WirtschaftsWoche Online: Herr Biver, im Vorwort zur Ihrem Buch heißt es über Sie, dass Ihr Mut im Kampf für die mechanische Uhrenindustrie es mit dem der Schweizer Freiheitskämpfer aufnehmen kann. War das so dramatisch?
Herr Jean-Claude Biver: Diese einführenden Sätze stammen zwar nicht von mir, aber ich versuche es in ein größeres Bild zu fügen: Wenn der liebe Gott am Tage meines Todes die Frage stellen würde „Willst du ein zweites Mal leben?“, dann würde ich sagen, ja, aber nur, wenn du mir zu 100 Prozent das Leben gibst, dass ich hatte. Ich habe alle Privilegien bekommen: Gute Erziehung, Liebe, Gesundheit, Stärke, Optimismus – und auch Mut.
Die Tragik ist, dass es heute viele Menschen gibt, die keinen Mut haben und in einem bequemen Leben leben wollen ohne Risiko. Aber wer kein Risiko eingeht, erreicht auch nicht viel. Ein Skifahrer braucht, wenn er die Hahnenkamm-Abfahrt runterrast Training und Können – aber auch Mut. Sie brauchen Mut, wenn sie 16 Jahre alt sind und ein junges Mädchen ansprechen wollen. Mut ist überall.
Jean-Claude Biver
Jean-Claude Biver wurde 1949 in Luxemburg geboren. 1981 kaufte Biver zusammen mit Jacques Piget, einem Hersteller von Uhrwerken, für 22.000 Franken die Rechte an der Marke Blancpain. Diese hatte bereits 1970 den Betrieb eingestellt, Biver und Piget begannen mit ihrem Unternehmen als die Quarzkrise den Schweizer Herstellern zu schaffen machte. Blancpain konzentrierte sich ausschließlich auf den Bau mechanischer Uhren. 1992 wurde das Unternehmen für 60 Millionen Franken an die Swatchgroup verkauft. Er blieb bis 2003 bei der Swatchgroup unter anderem als CEO von Blancpain. In seiner Zeit bei der Swatchgroup half er auch, die Marke Omega besser zu positionieren. 2004 wurde Biver CEO bei Hublot und konnte auch dank eines Modells - der Big Bang - sofort große Erfolge feiern. 2008 übernahm die Luxusgruppe Louis Vuitton Moet Hennessy (LVMH) Hublot. Biver ist aktuell Leiter aller Uhrenmarken des Konzerns: Hublot, TAG Heuer und Zenith. Neben der Uhrenleidenschaft hat er auch eine für Käse und produziert jährlich rund fünf Tonnen auf seinem Hof in den Schweizer Alpen.
"Du kannst alles, wenn du nur willst" heißt das Buch, das Jean-Claude Biver Anfang März veröffentlicht hat. Auf rasch zu lesenden 128 Seiten schildert Biver seine Jahre als Unternehmer und Manager, schildert Stationen und versucht daraus Lektionen abzuleiten. Das Buch ist erschienen bei Orell Füssli.
Sie brauchten vielleicht mehr davon als andere, denn als Sie als Kind aufs Internat gingen, haben Sie sich auch um ihren jüngeren Bruder gekümmert. Sie haben Verantwortung übernommen.
Jeder hat diese Kräfte und sie sind bei vielen unbewusst oder nicht unerschöpft. Bei mir hat sich die Kraft zur Führung schon im Internat entwickelt. Das sehe ich als etwas Positives. Diese Fähigkeit hätte sich vielleicht auch später entwickelt, aber ich glaube, dass es für mich ein Privileg war, dass das so früh mein Leben beeinflusste. Die Pfeiler sind in meiner Kindheit gelegt, ich will erster sein, ich will einmalig sein, ich will führen, ich will entwickeln, ich will Schwierigkeiten überwinden – das ist da.
Sie sagen, dass es das Leben immer sehr gut mit Ihnen gemeint hat. Ihre Eltern haben sich getrennt als sie ein Kind waren, Sie sind in den 90er Jahren an der Legionärskrankheit erkrankt und haben Rückschläge in der beruflichen Laufbahn erfahren...
