Jeff Bezos Mieser Führungsstil bei Amazon?

85-Stunden-Wochen, Drill und Kontrolle: Amazon springt angeblich harsch mit seinen Managern um. Entsprechend schnell kommt die Kündigung. Nur: Bei Google & Co. ist die durchschnittliche Verweildauer auch nicht länger.

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Amazon-Chef Jeff Bezos Quelle: AP, Montage

Bei den großen US-Konzernen geht es um den Spirit - Leidenschaft statt Lebenslauf. Wer zu Google möchte, muss seine "Googlyness" unter Beweis stellen, Facebook sucht Wegbereiter, Hacker und Pioniere mit Werten, und wer bei Amazon anheuern will, muss sich voll und ganz in den Dienst des Kunden stellen. Daraus macht Amazon auch kein Geheimnis. Auf der hauseigenen Karriereseite steht der Punkt „Customer Obsession“ ganz oben. „Du passt hier rein oder eben nicht“, sagt Amazon-Managerin Nimisha Saboo in einem Video. „Du liebst es oder eben nicht. Es gibt keinen Mittelweg.“

Mehr als 160.000 Menschen weltweit haben sich für die Liebe entschieden und arbeiten bei Amazon, jährlich kommen mehrere tausend hinzu. Laut einem aktuellen Bericht der New York Times gibt es allerdings auch viele Manager, die die Arbeit bei Amazon ganz und gar nicht lieben. Ex-Mitarbeiter wettern in der renommierten Zeitung gegen den Warenhaus-Giganten und die Methoden, mit denen die Angestellten zu Höchstleistungen getrieben werden sollen, um den Kunden zufrieden zu stellen. Erst wenn König Kunde zufrieden ist, kommen die Bedürfnisse der Mitarbeiter.

Aufstieg mit Schattenseiten: Wie funktioniert Amazon?

Das ist bei anderen Internet-Giganten wie Google oder Facebook nicht anders, jedoch setzt Bezos laut der Times auf mittelalterliche Arbeitsbedingungen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Kernvorwürfe, die die Times in dem Artikel nach Interviews mit „mehr als 100 derzeitigen und ehemaligen“ Amazon-Angestellten erhebt:

• Mitarbeiter spionieren sich gegenseitig aus
• Angestellte sollen ihre Kollegen bei den Vorgesetzten anschwärzen, wenn sie Fehler machen, Mobbing sei an der Tagesordnung
• der Job als Amazon-Manager erfordere 85-Stunden-Wochen
• endlose Konferenzen und Mails am Wochenende und um Mitternacht raubten den letzten Rest an Freizeit.

Dass die Arbeit in den Amazon-Logistikzentren kein Zuckerschlecken ist; dass die Angestellten dort angetrieben, kontrolliert und überwacht werden, ist bekannt. In Deutschland etwa prangert die Gewerkschaft Verdi eine hohe Krankenquote von 20 bis 30 Prozent an – ausgelöst durch „lange Laufwege, extrem hohes Arbeitspensum“ und „ständige Kontrolle und Vergleichbarkeit“. Dass Amazon aber auch die Angestellten in der Firmenzentrale massiv unter Druck setzt, sorgt für neuen Wirbel.


„Bist Du nicht fähig, 80 Stunden pro Woche absolut alles zu geben, dann sehen sie das als große Schwäche", zitiert die Times etwa Molly Jay, einst mitverantwortlich für Amazon-Ebook-Kosmos Kindle. Krankheiten wie Krebs gelten als persönliche Schwierigkeit im Privatleben und seien kein Grund, einen Gang runterzuschalten.Wer die Anforderungen nicht erfülle, dem werde die Kündigung nahe gelegt, heißt es in dem Bericht. "Fast jede Person, mit der ich zusammengearbeitet habe, hab ich am Schreibtisch weinen gesehen“, sagt Bo Olson, einst verantwortlich für das Bücher-Marketing.

Rückendeckung aus der eigenen Belegschaft

Nick Ciubotariu arbeitet seit März 2014 bei Amazon als technischer Leiter und ist stolz auf seine Arbeit und die seiner Kollegen. Ihm stößt der Artikel der Times mehr als sauer auf und er wirft den Autoren vor, gezielt Anekdoten von ehemaligen Angestellten ausgewählt zu haben, um Vorurteile zu untermauen. Trotzdem schlägt dem Konzern seit der Times-Veröffentlichung weltweit Kritik entgegen. Die ist so groß, dass sich Bezos selbst zu einer Stellungnahme gezwungen sah. „Der Artikel beschreibt nicht das Amazon, das ich kenne, oder die Amazionians, mit denen ich jeden Tag arbeite“, schreibt er in einem Memo an die Angestellten – und startet gleich eine Gegenoffensive. „Aber wenn ihr von irgendeiner Geschichte wie den berichteten wisst, möchte ich, dass ihr sie an die Personalabteilung meldet. Ihr könnt mich auch direkt anschreiben unter jeff@amazon.com.”

