Korruption und Missmanagement Die unheilvolle Allianz von Ja-Sagern und Psycho-Chefs

Wirtschaftskriminalität: Die unheilvolle Allianz von Ja-Sagern und Psycho-Chefs Quelle: Fotolia

Missmanagement in der Wirtschaft ist oft systemisch: Experten sehen einen Grund in der falschen Personalauswahl und fordern Eignungstests für Top-Manager.

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Korruptionsfälle häufen sich weltweit, auch in Deutschland: Im aktuellen Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International, der sich aus verschiedenen Indizes zusammensetzt, rückt Deutschland zwar verglichen mit anderen Staaten von Platz 12 auf 11 auf, wird aber ausgerechnet vom World Economic Forum Executive Opinion Survey (EOS) von 74 auf 66 Punkte herabgestuft. Aus Sicht der international befragten Wirtschaftschefs nimmt Korruption und Bestechung in Deutschland deutlich zu.

Die Wahrnehmung deckt sich mit den Ergebnissen der KPMG-Studie „Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2018“: Jedes dritte Unternehmen in Deutschland (32 Prozent) ist in den vergangene beiden Jahren Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden. Die häufigsten Delikte sind mit 58 Prozent Betrug und Untreue – gegenüber der Befragung 2016 ein Anstieg um 13 Prozent; besonders betroffen sind Großunternehmen (73 Prozent). Besonders brisant in diesem Zusammenhang ist, dass über die Hälfte der Taten (51 Prozent) nur durch Zufall ans Licht kommt (2016: 39 Prozent).

Dass es immer häufiger zu Verfehlungen kommt, die über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, in den Konzernetagen gedeckt wurden und werden, ist laut Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologe und Management-Diagnostiker an der Ruhr-Universität Bochum, kein Zufall – und stimmt mit seiner langjährigen Berufserfahrung als Personalpraktiker und Unternehmensberater überein. „Die Zahl der sichtbar Anpassungsbereiten wächst immer weiter“, sagt Hossiep. Es sei ein schleichender Prozess. Das Bildungs- und Qualifizierungssystem gehe schon seit etlichen Jahren in diese Richtung: „Das fängt in der Schule an, wo Wohlverhalten den Zensuren gut tut, und geht dann in den klassischen Kaderschmieden für Betriebswirte, insbesondere den MBA- und Business Schools, weiter“, so Hossiep.

Die gestuften Studiengänge täten ihr übriges: Nach dem Bachelor wetteifern die Absolventen um die noch knapperen, ebenfalls zulassungsbeschränkten Masterplätze – meist ausschließlich nach Noten vergeben.

„In den Unternehmen geht es dann vor allem um klagloses Funktionieren und Exekutieren von Anweisungen. Da werden die Personen befördert, die alles vermeintlich erfolgreich erledigen – ohne Bedenken, ohne Widerworte und ohne nach links und rechts zu schauen“, beschreibt Hosspiep. „Ein Beispiel ist das VW-Desaster: Die Manipulationen sind ja offenbar bekannt gewesen – und niemand hat die Notbremse gezogen.“ Womöglich sei der Betrug nicht einmal angewiesen gewesen, sondern aus vorauseilendem Gehorsam oder aus Gefälligkeit geschehen.

Heranzüchten von Ja-Sagern vermeiden

Die Einschätzungen des Management-Diagonstikers Hossiep decken sich mit einer Befragung unter Führungskräften des mittleren und oberen Managements: „Verlässlich, produktiv, loyal – und vor allem angepasst. So sieht der ideale Mitarbeiter, die ideale Mitarbeiterin für viele Unternehmer in Deutschland und Österreich aus. Unerwünscht sind vor allem fröhliche, selbstbewusste Querdenker“, sagt Industrie-Analystin Andrea Derler, die 2015 ihre Dissertation zur Prototypenbildung im Management schrieb.

von Daniel Rettig, Lin Freitag, Kristin Rau, Claudia Tödtmann

Zudem scheint den meisten Führungskräften ihr Idealbild von Mitarbeitern nicht wirklich bewusst zu sein. „Gerade das führt dazu, dass immer ähnlichere Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt werden, die das Unternehmen im Zweifelsfall kaum voranbringen“, sagt Derler, die heute als Direktorin der Industrieforschung des Neuro-Leadership-Institute in Raleigh, North Carolina, Auftragsforschungen zur Optimierung von Talentprozessen betreibt. „Die Unternehmen in den USA beschäftigen sich gründlich damit, was geschieht, wenn Ja-Sager herangezüchtet werden und wie das vermieden werden kann“, sagt Derler. „Denn die Wissenschaft belegt schon länger, dass vielfältige Teams erfolgreicher sind als homogene.“ Im deutschsprachigen Raum klaffe allerdings noch eine große Lücke zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und unternehmerischer Praxis.

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