Krisenkommunikation Der Skandal ist überall

Korruption, defekte Produkte, Werbepannen: Unternehmen müssen ständig auf Skandale gefasst sein. Wie sich Schaden verhindern oder zumindest begrenzen lässt. Und wann es am besten ist, erst einmal nichts zu tun.

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Illustration Quelle: Daniel Stolle

Als Judith von Gordon am 2. November 2011 die Vorabmeldung einer renommierten Wochenzeitung gelesen hatte, wusste sie: Vor ihr und ihren Kollegen würden stürmische Tage liegen. Für die Kommunikationschefin des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim begann nun der Ernstfall. Angekündigt war die Publikation eines Artikels über Pradaxa – ein Blutverdünnungsmittel, das Schlaganfallpatienten das Leben erleichtern und Boehringer Ingelheim die Kasse füllen sollte. Im Artikel ist nicht nur von einem „Reinfall“ die Rede, sondern auch von „unerfreulichen Nebenwirkungen“ und „Todesfällen“. Begriffe, die in jedem Pharmaunternehmen die Alarmglocken klingeln lassen.

Erinnerungen an Lipobay wurden wach, jenen Cholesterinsenker, den Bayer 2001 vom Markt genommen hatte, nachdem das Medikament allein in den USA mit 31 Todesfällen in Verbindung gebracht worden war. Neben Umsatzeinbußen, sinkendem Aktienkurs und Ausgleichszahlungen an Tausende Geschädigte in Höhe von rund 1,2 Milliarden Dollar war ein drastischer Imageschaden die Folge, der bis heute Wirkung zeigt: Noch im Juni 2011, rund zehn Jahre nach Beginn des Skandals, ließ der Oberste Gerichtshof der USA eine Sammelklage gegen die Leverkusener zu.

Sofort gehandelt

Als Boehringer-Sprecherin von Gordon von dem kritischen Pradaxa-Artikel erfährt, handelt sie sofort: Noch am Erscheinungstag der Zeitung verschickt der Konzern eine Presseerklärung, in der das Unternehmen einen Mediziner zu Wort kommen lässt. Der bestätigt, dass der Anteil der tödlichen Blutungen bei den mit Pradaxa behandelten Patienten geringer sei als bei denjenigen, denen das bisher übliche Präparat Marcumar verschrieben worden war.

Wie Sie sich auf Skandale vorbereiten und diese eindämmen

„Blutverdünner können zwar Thrombosen und Schlaganfälle verhindern, bei einigen Patienten aber auch Blutungen auslösen“, sagt von Gordon. „Wir gingen davon aus, dass das allgemein bekannt ist.“

Eine Fehleinschätzung: In den darauffolgenden Wochen erscheinen rund 1000 kritische Artikel über Pradaxa. In Internet-Foren diskutieren verunsicherte Patienten, das Vertrauen in Produkt und Hersteller ist erschüttert: „Man muss auch bedenken“, schreibt etwa Gabi99 in einem Forum von netdoktor.de, „dass die entsprechende Pharmafirma natürlich großes finanzielles Interesse hat, das möglichst viele Patienten auf Pradaxa umgestellt werden.“

Trotz aller Kritik: Boehringer behält die Nerven. Über das Online-Ärzte-Forum coliquio stellen sich Fachleute von Boehringer den Fragen der Mediziner und bieten ihnen Online-Fortbildungen zur „Verträglichkeit“ oder „Wirkung und Dosierung“ des neuen Medikaments an. „Unsere Strategie war vollkommene Transparenz“, sagt von Gordon. „Wir haben alle Daten durch Meinungsführer bewerten lassen.“

Abwehrschlacht gewonnen

Nächster Schritt der Krisenabwehr-Dramaturgie: Am 13. November tritt der damalige Boehringer-Chef Andreas Barner in einer Internet-Videokonferenz vor die Presse – gemeinsam mit dem obersten Wissenschaftler des Konzerns und einem unabhängigen Mediziner. 49 Journalisten hatten sich zugeschaltet, um sich online live über Pradaxa aufklären zu lassen. Danach waren die meisten von ihnen davon überzeugt, dass die Freigabe des Medikaments doch nicht der Skandal sei, zu dem er aufgebauscht worden war. Auch die Wochenzeitung, die den Stein mit ihrer ersten Berichterstattung ins Rollen gebracht hatte, vollzieht knapp zwei Wochen nach ihrer ersten Berichterstattung, eine Kehrtwende: „Pradaxa ist nicht gefährlicher als andere Blutverdünner“, schreibt das Blatt am 15. November. Damit war klar: Boehringer hatte die Abwehrschlacht gewonnen.