Vita: Jeff Bezos

Es dürfe keine Toleranz gegenüber einem solchen Mangel an Empathie geben. „Ich glaube fest daran, dass jeder, der in einem Unternehmen arbeitet, wie es die New York Times beschreibt, verrückt wäre zu bleiben“, schreibt Bezos an seine Mitarbeiter. „Ich weiß, dass ich eine solche Firma verlassen würde.“ ´

Laut der Times lassen die Kündigungen der Amazon-Mitarbeiter auch nicht lange auf sich warten. Das Blatt zitiert eine Studie des US-Unternehmens PayScale aus dem Jahr 2013, wonach Amazon-Angestellte im Durchschnitt gerade mal ein Jahr bei dem Konzern bleiben. Doch jetzt kommt das Aber: Angestellte bei Google, dem weltweit beliebtesten Arbeitgeber, bleiben im Median auch nur 1,1 Jahre im Unternehmen. Bei Ebay sind es 1,9 Jahre, bei Yahoo 2,4. Unternehmen wie Facebook, Twitter oder Netflix tauchen in der Liste der untersuchten 500 US-Unternehmen nicht auf.

Trotzdem scheint es auf den ersten Blick ein Problem der Internetwirtschaft zu sein, dass die Mitarbeiter nach nur sehr kurzer Zeit das Handtuch werfen – und zwar unabhängig vom Wohlfühlfaktor. Die treuesten Mitarbeiter hat dagegen die Eastman Kodak Company. Dort bleiben die Angestellten im Median 20 Jahre.

Amerikaner kündigen im Schnitt nach fünf Jahren

Doch an der Branche liegt es nicht – jedenfalls nicht nur. Zum einen bleiben Amerikaner ihrem Arbeitgeber wesentlich kürzer treu als die Deutschen: Während amerikanische Mitarbeiter durchschnittlich nach 4,6 Jahren Betriebszugehörigkeit kündigen, bleiben die Deutschen 10,3 Jahre in einem Unternehmen, bevor sie weiterziehen. Ein schneller Durchlauf ist also nichts Ungewöhnliches. Zum anderen haben Internet- und Technik-Konzerne dank ihres rasanten Wachstums einen riesigen Personalhunger, der sich aber oft nur in befristeten Verträgen niederschlägt. Allein bei Google arbeiten mehr als 40.000 Menschen, jedes Jahr gehen dort mehr als 2,5 Millionen Bewerbungen ein. Im Jahr 2013 hat Google rund 8000 neue Mitarbeiter eingestellt. Diese haben entsprechend nur eine Betriebszugehörigkeit von maximal zwei Jahren vorzuweisen. Ähnlich argumentiert auch Amazon als Reaktion auf die Vorwürfe der Times. Die Kündigungsrate sei vergleichbar mit anderen Tech-Firmen.

Hinzu kommt, dass Mitarbeiter in der Internetbranche in der Regel sehr jung und eher wechselwillig sind. Bei Google liegt das Durchschnittsalter bei 29 Jahren, bei Amazon sind es 32 Jahre. Zum Vergleich: Mitarbeiter bei Eastman Kodak sind im Schnitt 50 Jahre alt.
Entsprechend nutzen viele Berufseinsteiger die Konzerne als Sprungbretter. Das funktioniert besonders gut, weil die Personalchefs der Internet-Riesen oftmals auf gute Unizeugnisse und den Maßanzug pfeifen, solange der Bewerber nur den richtigen Hunger und ausreichend Leidenschaft mit bringt. Entsprechend schnell lässt es sich bei Amazon aufsteigen. Doch wie bei anderen US-Innovatoren ist auch bei Amazon ein Aufstieg nicht ohne entsprechendes Engagement zu schaffen. Auch Tesla-Chef Elon Musk soll nicht gerade zimperlich mit seinen Angestellten umgehen. Dennoch sind die Zufriedenheitswerte der Mitarbeiter – sowohl bei Tesla als auch bei Amazon – recht hoch.

So schreibt ein Nutzer bei der Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu: „Nach mehreren Arbeitgebern und 20 Jahren Berufserfahrung, kann ich nur sagen: Ich kenne keinen anderen Arbeitgeber, der so mitarbeiterorientiert ist wie Amazon. Die Arbeitsweise unterliegt klaren Regeln, damit muss man leben können oder nicht. Wer das kann, der ist bei Amazon sehr gut aufgehoben.“

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