"Wir leben länger, erfreuen uns besserer Gesundheit und sind leistungsfähig bis ins hohe Alter. [...] Und uns allen ist eines klar: Wir müssen länger arbeiten. Nicht weil wir uns noch einmal verwirklichen wollen, sondern weil es unausweichlich ist." Das sagt Helmut Schmidt, Bundeskanzler a.D. bei der Vorstellung des Leitfadens "Neue Wege bis 67 - gesund und leistungsfähig im Beruf" der Handelskammer Hamburg und der Zeit-Stiftung. Seiner Meinung nach ist längeres Arbeiten "geradezu eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, wenn die Renten in Zukunft finanzierbar sein sollen." Daran werde auch die umstrittene Rente mit 63 nichts ändern.
Doch klar ist auch, dass es für Beschäftigte in körperlich harten Berufen eine deutlich größere Herausforderung ist, bis 67 zu arbeiten, als für Büroangestellte. Bislang gehen viele Arbeiter aus Produktionsbetrieben wegen gesundheitlicher Probleme früher in Rente.
Diese Berufe machen krank
Gemäß dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse fallen Gärtner und Floristen durchschnittlich 20,3 Tage im Jahr krankheitsbedingt aus. Schuld daran ist die ungesunde Arbeitshaltung, die diese Berufsgruppen größtenteils einnehmen müssen. Wer den ganzen Tag kniet oder hockt, tut seinen Knien und seinem Rücken nichts Gutes. Laut Statistischem Bundesamt müssen Floristen und Gärtner ihren Beruf besonders häufig aus gesundheitlichen Gründen aufgeben.
Im Schnitt fallen Metallbauer pro Jahr 20,7 Tage krankheitsbedingt aus. Und je älter, desto schlimmer wird es. Besonders häufig krank sind die 50- bis 64-Jährigen.
Patienten heben, waschen, tragen: Das geht auf Bandscheiben und Gelenke. Dementsprechend fallen Gesundheits- und Krankenpfleger an durchschnittlich 21,2 Tagen im Jahr aus. Krankenpfleger gehen auch häufig vorzeitig in den Ruhestand - und geben bei ihrem Renteneintritt meistens gesundheitliche Gründe an.
Am häufigsten krank sind Führer von Fahrzeugen und Transportgeräten mit 26,9 sowie Bus- und Straßenbahnfahrer mit 28 Krankentagen im Jahr. Meistens gehen sie aus gesundheitlichen Gründen früher in den Ruhestand.
Es kann sich jedoch weder eine Gesellschaft, noch ein Betrieb leisten, seine Arbeitskräfte zu verheizen und sie mit 50 Jahren und krummen Rücken in den Vorruhestand zu schicken. Gerade, da auch immer mehr Studien das Vorurteil entkräften, dass Beschäftigte mit fortschreitendem Alter weniger effektiv oder leistungsstark sind. "Berufliche Handlungskompetenz nimmt über die Lebensspanne nicht notwendig ab. Vielmehr sind es Unterschiede in den Lernchancen, die die Unterschiede
in der beruflichen Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit vom Lebensalter erklären", heißt es beispielsweise bei Barkholdt (1998), Koller & Plath (2000) und Warr (1995).
Und auch Michael Göring, Vorstandsvorsitzender der Zeit-Stiftung, betont: "Die Frage, wie Arbeit bis 67 leistbar ist, kann nicht den Politikern allein überlassen werden. Hier ist die Zivilgesellschaft gefordert, Modelle vorzulegen und zu testen."
Die Zeit-Stiftung hat deshalb zusammen mit der Handelskammer Hamburg und dem Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Mitarbeiter aus zwei metallverarbeitenden Betrieben befragt und aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen für Beschäftigte und deren Personalverantwortliche in den belastenden Berufen entwickelt.
Mut zu Umschulungen
Um es vorweg zu nehmen: Man braucht dafür gar nicht viel. Eine kollegiale Atmosphäre, in der die Menschen gerne arbeiten, einen Chef, der ihnen auf Augenhöhe begegnet und Ansprechpartner ist, die bestmöglichen Arbeitsbedingungen auhc in Knochenjobs - und die Möglichkeit, zur Not innerbetrieblich den Beruf zu wechseln, wenn es gesundheitlich nicht anders geht. "Hier sehe ich eine große gesellschaftliche Herausforderung, deren Überwindung nicht nur ökonomisches Geschick verlangt, sondern auch pädagogisch-psychologische Begleitung der Betroffenen und ein erfolgreiches gesamtgesellschaftliches Umdenken im Bereich individueller Berufsbiografien", so Schmidt. Denn Chef müssen auch bereit sein, den Gießer im Schichtbetrieb zum medizinischen Assistenten umzuschulen.