Allzeit droht der Skandal

Gift, Spitzel, Sex
 Fahrzeuge passieren den Südeingang des Stammwerks der Hoechst AG in Frankfurt-Höchst Quelle: dpa/dpaweb
Die Ölbohrinsel "Brent Spar" Quelle: AP
Eine Mercedes A-Klasse hat sich bei einer Testfahrt der schewdischen Zeitung 'Teknikens Vorld' in Stockholm bei Tempo 60 überschlagen Quelle: AP
Päckchen des Medikaments Lipobay liegen auf einem Haufen Quelle: AP
Der damalige Volkswagen-Personalvorstand Peter Hartz (l) und der damalige VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Volkert (r) unterhalten sich Quelle: dpa
Das Logo der Deutschen Telekom Quelle: AP
Ein beleuchtetes Schild mit der Aufschrift «Ergo» steht vor der Zentrale der Versicherungsgruppe in Düsseldorf Quelle: dpa

Was von Gordon und ihre Mitstreiter erlebt haben, kann jedem Unternehmen in jeder Branche passieren – jederzeit. Seit 1984 ist die Zahl der kommunikativen Krisenfälle, auf die Unternehmen und politische Organisationen jährlich reagieren müssen, im deutschsprachigen Raum um knapp 75 Prozent gestiegen – von angeblich umweltverseuchenden Ölplattformen wie der von Shell und Esso in der Nordsee betriebenen Brent Spar über Autos, die bei Testfahrten umkippen wie die A-Klasse von Mercedes, bis hin zu Hackerangriffen auf sensible Informationen wie der auf die Kreditkartendaten der US-Großbank Citigroup vor einem Jahr.

Diagramm: Steigende Fieberkurve Quelle: Krisennavigator

Derzeit zählt der Krisennavigator, das Kieler Institut für Krisenforschung, rund 270 solcher Fälle pro Jahr. Statistisch betrachtet heißt das: Alle anderthalb Tage braut sich bei einem Unternehmen oder einer Organisation in Deutschland ein Skandal zusammen. Blieben früher viele dieser Pannen unentdeckt, weil es in der Regel professionellen Journalisten vorbehalten war, diese zu verbreiten, sie aber vergleichsweise wenig Möglichkeiten hatten, diese publik zu machen, sind die publizistischen Hürden heute deutlich niedriger. Damit ist der Druck auf Unternehmen, schnelle Antworten auf unangenehme Fragen zu geben, gleichzeitig wesentlich gewachsen. Internet, Smartphones, Tablet-Computer, Hunderte TV-Spartensender und die Allgegenwart sozialer Netzwerke erlauben es, Ungereimtheiten innerhalb weniger Minuten global zu verbreiten. Skandalisieren können heute nicht mehr nur Journalisten, sondern auch Mitarbeiter, Kunden oder Geschäftspartner: Sie alle können heute schnell und ohne Aufwand Misstrauen säen oder sich über Verfehlungen von Personen, Unternehmen und Organisationen schnell und flächendeckend Luft verschaffen – und mal eben eine Lawine der Empörung lostreten.

Mechanismen der Skandalisierung

Auch die Gegenstände der Skandalisierung Und das nicht mehr nur in den bisher traditionellen Konfliktthemen wie Korruption, Umweltzerstörung, verseuchten Nahrungsmitteln oder medizinischem Pfusch. „In Zukunft werden vor allem Missstände skandalisiert werden, die im Widerspruch zu nicht materiellen Werten stehen“, prophezeit Hans Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung an der Universität Mainz und Autor des Buchs „Die Mechanismen der Skandalisierung“.

Also etwa der Schutz von Anwohnern vor Fluglärm, tödliches Mobbing gegen Nutzer sozialer Netzwerke wie Facebook oder das weite Feld der alternativen Energien – wenn Häuser wegen falsch installierter Solarzellen auf den Dächern abbrennen, Windräder zusammenbrechen oder Gesundheitsschäden durch neue Hochspannungsleitungen bekannt werden.