Ich glaube an Fehler und Niederlagen. Durch beides lernt man dazu. Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass man fast nur durch beides lernt. Also muss man Fehler als etwas Positives einschätzen, indem man sich eingesteht, dass man einen Fehler begangen hat und sich sagt, dass man reicher geworden ist. Warum? Weil man den Fehler nie mehr wiederholen wird. Wenn du blöd bist, dann wiederholst den gleichen Fehler in zwei Jahren wieder. Aber ich gehe davon aus, dass man Fehler, die man erkannt hat, nicht wiederholt. Wenn sie in ihrem Leben die wichtigen 100 Fehler bereits gemacht haben, dann kommen sie am Ende es Lebens nahe an die Weisheit.
Wie meinen Sie das?
Es ist wie in der asiatischen Kampfkunst, wo sie die Kraft des Gegners nutzen, um ihre Bewegung auszuführen. Es reicht also nicht, aus dem Fehler zu lernen, sondern sie müssen die Energie der Niederlage nehmen, um sich zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. In jedem Erfolg steckt Energie, aber auch in jedem Misserfolg. Das habe ich gelernt: Nie nach einer Niederlage am Boden zu bleiben, sondern wieder aufzustehen.
Sie schreiben viel über die Liebe ihrer Eltern und die Unterstützung, die sie erfahren haben. Von was lassen Sie sich als Manager leiten – der ökonomischen Notwendigkeit oder ihren Werten?
Meine Antwort darauf klingt vielleicht dumm: Ich glaube, Entscheidungen im Betrieb müssen immer den Kopf, die Ratio als Gesicht der Entscheidung haben, plus Erfahrung, plus Instinkt, plus Herz. Jede Entscheidung soll durch diese vier Trichter gehen. Manchmal hat das Herz 10 Prozent, manchmal 40 Prozent.
Kopf, Erfahrung, Instinkt und Herz sind Entscheidungsträger
Sie wurden wegen schlechten Benehmens in der Schule in einem Jahr nicht versetzt. Was haben Sie gemacht?
Ich habe Schulfreunde dazu animiert, einen Streik zu organisieren. Und weil ich der Anführer war, wurde ich bestraft.
Warum haben Sie überhaupt gestreikt?
Eine romantische Folge vom Mai 1968 in Paris. Wir leben nicht weit weg von Frankreich und die dortige Studentenrevolution wollte ich in meiner Schule auch einführen. Schulische Themen spielten keine Rolles. Es war dumm. Es war mehr der Versuch, einen Trend aufzugreifen, weil Paris ein Modell war für unsere Jugend. Wir dachten, dass wir eine Revolution machen müssten, wir waren Hippies, wir waren Flowerpower und all diese Dinge.
Ist es Ihnen wichtig, Spuren zu hinterlassen?
Es geht nicht ohne, dass man seinem Leben einen Sinn gibt. Warum lebe ich, warum soll ich leben, warum soll ich Kinder haben? Darauf sollten sie als Führungskraft eine Antwort haben. Es ist leichter im Beruf, wenn sie Ziele haben. Ich hatte Schwierigkeiten, Ziele zu finden. Warum soll ich studieren oder arbeiten? Warum kann ich nicht einfach Musik hören oder einfach ständig im Urlaub sein? Darauf habe ich eine Antwort erfunden: Mach aus deinem Leben etwas, in dem du versuchst, eine Spur zu hinterlassen der Liebe, gegenüber den Menschen, den Tieren, der Natur. Liebe bedeutet Respekt, Vergebung und Teilen. Im Beruf geht es darum, dass deine Person eine Rolle gespielt hat, indem du etwas leistest, woran sich später jemand erinnert. Das motiviert mich heute noch.
Welche Uhrenmarke gehört zu wem?
1881 gründeten die Uhrmacher Jule-Louis Audemars und Edward-Auguste Piguet die gemeinsame Firma und produzierten hochkomplizierte Taschenuhren. Nach dem Tod der Firmengründer in den Jahren 1918 und 1919 führten die Erben das Unternehmen fort und konzentrierten sich auf den Bau von Armbanduhren. Heute ist die Marke eine Aktiengesellschaft. An der Spitze steht Verwaltungsratspräsidentin Jasmine Audemars. Die Marke ist unabhängig und gehört keiner der großen Luxusholdings an.