Dass das geht, zeigt ein Beispiel aus dem Leitfaden. "Ich bin zum Studieren nach Deutschland gekommen, doch im achten Semester musste ich leider aufhören. Ich hatte Familie, keinen Job und kein Geld. Ich musste einfach Geld verdienen. Es war ein Horror für mich! Schichtarbeit, immer kaputt und müde, aber man hatte immer das Bild der Familie vor den Augen, und man sagte sich: Komm, du musst das aushalten", berichtet ein Berfragter aus einem Hamburger Betrieb. Nach neun Jahren wechselte er zum betrieblichen Rettungsdienst, weitere drei Jahre später wurde er zum arbeitsmedizinischen Assistenten. Doch dieser Schritt ist an sich der Einzige, der Mut und Umdenken von Führungskräften erfordern sollte. Die anderen Erkenntnisse des Leitfadens sollten eigentlich für jede Führungskraft - vom Top-Manager bis zum Schichtleiter - selbstverständlich sein.
Quiz: So finden Sie heraus, ob Sie ein guter Chef sind
Was denken Sie über sich selbst in Bezug auf Ihr Führungsverhalten? Bitte notieren Sie sich die Punkte, die am ehesten auf Sie zutreffen.
Quelle: Schyns, B. (2002): Überprüfung einer deutschsprachigen Skala zum Leader-Member-Exchange-Ansatz. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 23, S. 235-145.)
Nein: 1 Punkt
Selten: 2 Punkte
Gelegentlich: 3 Punkte
Oft: 4 Punkte
Immer: 5 Punkte
Gar nicht: 1 Punkt
Wenig: 2 Punkte
Mittelmäßig: 3 Punkte
Gut: 4 Punkte
Sehr gut: 5 Punkte
Gar nicht: 1 Punkt
Wenig: 2 Punkte
Mittel: 3 Punkte
Eher hoch: 4 Punkte
Hoch: 5 Punkte
Gering: 1 Punkt
Eher gering: 2 Punkte
Mittel: 3 Punkte
Eher hoch: 4 Punkte
Hoch: 5 Punkte
Gering: 1 Punkt
Eher gering: 2 Punkte
Mittel: 3 Punkte
Eher hoch: 4 Punkte
Hoch: 5 Punkte
Trifft gar nicht zu: 1 Punkt
Trifft wenig zu: 2 Punkte
Trifft mittelmäßig zu: 3 Punkte
Überwiegend: 4 Punkte
Völlig: 5 Punkte
Sehr ineffektiv: 1 Punkt
Schlechter als effektiv: 2 Punkte
Durchschnittlich: 3 Punkte
Besser als Durchschnitt: 4 Punkte
Sehr effektiv: 5 Punkte
Doch das scheint längst nicht überall der Fall zu sein. Ein 44jähriger Schmelzer beispielsweise erzählt: "Ich war früher in einer anderen Schicht. Der Schichtmeister war noch so ein Choleriker mit Rumbrüllen und die Leute zusammenscheißen. Das hat sich auf die Leute übertragen. Die haben angefangen, nicht mehr zusammenzuhalten und sich untereinander zu bekämpfen. In der jetzigen Schicht ist es genau das Gegenteil. Super Kollegen, sehr kollegial. Der Vorgesetzte begegnet uns auf Augenhöhe. Er hört zu. Er hat Ahnung von der Materie. Ich kann mich auf ihn verlassen."
Auflösung: Sind Sie ein guter Chef?
Addieren Sie Ihre Punktwerte aus den obigen Fragen und dividieren Sie das Gesamtergebnis anschließend durch 7, um den Durchschnitt zu berechnen.
Quelle: Schyns, B. (2002): Überprüfung einer deutschsprachigen Skala zum Leader-Member-Exchange-Ansatz. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 23, S. 235-145.
