der Höchster Porzellanmanufaktur persönlich am Herzen gelegen – mithilfe eines chinesischen Investors sei dies gelungen. Beim Traditionshaus Haushalts- und Eisenwaren Hartmann, wo Generationen von Frankfurtern in der Innenstadt einzelne Schräubchen kauften, gelang die Rettung nicht. Die Kunden hatten sich daran gewöhnt, in die großen Baumärkte im Umland zu fahren. „Zudem ließ sich das Geschäft vor Ort in den Räumlichkeiten nicht sanieren, weil das Gebäude mit mehreren Etagen aus heutiger Sicht in einer 1A-Lage in der Frankfurter Innenstadt liegt. Der Vermieter hat dann zu verstehen gegeben, dass er schon hohe Angebote großer Marken für die Ladenflächen vorliegen hatte. Solche Sachen passieren auch.“
An Unternehmenslenker richtet der erfahrene Insolvenzverwalter eine eindringliche Empfehlung. Nach jeder größeren Insolvenz mit Medienberichterstattung tauchten die Beiträge mit dem erhobenen Zeigefinger auf. Es gebe aber trotzdem immer wieder Insolvenzen – jede ist anders und zudem sehr branchenabhängig. In puncto Betriebsblindheit könnten aber jetzt schon Weichen gestellt werden, unnötige Fehler zu vermeiden. „Große Themen sind nun die Digitalisierung und die E-Mobilität – man kann jetzt schon absehen, dass es zum Beispiel ein Zulieferer, der Auspuffanlagen herstellt, auf längere Sicht schwer haben könnte. Ein solches Unternehmen sollte sich jetzt schon Gedanken über sein Produktangebot und seine Standbeine machen.“
Das Falscheste, was eine Unternehmensführung tun kann, ist, die Augen bei Problemen zu verschließen. Schmitt hält den frühzeitigen Gang zum Insolvenzverwalter sogar für eine Chance: „Die Insolvenz sollte nicht als allerletzter Ausweg gesehen werden und bedeutet auch mitnichten das automatische Ende eines Unternehmens. Sie bietet vielmehr die Chance für einen Neuanfang. In den vergangenen Jahren gab es Reformen im Insolvenzrecht (ESUG), die eine Unternehmenskrise sanierungsfreundlicher gemacht haben. Man kann sich als Unternehmen zum Beispiel im Rahmen einer sogenannten Eigenverwaltung in eigener Regie sanieren. Die Optionen sind rechtlich derart gestaltet, dass man nicht bis fünf nach zwölf warten muss, sondern sich auch schon zehn vor zwölf an Fachleute wenden kann. Denn je früher man sich mit dem Thema Sanierung beschäftigt und entsprechende Maßnahmen ergreift, desto größer sind die Chancen für den Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze.“ Voraussetzung dafür sei, dass die Geschäftsführer die nötige Einsicht und Größe für diesen Schritt haben.