In der Uhrenbranche führt kaum etwas an Rolex vorbei. Das 1905 von dem Kulmbacher Hans Wilsdorf gegründete Unternehmen stellt die beliebtesten mechanischen Uhren her - von keinem Modell werden so viele Kopien produziert wie von den Rolex-Ikonen. Das Unternehmen gehört der Fondation Hans Wilsdorf, einer Stiftung, über die so gut wie nichts bekannt ist, die keine Webseite besitzt und die im deutschsprachigen Wikipedia keinen Eintrag hat. Zahlen gibt die Aktiengesellschaft kaum bekannt. Alle Zahlen zu Produktionsmenge, Mitarbeitern und Umsatz sind Schätzungen. Das Unternehmen ist sprichwörtlich so verschwiegen, wie eines seiner erfolgreichsten Modelle: Oyster.
Das 1839 von Antoine Norbert Graf de Patek gegründete Unternehmen gewann seinen Namen aus dem Zusammenschluss von Graf de Patek mit Jean-Adrien Philippe. Die Manufaktur war Erfinder der Aufzugskrone und zahlreicher anderer Innovationen im Uhrenbau. Die Familie Stern übernahm bereits 1932 von Philippe das Unternehmen. Bis heute ist das Unternehmen in Hand der Familie Stern, der derzeit amtierende Chef ist Thierry Stern, dessen Vater Philippe Stern das Unternehmen über Jahrzehnte führte und bis heute dort aktiv ist.
Die Kering Group nannte sich bis 2013 PPR - für Pinault Printemps Redout. Das ist die Luxusholding des Franzosen François-Henri Pinault mit rund 35.000 Mitarbeitern. Dazu gehören der Sportartikelhersteller Puma oder die Luxuslabel Gucci und Bottega Veneta. Die Kering Group besitzt mehrere Uhrenmarken. Neben Jean Richard zählen dazu Girard Perregaux und Ulysse Nardin. Die letztgenannten waren 2017 erstmals auf der Genfer Uhrenmesse Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH) vertreten, auf der alle Marken der konkurrierenden Holding Richemont ihre Uhren ausstellen.
Die börsennotierte LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton SE ist mit einem Umsatz von 35 Milliarden Euro in 2015 und mehr als 120.000 Mitarbeitern weltweit der größte Luxuskonzern. CEO ist Bernard Arnault, dem auch wesentliche Anteile des Aktienbestands gehören, er lag bei Erwerb Ende der 80er Jahre bei 45 Prozent. Neben Spirituosenmarken wie Hennessy, Champagner wie Moet Chandon, Dom Pérignon und Krug gehören auch Bulgari oder inzwischen auch mehrheitlich der deutsche Kofferhersteller Rimowa zum Konzern. Die französische Luxusmarke Hermès konnte sich den Versuchen Arnaults, die Marke zu übernehmen, widersetzen. Die Uhrenmarken des Konzerns sind Zenith, TAG Heuer, Hublot und Dior Watches.
Der Schweizer Luxuskonzern wird geleitet von Johann Rupert, dem Sohn des Unternehmensgründers Anton Rupert, der den Konzern von Südafrika aus steuert. Zu Richemont gehören als Uhrenmarken: A. Lange & Söhne, Baume & Mercier, Cartier , IWC,
Jaeger-LeCoultre, Montblanc, Officine Panerai, Piaget, Roger Dubuis, Vacheron Constantin und Van Cleef & Arpels.
Sie propagieren, dass man eine seiner Leidenschaft zur Berufswahl heranziehen sollte. Gilt das auch, wenn diese eventuell gänzlich brotlos ist oder zu sein scheint? Wenn ihr Sohn Rockstar oder Künstler werden möchte: Soll er das tun?
Er soll das unbedingt tun. Mein bester Freund sagte mir unlängst, dass sein jüngster Sohn mit 17 Jahren überlegt nach dem Abitur Surflehrer zu werden. Da habe ich ihm gesagt: „Schick‘ ihn nicht auf die Uni. Er soll ein Jahr surfen, das ist kein Problem. Er wird dabei lernen.“ Er wird vielleicht feststellen, dass ihm das nicht ausreicht.
Mein Sohn bekäme diesen Ratschlag: Mach‘ es. Das bedeutet schließlich nicht, dass jemand das sein ganzes Leben machen wird. Die heutige Jugend wird drei oder vier Berufe in ihrem Leben ausüben.