Sie haben gerade sieben Fragen beantwortet, die insgesamt eine Aussage über die Qualität der Austauschbeziehung zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitenden erlauben. Die Spannweite der Skala liegt zwischen 1 und 5. Sie stehen fast täglich persönlich mit jedem einzelnen Mitarbeiter bzw. jeder einzelnen Mitarbeiterin im Austausch. Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, inwieweit die Beziehung zu Ihren Mitarbeitenden von Aufmerksamkeit, Respekt und Vertrauen geprägt ist. Je besser das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten erlebt wird, desto besser besser müsste es um die Zufriedenheit, die Produktivität und das Wohlbefinden der Beschäftigten gestellt sein.
Ihren Angaben zufolge schätzten Sie das Verhältnis zu Ihren Mitarbeitenden als unterdurchschnittlich ein. Anscheinend fehlt es in Ihrer Beziehung zu den Beschäftigten an Vertrauen und Aufmerksamkeit für deren Bedürfnisse. Unternehmen Sie etwas dagegen. Dafür brauchen Sie nicht Ihre Persönlichkeit zu verändern. Das wäre unglaubwürdig. Für den Anfang genügen kleine Veränderungen: Schenken Sie mehr Beachtung.
Ihren Angaben zufolge schätzen Sie das Verhältnis zu Ihren Mitarbeitenden als durchschnittlich ein. Auf der einen oder anderen Ebene gäbe es sicherlich Möglichkeiten, das Verhältnis positiver zu gestalten. Stellen Sie in Zukunft sicher, dass Ihren Mitarbeitenden bewusst ist, dass Sie sie wahrnehmen und ihre Bedürfnisse ernst nehmen. Ebenso sollten Ihre Mitarbeitenden wissen, dass Sie ihnen im Ernstfall den Rücken stärken werden. Dann steigt auch automatisch das Ihnen entgegengebrachte Vertrauen.
Sie schätzen die Qualität des Verhältnisses zu Ihren Mitarbeitenden als äußerst positiv ein. Das ist erfreulich. Wahrscheinlich haben Sie ein produktives und effektives Team um sich, das sich bei der Arbeit wohlfühlt, weil es weiß, dass Sie hinter ihm stehen. Was glauben Sie, wie Ihre Mitarbeitenden die Fragen beantwortet hätten? Bitten Sie sie um ihre Meinung.
Wie ein gesunder Schichtplan aussieht
Zu einem guten Chef gehört auch, dass er seine Mitarbeitern Wertschätzung entgegen bringt. Das tut der Arbeiterseele nämlich genauso gut, wie dem Betriebsklima an sich. Und wer seinen Job und seinen Arbeitsplatz mag, hält auch viel eher bis zur Rente durch. Selbst körperlich und psychisch belastende Berufe führen dann nicht zwangläufig in den vorzeitigen Ruhestand, wie eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt.
Demnach hängt es viel mehr davon ab, wie hoch die Arbeitsqualität im Allgemeinen ist. Also: die "Gesamtheit aller auf den Arbeitenden einwirkenden Anforderungen und Arbeitsbedingungen". Und dazu zählen nicht nur der Arbeitsablauf, Weiterbildungsmöglichkeiten oder das Gehalt - sondern vor allem: der Spaß am Job.
Das ZEW stellte nämlich fest, dass nicht diejenigen früher in Rente gingen, die besonders anstrengende Berufe hatten - sondern die, die besonders unzufrieden mit ihrem Job waren. Und die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern, kostet Unternehmen oft keinen Cent. So sagt beispielsweise einer der befragten Schichtmeister (55 Jahre): "Die Chefs haben für alles ein Programm, aber denken nicht daran, wann ihre Leute Geburtstag haben. Oder sich mal vor die Leute zu stellen und zu sagen: ›Leute, das habt ihr wirklich gut gemacht, einwandfrei, ich bin stolz auf euch.‹ Da will keiner einen Kuss haben oder sonst irgendwas oder eine Umarmung, nur einfach mal sagen, was gut ist, und dann ist gut."
Doch wer Schicht arbeitet, belastet Körper und Geist, daran ändern auch die beste Arbeitsatmosphäre und der beste Chef nichts. Experten raten deshalb zu einem möglichst gesunden Schichtplan. Im Leitfaden der Zeit-Stiftung heißt es:
- Nicht mehr als vier Nachtschichten hintereinander: So gelingt es den Mitarbeitern besser, sich wieder an den normalen Tagesablauf anzupassen, und das Schlafdefizit wird nicht zu groß.
