Integrationskultur "Man muss sich auf die Seite der Chancen schlagen"

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Die Gesellschaft bekommt mehr zurück, als sie investiert

Und dass man diese Arbeitskräfte hierzulande gut gebrauchen kann, kann niemand leugnen: Dem Handwerk fehlen rund 600.000 Fachkräfte und allein in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, so rechneten die Arbeitgeber jüngst vor, bräuchten die Unternehmen derzeit 164.400 zusätzliche Arbeitskräfte.
Klar ist, dass nicht jeder Flüchtling zum IT-Experte taugt. Aber dass ein ehemaliger Manager nicht als Bürokraft arbeiten kann, wenn er aus seiner Heimat keinen Nachweis über einen Computerkurs mitgebracht hat, mutet schon kafkaesk an.

Klar sollten im Zweifelsfall eher wirkliche Erfahrungen zählen statt formaler Voraussetzungen, meint Integrationsexpertin Christine Langenfeld. Aber: Zwei Klassen, also hohe Standards für Deutsche, niedrige für Flüchtlinge, dürfe es nicht geben.

Bislang ist es ein gigantischer Aufwand, Flüchtlinge in Lohn und Brot zu bringen. „Zehn Prozent der Menschen arbeiten nach fünf Jahren“, zitiert Weise Erfahrungswerte, „50 Prozent nach zehn Jahren und 70 Prozent nach 15 Jahren.“ Am Ende bekomme die Gesellschaft mehr zurück, als sie in die Flüchtlinge investiere. Aber: „Wir sollten uns nichts vormachen, wie schwer es für Menschen aus anderen Kulturen ist, in unsere geregelten Arbeitsmärkte zu kommen.“

Prominente Fußballer, die einst Flüchtlinge waren
Fatmire Alushi Quelle: imago images
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Unternehmen brauchen Flexibilität

Dass das so ist, ist nicht allein die Schuld der Behörden. Auch Unternehmen brauchen mehr Flexibilität, wie Sven Hennige, Senior Managing Director beim Personaldiensteister Robert Half, anlässlich der letzten Fachkräftewoche sagte: „Problematisch ist aus unserer Sicht, dass Unternehmen häufig nach dem Alleskönner suchen. Dabei lassen sich Fachkenntnisse durch Weiterbildungen und eine professionelle Einarbeitung schnell aneignen.“ Das macht allerdings nicht nur Flüchtlingen, sondern auch deutschen Arbeitnehmern zu schaffen. Hennige: „Personalverantwortliche sollten offener sein für Bewerber, die vom Anforderungsprofil abweichen oder den Quereinstieg suchen, wenn sie die besten Fachkräfte für Ihr Unternehmen sichern möchten.“ 

Was erfolgreiche Unternehmen für ihre Mitarbeiter tun

Und noch etwas wird sich ändern müssen: die Einstellung und Offenheit. „Das Bild unserer Gesellschaft in den Köpfen wandelt sich, aber man trifft immer wieder auf Vorurteile: Immer wieder werden Menschen mit ausländischen Namen gelobt, dass sie so gut deutsch sprechen können oder gefragt, wo sie wirklich herkommen“, sagt Grohnert.

Das erlebt auch die Autorin und Journalistin Khuê Pham regelmäßig, die ebenfalls bei der Diversity-Konferenz in Berlin teilgenommen hat: Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Alice Bota und Özlem Topçu hat sie das Buch „Wir neuen Deutschen“ geschrieben, in dem es genau darum geht: Wer nicht deutsch aussehe oder wessen Name fremd klinge, werde anders behandelt als andere – auch wenn er selbst in Deutschland geboren und aufgewachsen sei. Erst dadurch entstehe bei vielen ein Gefühl der Entfremdung. Und abgesehen davon, dass diesen Menschen ständig vermittelt wird, hier irgendwie nur zu Besuch zu sein, auch wenn sie vielleicht schon in dritter Generation in Deutschland leben, entstehen ihnen auch ganz reale Nachteile.

Staatssekretär Billen bringt es auf den Punkt: „Die Statistiken sind hier ja eindeutig: Auch bei gleichen Noten haben Jugendliche mit Migrationshintergrund schlechtere Chancen auf eine Stelle.“ Schneider wird zum Vorstellungsgespräch geladen, Celik bekommt eine Absage, Sandra wird angestellt, Alev nicht.

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