Kooperation statt Ellenbogen Wenn Kollegen sich helfen, hat das Unternehmen mehr Erfolg

Seite 2/2

Das Ergebnis kann schmerzhaft sein

Wenn Unternehmen an Smit und Kottmann herantreten, tun sie dies meist erst nach der eigenen Erkenntnis, etwas ändern zu müssen – „weil sie begriffen haben, dass eine Kooperationskultur zu einer höheren Produktivität, Innovationskraft, zufriedeneren, loyaleren und intrinsisch motivierten Mitarbeitern bei niedrigeren Krankenständen führt“, erläutert Smit. Trotzdem tritt meist schon das erste Problem auf, wenn klar wird, dass die Führungsetage bei sich anfangen muss. „Oft scheitert Kooperation am Führungsstil. Wenn der Chef ein Nehmer ist und Mitarbeitern keine Entscheidungsfreiräume lässt, wird sich die Kultur im Unternehmen nicht wandeln“, sagt Thomas Kottmann.

Auch beim ADAC war das kein schmerzfreier Prozess, wie Dorette König berichtet. Nach Workshops zum Thema Führungsethik seien alle Mitglieder des Führungskreises – rund zehn Personen – bereit gewesen, bei der Analyse mitzumachen. Sie bewerteten sich untereinander gegenseitig nach dem Vier-Typen-Schema. Zunächst bekam jeder sein individuelles Ergebnis und ein erläuterndes Gespräch. „Manche waren sehr überrascht“, erinnert sich König.

Die folgenden Diskussionen hätten zu „tollen Gesprächen“, aber auch kritischen Situationen geführt. Im Fokus der Kritik waren demnach diejenigen, die überwiegend als Nehmer charakterisiert worden waren. „Einer dieser Kollegen hat sich in dem Ansatz der Kooperationskultur gar nicht wiedergefunden und sich im Ergebnis der konstruktiv-kritischen Gespräche dazu entschieden, zu gehen. Er war der Meinung, dass er sein Potential so nicht ausschöpfen könne“, sagt König.

Thomas Kottmann (l.) und Kurt Smit (r.) haben gemeinsam das Verfahren

Die Analyse brachte jedoch auch ein für Führungszirkel überraschendes Ergebnis. „Gleich drei Führungskräfte wurden als selbstlose Geber eingeschätzt – und tatsächlich waren das Leute, die sichtbar an der Grenze ihrer Belastbarkeit gearbeitet haben. Es ist wichtig, gesund zu bleiben und sich selbst auch eigene Grenzen zu setzen“, sagt König.

Wo selbstlose Geber sind, sind immer auch Nehmer – und weil beide einander brauchen, ist es nicht ganz einfach, das Abhängigkeitsverhältnis mitsamt dem für die Kooperation schädlichen Verhalten aufzulösen. In Bürofilmen sind die selbstlosen Geber oft die gutherzigen Schussel, die ewig Gelackmeierten, die auf Bitte oder Anweisung ihren Vorgesetzten und Kollegen helfen oder die wegen ihres zu großen Herzens ausgepresst und nicht mehr ernstgenommen werden. Im echten Leben sind es Menschen, die häufiger an Erschöpfung und Burnout leiden.

Ebenso entsprechen klassische Nehmer auch selten dem Klischee des karrierefixierten Fieslings, der seine Kollegen und Untergebenen ausnutzt. „Jemand kann im Privatleben ein selbstloser Geber sein und im Beruf ein Nehmer. Es ist keine Persönlichkeitseigenschaft“, betont Kurt Smit. Vielmehr sei das Verhalten von Menschen in ihrem Arbeitsumfeld eine Spiegelung des Führungsstils, womit man wieder bei der Top-Down-Regel wäre. Gründe für mangelnde Kooperationsbereitschaft könnten auch Überlastung der Mitarbeiter oder Zeitmangel sein.

ADAC-Geschäftsführerin König hatte das Glück, mit dem „Prädikat“ fremdbezogener Geber bewertet zu werden. An ihrem Führungsstil sollte sie auf Empfehlung der Berater dennoch feilen. „Wie die Kollegen muss auch ich mich ständig weiterentwickeln“, sagt König und freut sich heute – nach durchaus nicht immer einfachen Lernprozessen – über neue Freiräume in ihrer Führungsfunktion. „Ich habe gelernt, mehr loszulassen und meine Mitarbeiter einfach mal machen zu lassen. Ich musste lernen, ihnen das Gefühl zu geben, dass ich ihnen vertraue.“ In der Praxis sei das zum Beispiel in puncto Unterschriften und Vollmachten zum Tragen gekommen. „Ich muss nicht alles noch einmal kontrollieren, das läuft dem Konzept der Vertrauenskultur zuwider.“

Dafür habe sie neue Freiräume, etwa für strategische Planung in Richtung digitale Transformation und agilere Organisationsstrukturen. „„Wenn ich mich auf die strategischen Themen fokussiere, gebe ich meinen Mitarbeitern Orientierung und einen größeren Handlungsrahmen“, sagt König. Und noch etwas sei wichtig: Die Veränderung sei ein stetiger Prozess, der nie abgeschlossen sein werde.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%