Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.
Um unseren Bedürfnissen gerecht zu werden, braucht es manchmal ein paar Tricks. Und die wirken auf viele auch mal lächerlich. Weil so ungewohnt. Da rät die Psychologin im Fernseh-Interview: „Sehen Sie die Maske in Corona-Zeiten einfach als Ihren Freund. Dann nervt sie nicht mehr so sehr.“ Und die Reaktion vieler Zuschauer: Eine Maske als Freund! Was für ein Psycho-Blödsinn.
Doch die Idee dahinter ist schlicht: Verändern Sie Ihre Haltung zu Ihren eigenen Gunsten. Bearbeiten wir uns dafür selbst. Dazu dient etwa die Aussage „Meine Maske ist mein Freund“. Lächeln wir über diese kuriose Einstellung. Und nehmen wir sie an. Weil es unser Leben leichter macht.
Gerade dieser Tage habe ich von Coach-Kollegin Carmen Michaelis gelesen: „Schreiben Sie zum Beispiel die Dinge, die Sie loslassen wollen, auf Zettel und verbrennen Sie diese. Oder bauen Sie Schiffchen daraus, wandern Sie zum nächsten Gewässer und lassen Sie sie los.“
Die Idee habe ich einem Freund vorgeschlagen, der 2020 als sein persönliches Job-Horror-Jahr bezeichnet. Seine Reaktion erstmal: Augenrollen. „Was soll so ein Quatsch?“ Ich habe mein Bestes gegeben, ihn zu überzeugen. Und ich glaube, wir gehen an Silvester mit zwei Zetteln an den Landwehrkanal. So wie für viele das Geböller an Neujahr um 0 Uhr eine wichtige Zäsur bedeutet (Zähler auf null), kann auch ein solches Abstreif-Ritual mit Papier sehr befreiend wirken. Es prägt sich einfach das gute Gefühl ein: Ich habe gehandelt, um etwas loszuwerden. Auch wenn es ein symbolisches Handeln war, wie der erste Spatenstich, das Durchschneiden eines roten Bandes.
Und genauso können wir nun einfach auch ein neues Aufbruch-Ritual ausprobieren: das Job-Lob zum Jahreswechsel. Lob für die Kollegin gegenüber im Großraumbüro, Lob von der Leitstelle an den U-Bahn-Fahrer, Lob vom Fraktionschef an die „Hinterbänkler“, Lob vom Pfleger an die Ärztin, Lob von der Kassiererin an den Filialleiter.
Richtig loben
Ein grundloses Lob geht nach hinten los. Es klingt wie Spott. Man nimmt Lob nur von einem Menschen an, dessen Kompetenz feststeht, und von dem man bei schlechter Leistung auch kritisiert worden wäre. Also sollte der Lobende nicht übertreiben. Bei der Formulierung des Lobes, sollten die erzielten Erfolge genau benannt werden.
Ein glaubwürdiges Lob muss echte Begeisterung des Lobenden spürbar machen. Coolness ist in diesem Fall unangebracht.
Gute Pädagogen loben die jeweiligen Fortschritte jedes Einzelnen und vermeiden Vergleiche. "Paul, Du bist fast so gut wie der Peter", wirkt eher demotivierend.
Angehängte Kritik macht jedes Lob klein. Auf entwertende Worte wie „aber“ und „eigentlich“, sollte ein Lobender verzichten.
Denn für gewöhnlich nehmen sich viele im Joballtag wenig Zeit für Lob auf der zwischenmenschlichen Ebene. Oft sind Kritik und Lob projektbezogen. Wie war das Kundenfeedback, wie kam die Titelstory online an, wie ist es gelaufen bei der Einführung des neuen Produkts? Tenor: Was können wir für die Zukunft daraus lernen? Das ist auch alles vernünftig und richtig. Aber vielen fehlt das Persönliche. Gerade in Zeiten vor der Webcam, in denen der vertrauliche Plausch oft wegfällt.
Deshalb einfach nur mal so liebe Worte für das gute Gefühl. Der Jahreswechsel ist für alle, die gerne wollen, aber einen Anlass dafür suchen, die Gelegenheit. Lob statt Böller. Gerade dieses Jahr ohne Firmenweihnachtsfeiern, ohne Schrottwichteln im Büro, ohne selbst gebackene Vanille-Kipferl für alle in der Teeküche.
Lob wie ein Strauß Blumen, wie eine Schachtel Pralinen, wie eine gute Flasche Wein.
So fädeln Sie das Lob ein
Wenn Sie ein Team leiten, können Sie das natürlich einseitig initiieren. Überraschen Sie Ihre Leute mit einem kleinen Anruf. Aus „Oh Gott, was will der Chef denn jetzt von mir?“ wird ein wohliges „Das ist aber wirklich nett.“ Oder verbinden Sie ein kleines Geschenk mit ein paar netten Worten. Ich weiß von Kollegen, die jedem einen Gutschein-Code für eine Schokoladen-Manufaktur gemailt haben mit einer persönlichen Danke-Botschaft. Oder von einer Bekannten, die gemeinsam mit ihren Kindern kleine Kekse und Schokolade in ein Tuch gewickelt und mit einer Grußbotschaft versehen jedem ins Postfach gelegt hat.
