Korruption und Missmanagement Die unheilvolle Allianz von Ja-Sagern und Psycho-Chefs

Seite 2/2

Je höher die Position, desto schlechter die Personalauswahl

Welche Konsequenzen das nach sich zieht, hängt letztlich davon ab, wie wichtig die Position ist, die ein Ja-Sager im Unternehmen einnimmt: „Im schlimmsten Fall kann Ja-Sagertum zu schweren Fehlentscheidungen führen oder Missmanagement zementieren – wie etwa die Berliner Flughafengesellschaft zeigt. Gleichzeitig kann eine Organisation aber auch nicht effektiv arbeiten, wenn jeder immer alles in Frage stellt“, sagt Uwe Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück.

Auch er bestätigt die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Eignungsdiagnostik und unternehmerischer Einstellungs- und Beförderungspraxis in Deutschland: Je weiter man nach oben schaue, desto schlechter werde die Qualität der Personalauswahl: „Azubis und Trainees müssen sich womöglich noch Intelligenztests (General Mental Ability) unterziehen, aber schon ab der Abteilungsleiter-Ebene wird stark nach Gefallen, Beziehungen und unbewussten Stereotypen ausgesucht.“

In Deutschland gebe es einfach keine Tradition, Führungskräfte kritisch zu hinterfragen: „Obwohl erwiesen ist, dass Intelligenz ein Prädiktor für Leistung ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Manager in Deutschland daraufhin getestet wird bei unter einem Prozent – in den USA sind es etwa 50 Prozent!“

Zu diesem einen Prozent gehört zum Beispiel die Heitkamp & Thumann Group, ein Industrieunternehmen mit 2700 Mitarbeitern an 20 Standorten weltweit: „Ich habe durchgesetzt, dass ich bei der Suche von Geschäftsführern an den Auswahlverfahren teilnehme und die Kandidaten sowohl ein diagnostisches Verfahren durchlaufen als auch eine Fallstudie lösen müssen. Es ist einfach erschreckend, wie viele Geschäftsführerkandidaten eine wesentlich schlechtere Leistung bringen als Bewerber und Bewerberinnen für Einsteiger- und Expertenfunktionen“, sagt Nils Hubert, Personalchef der mittelständische Unternehmensgruppe. Auch bei der Vollständigkeit von Zeugnissen hapere es oftmals, selbst wenn Personalberater zwischengeschaltet wären. „Persönliche Referenzen von Personen, die der Kandidat selbst benennt, erhalten oft und gern überproportional Gewicht in der Entscheidungsfindung“, meint Hubert. Dieses Phänomen gelte es im Auswahlverfahren auf dieser Ebene zu vermeiden.

Zudem ist es in Deutschland nicht selbstverständlich, Personalverantwortliche an Besetzungen im Management zu beteiligen: „Gerade die Eignung von Top-Entscheidern, wie Vorständen oder Geschäftsführern, ist sozusagen eine klärungsfreie Zone. Diese Positionen werden für so wichtig gehalten, dass man meint, man könne Personalspezialisten nicht an der Entscheidung beteiligen“, beschreibt Wirtschaftsdiagnostiker Hossiep die Einstellungspraxis hierzulande. „Außerdem wollen viele natürlich die ihnen genehmen Kandidaten lancieren!“

Was Ihr Chef sagt – und was er meint
Da sind wir dran Quelle: Fotolia
Monitor und Uhr Quelle: Peter Atkins - Fotolia.com
To-Do-Liste Quelle: Fotolia
Workflow Quelle: Fotolia
überarbeiten Quelle: Fotolia
Flop Quelle: Fotolia
Optimierungsbedarf Quelle: Fotolia

Hossiep hat bereits diverse Eignungstests entwickelt und wurde 2013 für seine herausragenden Arbeiten zur angewandten psychologischen Diagnostik mit dem Alfred-Binet-Preis ausgezeichnet. Er geht noch einen Schritt weiter und fordert nicht nur die intellektuelle Leistungsfähigkeit (General Mental Ability) zu überprüfen, um „die schnelle und sichere Verarbeitung komplexer Zusammenhänge zu gewährleisten“, sondern auch „persönlichkeitsorientierte Verfahren“ anzuwenden: „Wichtig ist: Was sind eigentlich die Treiber der Entscheidungsträger, wie ist ihre persönliche Interaktion, das Gesprächsverhalten? Man sollte zudem wissen, ob es sich um jemanden handelt, der arglistiges Verhalten aufweist, chronisch zockt oder permanent fremdgeht – schon allein, weil man sich damit erpressbar macht!“

Zwar gibt es laut Hossiep im Bevölkerungsdurchschnitt nur ein Prozent Psychopathen im klinischen Sinne, doch sammeln sich im Top-Management US-amerikanischen Studien zufolge vier bis sechs Prozent und in der Financial Industry sowie im Investment Banking sogar bis zu zehn Prozent von ihnen an. Besonders geschäftsschädigend oder gar gefährlich wird es, da sind Hossiep, Kannning und Derler sich einig, wenn politisch-strategische Ja-Sager auf Vertreter der so genannten dunklen Triade im Top-Management (Narzissten, Machiavellisten, Psychopathen) treffen. Denn dann kann sich Missmanagement systemisch etablieren.

Trotz der Vielzahl guter Gründe die dafür sprechen, treffen „personalpsychologische Verfahren“ für das Top-Management in Deutschland auf wenig Gegenliebe. „Die Problematik sehen zwar auch die Aufsichtsratsvertreter, aber das Thema ist ihnen zu heiß, da lassen sie lieber die Finger davon“, sagt Hossiep.

Das Bewusstsein dafür wird sich wohl nur in dem Maße ändern, wie das Thema Wirtschaftskriminalität bei der Bewertung von Geschäftsbeziehungen an Bedeutung gewinnt: Immerhin, in der KPMG-Studie „Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2018“ schließt mittlerweile die Hälfte aller Befragten (47 Prozent) eine Geschäftsbeziehung mit solchen Unternehmen grundsätzlich aus – 2016 waren es erst 35 Prozent.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%