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Rhetorik: Wie man miese Unterstellungen kontert Quelle: imago images

So kontern Sie miese Unterstellungen

Wenn Ihre Widersacher in Diskussionen vor anderen Leuten nicht mehr anders können, als Ihnen unsympathische Hintergedanken zu unterstellen, dann wissen Sie: Mit Ihrer Position liegen Sie goldrichtig. Aber die Unterstellungen schmälern Ihre Überzeugungskraft. So halten Sie dagegen.

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

Ich bin mir ziemlich sicher: Seit Menschen miteinander sprechen können, tricksen sie sich mit jener rhetorischen Finte aus, um die es in dieser Episode gehen soll. Und weil sie jeder beherrscht, werden die Täter bei nächster Gelegenheit selber zum Opfer. Es geht um die Unterstellung, der andere hege mit seinem Standpunkt eigentlich ganz andere Hintergedanken und spreche gar nicht offen aus, worum es ihm eigentlich geht. Bestimmt hat jeder von uns schon als Kind diese rhetorische Gemeinheit selber angewandt. Etwa bei der in jungen Jahren weltbewegenden Frage beim Sonntagsfrühstück:

„Warum darf sich Niko einen Hund zum Geburtstag wünschen und ich nicht?“
„Du darfst dir auch einen wünschen. Du bekommst aber keinen.“
„Aber Niko hat dann einen kleinen Hund bekommen.“
„Das können Nikos Eltern gerne so entscheiden. Wir haben das schon oft diskutiert. Wir kaufen uns keinen Hund. Du kennst die Gründe.“
„Ja, wahrscheinlich haben Nikos Eltern ihn einfach viel mehr lieb als ihr mich!“ Und heulend ab ins Kinderzimmer. Rumms!

Papas Hundeallergie? Mamas Befürchtung, irgendwann bliebe das Gassigehen an ihr allein hängen? Alles egal. Denn endlich spricht sie einer aus, die verdeckte Agenda der Eltern: die geplante Demütigung des Kindes als Zeichen mangelnder Liebe. Dieses Argument ist ein scharfes Schwert. Nicht schlecht für einen Sechsjährigen.
Die Unterstellung unsympathischer Beweggründe ist aber auch unter Erwachsenen gang und gäbe. Spannend wird es dann, wenn die Unterstellungen wirklich verfangen könnten:

- „Dir geht es in Wirklichkeit doch nicht um die Firma, sondern nur darum, deine Karriere voran zu bringen.“

- „Du lädst uns doch nur zum Essen ein, damit noch vor deinem Urlaub der Kühlschrank leer wird.“

- „Der diskutiert doch nur so lange, bis wir am Ende keine Lust mehr haben und gar nicht ins Kino gehen.“

Bei Kinkerlitzchen lässt sich die Unterstellung schnell wegräumen: „Stimmt nicht, ich habe Lust auf Kino. Aber es kommt offenbar kein Film, der uns alle interessiert.“

In Diskussionen von Tragweite vor Zuhörern können Unterstellungen allerdings schädlich für Sie sein - etwa für Ihre Beziehung oder Ihre Karriere. Nun kommt es darauf an, klug zu kontern.

Beispiel: Der Bevormundungs-Vorwurf

Stellen Sie sich sich selber als Politiker in einer Fernsehtalkshow vor (nur mal so, auch wenn Sie weder in die Politik, noch ins Fernsehen streben). Thema: Fettes Deutschland - was tun gegen die Volkskrankheit Übergewicht?

Sie sitzen da und sagen etwas wie: „Und deshalb fordere ich eine Steuer auf gezuckerte Getränke ab einem Zuckeranteil von sechs Prozent.“

Ihr Gegner richtet sich in seinem Sessel auf und posaunt: „Solch eine Bevormundung der Bürger ist mit mir nicht zu machen. Ich halte die Menschen in unserem Land für schlau genug, selber zu entscheiden, was gesund für sie ist.“

Aha, werden die Zuhörer denken. Sie sind also dafür, uns Bürger zu bevormunden, weil Sie uns alle für Vollidioten halten. Was sagen Sie jetzt? Ihre erste Erkenntnis: Der Gegner setzt Ihren Standpunkt auf ein Nebengleis mit dem Fokus auf die Mittel. Trotz ihres ehrenwerten Anliegens, jungen Leuten Diabetes und Herzerkrankungen zu ersparen, stehen Sie wegen Ihrer Steuerinitiative rücksichtslos und überheblich da. Wenn Sie lernen, in solchen Konstellationen zu erkennen, dass Ihr Gegenüber Ihr gutes Ansinnen lediglich mit einem rhetorischen Trick öffentlich als unehrenhaft zu diffamieren versucht, kommen Ihnen gute Konter viel leichter in den Sinn. Die Diskussion um die Sache ist eben auch ein rhetorischer Schlagabtausch. Und in diesem Sinne ein Spiel. Der Gewinn: die Gunst der Zuhörer. Diese Sichtweise ist doch eigentlich ziemlich erfrischend, oder?