Unter dem Druck des allzeit drohenden Skandals findet in der deutschen Wirtschaft ein kultureller Umbruch statt. Skandale zu vermeiden, einzudämmen und im schlimmsten Fall ohne dauerhafte Schäden zu überstehen wird für Unternehmen immer wichtiger – nicht aber einfacher: Denn nur etwa zwölf Prozent der kleinen oder großen Skandale betreffen eindeutige Rechtsverstöße, sagt Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor des Krisennavigators. Diese erstaunliche Diskrepanz zeigt schon: Ob sich eine scheinbare Lappalie zu einem handfesten Skandal auswächst, hängt nicht davon ab, ob ein Missstand juristisch relevant ist, sondern für wie empörend er gehalten wird.

Dreisteste Werbelüge

Das musste kürzlich etwa Babynahrungshersteller Hipp erleben: Der bayrische Mittelständler fand sich Mitte Juni plötzlich als Träger des Anti-Preises Goldener Windbeutel wieder. Die Organisation Foodwatch vergibt ihn an Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie, die nach Ansicht der Organisation Verbraucher hinters Licht führen. Der Vorwurf: Einige Hipp-Kindertees enthielten zu viel Zucker – aus Sicht von 44 000 Verbrauchern, die über den Preisträger abstimmten, die „dreisteste Werbelüge“ des Jahres. Binnen weniger Stunden fanden sich Hunderttausende Fundstellen im Netz, die das Thema aufgriffen.

Hipps wenig souveräne Reaktion: Auf der Verpackung werde der Zuckergehalt transparent angegeben und entspreche dem einer Apfelsaft-Schorle, ließ das Unternehmen verlauten. Zudem hätten herkömmliche Säfte und Getränke für Kinder einen wesentlich höheren Zuckergehalt. Falsch waren die Aussagen nicht – zur Beruhigung der aufgebrachten Verbraucher aber trugen sie nicht bei. Das Unternehmen verkündete schließlich, die kritisierten Produkte würden zum Jahresende vom Markt genommen. Doch da hatte die Beliebtheit der Marke laut einer Imageanalyse des Markenmonitors YouGov BrandIndex bereits messbar gelitten.

Sprengkraft verkannt

Illustration Quelle: Daniel Stolle

Hipp hatte die Bedeutung der Vorwürfe für sein Image fatal unterschätzt. Neben schlanken Produktionsprozessen, lückenlosen Lieferketten oder der Suche nach talentierten Mitarbeitern ist eine professionelle Kommunikation heute ein entscheidender Erfolgsfaktor eines Unternehmens. In Zeiten allgemeiner ökonomischer und politischer Verunsicherung kann es sich kein Unternehmen leisten, das moralische Empfinden der Medien und der Welt außerhalb des Unternehmens zu ignorieren. Auch wer nicht unmittelbar unter Beschuss steht, sollte sich fragen: Was könnte bei uns zum Skandal eskalieren? Und Gegenstrategien entwickeln, bevor der Ernstfall eintritt. Denn am besten, so das erste Gesetz der Skandalbekämpfer, ist immer noch die Krisenkommunikation, von der die Außenwelt nichts mitbekommt.

Gänzlich unvorhersehbar sind Skandale selten. Zumindest die Fachleute kennen die Missstände meist, lange bevor sie an die Öffentlichkeit geraten. Aber sie unternehmen oft nichts, weil sie deren mediale Sprengkraft verkennen – so wie bei den Störungen in Vattenfalls Atomkraftwerk Krümmel: Harmlos! dachten die Ingenieure stets. Durch ihre wissenschaftlich-technische Brille betrachtet, war das auch richtig. So bedeutete auch der Transformatorenbrand aus dem Jahr 2007 auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse nur Bedrohungsstufe null – sie steht für „keine oder nur sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung“. In den vergangenen zehn Jahren gab es allein in deutschen Kernkraftwerken über 1100 solcher meldepflichtiger, aber harmloser Ereignisse.