Leidenschaft und Unternehmergeist
Sie haben im Laufe ihrer Karriere sowohl als Unternehmer als auch – wie derzeit – als Manager gearbeitet. Was verbindet beides?
Beide haben zwei Sachen gemeinsam: Die Leidenschaft. In meinem Fall für die Uhrmacherei. Ob ich selbstständig oder angestellt bin, spielt dafür keine Rolle. Zum anderen: Der Unternehmergeist. Der ändert sich auch nicht. Mir hat vielleicht nicht immer das Unternehmen gehört. Aber mir hat immer das Marketing gehört, mir hat immer der Vertrieb gehört, mir hat immer die Entwicklung gehört – weil es meine Ideen waren.
Sie gelten als gewiefter Manager und haben jüngst Teile der Uhrenbranche gegen sich aufgebracht, weil sie während der Genfer Messe SIHH ein Boot mieteten und ihre Uhren dort präsentierten – sich aber nicht an den Kosten für die Messe selber beteiligten. Fair klingt das nicht.
Ich finde es schade, wenn 90 Prozent meiner Kunden nach Genf komme, ich selber wohne und meine Firma sitzt und ich kann diese Kunden nicht empfangen. Das ist Zeitverschwendung. Wenn meine Kunden da sind, dann möchte ich ihnen anbieten, mit mir zu frühstücken oder mich zu besuchen. Es war weniger, um jemanden zu ärgern, sondern davon zu profitieren, dass eh alle Kunden anreisen. Wenn 800 von 1000 meiner Kunden vor Ort sind und ich gebe ihnen keine Gelegenheit, mich zu treffen, dann habe ich ein Problem im Management.
Bis 2004 haben Sie keine Emails gelesen und sich mit SMS schwer getan. Das haben Sie radikal geändert. Fiel Ihnen das leicht?
Ich hatte keine Wahl. Als ich Hublot übernahm, hatte das Unternehmen ein Informationssystem, der über Email ging – und ich hatte nie eine Emailadresse bis dahin. Ich musste lernen, wie das geht, wie man mit einem Computer umgeht. Ich habe das mit viel Neugier gelernt. Später habe ich es dann geschätzt, heute sind alle diese Dinge mein wichtigstes Instrument als Manager. Ich spreche so ständig mit meinen Leuten.
Warum haben Sie so lange damit gewartet?
Weil ich es bei der Swatchgroup, wo ich davor war, nicht unbedingt benötigte. Ich hatte ein Problem, diesen Schritt zu machen, weil ich eine gewisse Ablehnung gegenüber dem Computer hatte, weil ich es nicht kannte. Das ist eine typische, relativ dumme Haltung. Wenn sie die Neugier nicht besitzen, etwas zu lernen, dass sie nicht verstehen, dann lehnen sie es ab. Das ist nicht gut. Ich war in der Tendenz, alt zu werden. Für mich ist das das Zeichen, alt zu werden – die Neugier zu verlieren. Ich wurde gerettet!
Eine der drei Marken, die Sie betreuen, stellt nun auf der Messe eine Smartwatch vor. Zu der Gattung Fehler gehören auch Irrtümer. Die großen Marktforschungsinstitute gehen davon aus, das Wearables und darunter auch Smartwatches ein weiterhin wachsender Markt sind. Im Buch steht: „Die Uhren der Computerfirmen erinnern nicht im entferntesten an ein Schmuckstück.“ Das klingt nach Pfeifen im Walde. Gerade im Preissegment bis 1000 Euro tummeln sich ausreichend Hersteller, die modische Smartwatches anbieten, denen man ihre Funktion teils nicht mehr ansieht.
Da haben Sie Recht. Ich habe Unrecht.
Die Antwort überrascht.
Dieses Buch hat mehrere Jahre gebraucht, bis ich davon überzeugt war. Die Aussage hat damals gestimmt, als die meisten Wearables wie eine Smartuhr ausgesehen haben. Heute ist das nicht mehr der Fall. Heute sind Uhren auf dem Markt von Fossil bis Montblanc oder Louis Vuitton, die mit Sicherheit mehr nach Uhr als nach Computeruhr aussehen. Dieser Teil meines Buches ist nicht mehr ganz aktuell.