- Ausreichend Ruhe: Auf einen Nachtschichtblock sollte eine Ruhephase von mindestens 24 Stunden folgen.
- Freizeit in Blöcken: Mehrere Tage Freizeit am Stück bringen mehr Erholung als einzelne freie Tage. Ein Samstag oder Sonntag sollte möglichst dabei sein.
- Mehr Belastung = mehr Freizeit: Zusatzbelastungen lassen sich am besten durch ein Mehr an Freizeit ausgleichen.
- Früh-Spät-Nacht: Vorwärts rotierende Schichtsysteme helfen, den Schichtwechsel besser zu meistern.
- Schnell rotierende Schichtsysteme: Wer zum Beispiel immer nur zweimal hintereinander im gleichen Schichttyp arbeitet, verkraftet den Schichtwechsel besser, als wenn zu viele Schichten gleicher Art aufeinander folgen.
- Ideale Zeiten: Wenn machbar, sollte kein Frühdienst vor 7 Uhr und kein Spätdienst nach 23 Uhr liegen. Für ältere Mitarbeiter kann jedoch ein Schichtbeginn um 6 Uhr sinnvoll sein.
- Echte Pausen: Klar definierte Pausen müssen möglich sein und ausgewiesene Räume dafür auch nachts zur Verfügung stehen. Ebenso sollte die Möglichkeit gegeben sein, in Gemeinschaft etwas Warmes zu essen.
- Leistungsschwächere Zeiten: Nach Möglichkeit sollten zwischen 2 und 3 Uhr nachts keine aufmerksamkeitsintensiven oder fehlerkritischen Tätigkeiten eingeplant werden.
- Keine überlangen Arbeitstage: Lange Schichten und Überstunden vermeiden.
- Helle Beleuchtung der Arbeitsräume: Licht unterdrückt die Melatonin-Produktion und hemmt so die Ermüdungstendenz.
- Altersgrenze für Nachtschicht: Mitarbeiter über 50 Jahre brauchen in der Regel länger, um sich zu regenerieren, und sollten deshalb möglichst nicht im Nachtdienst eingesetzt werden. Lässt sich darauf nicht verzichten, müssen unbedingt ausreichende Erholungszeiten zwischen den Schichten respektiert werden.
- Beteiligung der Mitarbeiter: Das Einbeziehen der Mitarbeiter in die Schichtplangestaltung oder bei der Veränderung von Arbeitszeitmodellen fördert die Akzeptanz der getroffenen Regelungen.
Ist der Rücken doch irgendwann kaputt, muss die Möglichkeit zur Umschulung her. "Nicht wenige Beschäftigte in der Metallindustrie würden nach einigen Jahren in ihrem Beruf gerne eine andere Tätigkeit ausüben. Doch oftmals sehen sie sich dazu nicht
in der Lage. Bei anderen führen gesundheitliche Probleme dazu, dass sie sich umorientieren müssen", heißt es im Leitfaden der Zeit-Stiftung.
Deshalb sollten Vorgesetzte während der gesamten Berufskarriere ihrer Mitarbeiter Weiterbildungen anbieten oder zumindest ermöglichen. Wer lebenslang lernt und nicht nach der Ausbildung damit aufhört, "freundet sich auch mit technischen oder organisatorischen Veränderungen schneller an", heißt es. Und das kann schließlich in keinem Job schaden.
Natürlich liegt es auch in der Eigenverantwortung der Mitarbeiter, für ihre Gesundheit zu sorgen. Doch Unternehmen und Führungskräfte sind mitverantwortlich dafür, dass Mitarbeiter ihre Beschäftigungsfähigkeit erhalten können. Niemand kann einen Gehörschutz tragen, wenn es keinen gibt, niemand kann ausreichend schlafen, wenn der Vorarbeiter unmögliche Schichtpläne macht und niemand wird seinen Job psychisch lange aushalten, wenn er chronisch überfordert und schlecht behandelt wird. Außerdem kann es nicht schaden, wenn der Vorgesetzte mit gutem Vorbild voran geht.