Für Anti-Atomkraft-Aktivisten und Journalisten aber sah der Brand bedrohlich aus. Für „Spiegel Online“ wurde Krümmel zum „Pannen-AKW“. Und für Vattenfall zum Image-GAU – denn viel verheerender als die technischen, entwickelten sich für den Krümmel-Betreiber die Kommunikationspannen: Die Angaben des Konzerns über den Brand am 28. Juni 2007 wurden als unvollständig und widersprüchlich empfunden. Vattenfall hatte am Tag danach erklärt, das Feuer habe den Reaktor nicht betroffen. Einige Tage später kam dann über die Aufsichtsbehörde heraus, dass eine Wasserpumpe im Reaktor ausgefallen sei. Der Effekt war für Vattenfall verheerend. Medienberichte begründeten fortan ihre Bedenken bezüglich der Sicherheit des Kraftwerks vor allem mit der Informationspolitik des Konzerns. Statt den Skandal zu entschärfen, hatten Vattenfalls Erklärungen ihn erst richtig befeuert, da sie als Verschleierungsversuche wahrgenommen wurden. Krümmel wurde für zwei Jahre abgeschaltet.

Der Fall zeigt: Auch kleinste Fehlinformationen können das Vertrauen der Öffentlichkeit ruinieren. Nach 2007 war jeder Störfall in Krümmel eine Nachricht wert.

Die ganze Wahrheit auf den Tisch

Fragen schnell zu beantworten ist wichtig – aber noch wichtiger ist es, nur genau geprüfte Antworten zu geben. „Die Verlockung ist für betroffene Unternehmen groß, sich nicht genug Zeit für die Analyse zu nehmen“, warnt Tobias Weitzel, Geschäftsführer der Kommunikationsberatung BSK. Die Lage vorurteilsfrei aufzuklären ist jedoch die Basis für ein gutes Krisenmanagement. Fatale Fehlinformationen, wie die über den Transformatorbrand im Kernkraftwerk Krümmel, seien meist keine bewussten Lügen, meint Weitzel. „Wenn es schiefgeht, liegt das oft daran, dass Fakten nicht bekannt sind oder nicht richtig analysiert wurden.“

Im Zweifelsfall sei es besser, zuzugeben, dass man selbst erst die Lage erkunden muss, um lückenlos aufzuklären, empfiehlt auch Skandal-Forscher Kepplinger. In der Regel gilt das Rezept: die ganze Wahrheit auf den Tisch.

Für die Flucht nach vorn entschied sich die Commerzbank, als bei Stern-TV und im WDR-Fernsehen im Herbst 2011 die damals 91-jährige Kundin Irmgard Greiner auftrat. Sie berichtete vor der Fernsehnation, dass sie auf Rat der Bank 40 000 Euro in Schiffsfonds investiert habe, die erst 2027 fällig werden. In einem Folgebericht auf Stern-Online kamen dann zahlreiche Zuschauer zu Wort, die angeblich Ähnliches erlebt hatten.

Die Negativ-Schlagzeilen – „Zockt die Commerzbank Rentner ab?“ – konnte die Bank nicht mehr aus der Welt schaffen – aber den Eindruck, dass dieser Fall alltäglich sei. Und den, dass den Verantwortlichen das Schicksal der alten Frau egal sei. Zwar hatte die Bank die Klage der Kundin vor Gericht nicht akzeptiert, da sie juristisch korrekt nachweisen konnte, dass die Kundin über die Laufzeit der Anleihe informiert worden war. Doch darauf öffentlich zu beharren hätte die Bank in schlechtes Licht gerückt.

Stattdessen setzte sich der Privatkundenvorstand der Commerzbank, Martin Zielke, gemeinsam mit Irmgard Greiner in die nächste Stern-TV-Sendung. Der Fall der Rentnerin habe ihn betroffen gemacht, sagte er und gelobte Besserung: „Wir haben über die Ziele, also die Steuerung der Bank, intensiv nachgedacht.“ Die Bank wolle etwa Berater in Sachen Kundenakzeptanz und im Umgang mit Kundenreaktionen künftig besser schulen. Nach Zielkes TV-Auftritt gab es keine neuen Berichte oder Sendungen über abgezockte Rentner.