Trauen Sie sich mehr als freundliche Floskeln wie „Es war ein hartes Jahr für uns alle, danke für Deinen Support. Auf dass 2021 besser wird.“ Zeigen Sie, dass Sie jeden mit seinen persönlichen Stärken wahrnehmen. „Dass du uns trotz der Herausforderungen mit dem Homeoffice zu Hause und deinen drei Kindern mit so viel Energie vorangebracht hast, ist nicht nur mir aufgefallen.“ Oder: „Dein Humor hat unseren Video-Konferenzen Leichtigkeit in unruhigen Zeiten eingehaucht.“
Sollte Ihr Chef oder Ihre Chefin selber nicht auf die Idee „Lob statt Böller“ kommen, dann schlagen Sie es doch vor. Etwa auch als gegenseitigen Austausch im Sinne von „jeder lobt jeden“ (für kleine Teams) oder „jeder lobt einen“ kombiniert mit einem schnellen Losverfahren, durch das sichergestellt ist, dass am Ende keiner ohne Lob dasteht und auch noch als Außenseiter ins neue Jahr starten muss.
Lob als Knallfrosch gegen alte Verkrustungen
Auf den ersten Blick wie ein Alptraum könnte Ihnen natürlich vorkommen, wenn das Los Sie trifft, jemanden aus dem Team loben zu müssen, den Sie nicht ausstehen können. Oder wenn Sie in einer Leitungsfunktion jedem persönlich danken wollen – und dann eben auch den, bei denen Sie schon alle arbeitsrechtlichen Schritte durchgespielt haben, um ihn loszuwerden.
Dann sehen Sie es als kleinen Glücksfall: Die Gelegenheit, jemandem zu schmeicheln, den man nicht mag, hat man nicht jeden Tag. Im Ernst: Ich will nicht behaupten, eine Aktion wie „Lob statt Böller“ heile alle Wunden, aber es ist die ritualisierte Chance, einen Neuanfang zu wagen, ohne sich anlasslos anzubiedern. Es ist eben das Spiel zum Jahreswechsel. Und damit ein guter Grund.
Und Sie müssen Streitpunkte ja nicht ignorieren und so tun, als sei niemals irgendetwas vorgefallen. Machen Sie offensichtlich einen Sport daraus, es nett zu meinen. Das kann Wunder wirken. Vielleicht so: „Wir sind ja oft unterschiedlicher Meinung, wie moderne Teamführung funktioniert. Und das hebt nicht gerade die Stimmung zwischen uns. Aber ich habe mir vorgenommen, jedem im Team vor Ablauf des Jahres ein Lob zukommen zu lassen. Und mir ist aufgefallen, dass du zwar innerhalb des Teams einen sehr autoritären Ton anschlägst, der viele kränkt und einschüchtert. Aber dafür hältst du gegenüber der Geschäftsführung konsequent die Hand über deine Leute. Das finde ich sehr sympathisch.“
Sicherlich sind die Lobes-Worte auf jemanden, mit dem es im Joballtag knirscht, am schwierigsten zu finden. Aber dafür birgt das Ganze ein ganz besonderes Potenzial: das für ein Lächeln beim Lesen. Dank Ihnen. Ein kleines „Wow!“, das Gefühl von „Da ist jemand über seinen Schatten gesprungen“ – und das kann ein gewaltiger Eisbrecher sein. Und ist ein Zeichen Ihrer Größe. Eins zu null für Sie. Jetzt darf der andere gleichziehen.
Mark Twain soll einmal gesagt haben: „Von einem Kompliment kann ich zwei Monate leben.“ Und ja, Lob und Komplimente sind Seelennahrung. Und deshalb betrachten Sie die Aktion „Lob statt Böller“ nicht als Prozessoptimierungs-Maßnahme. Oder als Beitrag zum „Learning“.
Das Ritual zum Jahresstart setzt das Kompliment bewusst auf eine Spur neben die übliche Kritik-Kultur. Aber es spricht nichts dagegen, es als Startschuss zu nehmen für einen lockeren Umgang mit Lob ohne Angst vor dem Vorwurf der Schleimerei.
An anderer Stelle habe ich schonmal beschrieben, wie ein Reporter aus unserem Team plötzlich in der Tür meines Büros stand: „Ich wollte dir nur mal sagen: Du bist einfach ein guter Moderator.“ Nun hege ich natürlich die Hoffnung, dass er objektiv recht hat. Aber allein seine Motivation, sich für das Kompliment auf den Weg zu mir zu machen, war mir eine Ehre. Und hat mir den Tag viel schöner gemacht: „Hach!“
Probieren Sie es aus. Schenken Sie den anderen ein „Hach“-Gefühl. Zum Startschuss in der ersten Januarwoche. Oder machen Sie „Lob statt Böller“ künftig zum „Kompliment der Woche“. Nennen Sie es das Projekt „Runter wie Öl“. Egal. Aber trauen Sie sich mehr echte Komplimente. Für viel Schwung in 2021!