Wie also kontern, während die Kameras auf Sie gerichtet sind? Zu rufen: „Ich bevormunde hier gar keinen“, wäre im konkreten Beispiel ein schwacher Einwurf, denn Sie wollen ja tatsächlich regelnd eingreifen. Sofern Sie den Vorwurf nicht ignorieren können (etwa weil Sie spüren, dass das Publikum noch nicht auf Ihrer Seite ist), gehen Sie offensiv gegen den Bevormundungsvorwurf vor:

„Jede Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Straße, jede Sicherheitskontrolle am Flughafen und jede Steuer nimmt Einfluss auf unser Verhalten. Sie nennen es Bevormundung, ich nenne es helfen. Ich halte die allermeisten Menschen in unserem Land für so schlau, dass sie wissen, wie wichtig gesunde Ernährung ist. Aber dafür braucht es mehr gesunde Angebote. Die Steuer würde die Industrie motivieren, auch klassische zuckrige Getränke weniger süß anzubieten.“

Ha! Die Unterstellungs-Konter-Formel, die dahinter steckt:

1. Fragen Sie sich: Sind die schädlichen Unterstellungen des Gegenübers aus Sicht der Zuhörer nachvollziehbar? Wenn nein: Entspannen Sie sich und lassen Sie sie links liegen.

2. Wenn ja: Kontern Sie mit den inhaltlichen Vorteilen.

Das Problem mit der Glaubwürdigkeit

Schwierig wird es, wenn die unterstellten Beweggründe kaum wegzudiskutieren sind. Denken wir an den Vorschlag der Grünen einst, einen Tag pro Woche kein Fleisch in den Kantinen Deutschlands anzubieten: der Veggie-Day. Bekanntlich war diese Idee in Wahlkampfzeiten ein Schuss in den Ofen. Prompt kam denn auch FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle mit dem rhetorischen „Wo kommen wir denn da hin?“-Trick an: „Was kommt als nächstes? Jute-Day, Bike-Day?“

Der Vorwurf: Öko-Polizei. Die Grünen wollen uns am liebsten ihr Weltbild aufstülpen.

Umweltschutz und gesunde Ernährung war in eine einzige Zumutung umgemünzt geworden.


Dabei waren die Beweggründe der Grünen ja eigentlich sympathisch. Wie haben die Grünen versucht, dieses Kommunikations-Desaster einzufangen? „Man muss nicht jeden Tag zwei Burger essen“, sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt anfangs noch. Mit anderen Worten: Wir sagen euch, was sein muss und was nicht. Diese Aussage unterstrich die Weltbild-Aufstülp-Befürchtung nur noch zusätzlich.

Dann schnell Renate Künast: „Es wird ja niemandem etwas verboten.“ Das war nicht sonderlich glaubwürdig. Denn für freiwillige Initiativen der Kantinen-Betreiber braucht es nicht die Einmischung der Bundespolitik.

Was hätten die Grünen gegen die politische Panne tun sollen?

Gemäß dem ersten Punkt unserer Unterstellungs-Konter-Formel hätten alle Warnlampen angehen müssen. Ja, die Vorwürfe der Konkurrenz drängten sich förmlich auf: Bevormundung! Man sah förmlich vor seinem geistigen Auge, wie in der Kantine das Schild mit der Aufschrift Schnitzel mit roter Kreide dick durchgestrichen worden war.

Gemäß dem zweiten Punkt hätte die Partei ihren Ansatz beherzt rumreißen können. Weg von einem eingeschränkten Kantinen-Angebot hin zu einem sogar attraktiveren Angebot dank fleischloser Gerichte. Damit die Vorteile der Idee die Mittel überragen.

„Wenn das vegetarische Angebot so attraktiv wird, dass es die Fleischgerichte überflügelt, dann verzichtet doch jeder gerne freiwillig auf Fleisch. Verbote nicht nötig.“ Zack! Die Öko-Polizei als nette Freunde und Helfer mit Lust auf Neues.

Eine Medienlawine mit nachgelieferten Standpunkten wieder abzubremsen, ist natürlich weitaus vertrackter, als in einer Diskussionsrunde umzusteuern. Wäre die Veggie-Day-Debatte auf eine Fernsehrunde beschränkt gewesen, hätte der in die Enge getriebene Grünen-Vertreter aber gut kontern können: „Wenn wir uns denn zumindest einig sind, dass weniger Fleisch besser wäre, was schlagen Sie denn vor, um umzusteuern?“

Hier auf Gleis 1 hätten die Chancen nicht schlecht gestanden, die Konkurrenz spontan mit leeren Händen zu erwischen.

Mit der Anti-Unterstellungs-Formel kommen wir auch im Alltag gut weiter. Denken wir an die Beispiele von eben:

„Dir geht es doch nur um deine Karriere.“

Ihre mögliche Antwort: „Ich gebe zu: Würde das Fortkommen der Firma immer nur meiner Karriere schaden, wäre ich nicht mit dieser Leidenschaft dabei. Aber wenn Firmeninteressen und meine persönlichen Interessen zusammengehen, ist das doch für alle perfekt.“

„Du lädst uns doch nur zum Essen ein, damit noch vorm Urlaub der Kühlschrank leer wird.“

Antwort: „Ich könnte mir nichts besseres vorstellen, als zu Beginn meines Urlaubs mit meinen lieben Freunden den Kühlschrank leer zu fressen.“

Und am einfachsten sind natürlich die Fälle, in denen an den Unterstellungen ganz offensichtlich nichts dran ist. Im Fall des verweigerten Hundes zum Geburtstag wäre es nach dem Abendessen in einer ruhigen Minute vorm Zähneputzen bestimmt so weitergegangen: „Glaubst du wirklich, dass wir dich weniger lieb haben als Nikos Eltern ihren Sohn?“

„Nö, aber trotzdem: Ich will einen Hund!“

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