Diskussionen zulassen

Illustration Quelle: Daniel Stolle

Passiv zu bleiben kann sich ein Unternehmen nur leisten, wenn die Vorwürfe nicht seine Kernkompetenz betreffen. Die ING-DiBa tat gut daran, gelassen zu bleiben, als sich Tausende Vegetarier bei Facebook wegen eines Werbespots empörten, in dem Dirk Nowitzki eine Scheibe Wurst erhält. Auf der Facebook-Seite entbrannten heftige Diskussionen, als sich auch bekennende Fleischesser zu Wort meldeten. Aber die Bank hielt sich raus und sagte nichts zu den Vorwürfen. Nach zwei Wochen mit mehr als 1400 Postings und rund 15 000 Kommentaren von Vegetariern und bekennenden Fleischessern machte ING-DiBa die Seite dicht. Die Bank habe „gerne die Plattform für die Diskussionen bereitgestellt“. Die Ankündigung traf offenbar den richtigen Ton, denn sie erhielt knapp 500 „Gefällt mir“-Notizen und viele lobende Kommentare. Das Zulassen der Diskussion und der Ton der Redaktion im Umgang mit dem Shitstorm seien vorbildlich gewesen, schrieb ein User. Der Skandal fand nicht statt, die Glaubwürdigkeit als Finanzdienstleister hatte nicht gelitten.

Tatsächlich im Recht zu sein nutzt den Skandalisierten nicht viel. Skandale sind keine Gerichtsverfahren, sondern funktionieren umgekehrt: Am Anfang sprechen die Medien das Urteil, und erst später, wenn die Aufregung sich gelegt hat, bringen die Fachleute oft eine ganz andere Wahrheit ans Licht. Nur interessiert die niemanden mehr.

Das zeigt auch die Brent-Spar-Affäre. Greenpeace entschuldigte sich zwar nach einigen Monaten dafür, dass die Plattform tatsächlich sehr viel weniger Schweröl enthielt als zuvor behauptet. Forscher stellten später sogar fest, dass die Versenkung den Lebewesen auf dem Meeresboden gutgetan hätte. Aber da war Shell längst geschlagen. Der Schaden durch den Boykott seiner Tankstellen war nicht mehr gutzumachen, und die Brent Spar wurde an Land abgewrackt. Shell stand als Inbegriff des unmoralischen Unternehmens da.

Wir werden uns ändern

Nicht viel anders ging es mehr als zehn Jahre später Andreas Lampersbach. Der Kommunikationschef des Lkw-Bauers MAN konnte keinen Krisenplan aus der Schublade ziehen, als im Mai 2009 bekannt wurde, dass der Dax-Konzern zwischen 2001 und 2007 mehrere Regierungsvertreter und Geschäftspartner in mehr als 20 Staaten mit rund 80 Millionen Euro bestochen hatte, um Großaufträge zu erhalten. „Für uns kam die Korruptionsaffäre aus heiterem Himmel“, behauptet Lampersbach heute. „Wir entschieden uns schnell dafür, mit den Ermittlern zu kooperieren.“

Tägliche Pressemitteilungen über neue Ergebnisse der Ermittlungen zeigten, dass es MAN mit der Aufklärung ernst war. An der Tatsache, dass es Schmiergeldzahlungen im großen Umfang gegeben hatte, war ohnehin nicht zu rütteln. Jeder Versuch, Tatsachen zu leugnen, die sich nicht leugnen lassen, wäre verheerend für die Vertrauenswürdigkeit gewesen.

Für Lampersbach war klar, dass die Botschaft von MAN in dieser Affäre nur lauten kann: Wir werden uns ändern und jede Korruption in Zukunft verhindern. Klar war aber auch, dass es nicht bei Ankündigungen bleiben durfte: „Wir haben nach der Affäre ein neues Kapitel unserer Unternehmenskultur begründet.“ Konkret bedeutete das: Der Konzern gründete eine Compliance-Organisation mit rund 50 Mitarbeitern, die weltweit über den Konzern verteilt sind und auf saubere Geschäfte achten.

Viele von Skandalen gebeutelte Unternehmen wie die Supermarktkette Lidl oder die Mittelstandsbank IKB haben mittlerweile eine amerikanische Einrichtung zur Skandalprävention übernommen: den Vertrauensanwalt. Unter dem Schutz anwaltlicher Verschwiegenheit können Mitarbeiter bei ihm anonym auf Korruption und andere Missstände hinweisen. Beim TÜV Rheinland etwa ist der Vertrauensanwalt sogar rund um die Uhr erreichbar. 2011 bekam er vier Anrufe. Die Fälle konnten allesamt geklärt werden, heißt es im Geschäftsbericht. Die Außenwelt erfuhr davon nichts.

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