Lasten abnehmen und sich verbünden Acht Tipps gegen den Karrierekiller Mental Load

Gegen Mental Load hilft, Verantwortung im Alltag zu teilen, nicht nur die konkreten To-Dos. Quelle: imago images

Wer ständig an alle wichtigen Dinge im Familienalltag denken muss, hat weniger Energie im Job – und steigt deshalb seltener auf. Die Autorin Patricia Cammarata gibt Tipps, wie Unternehmen, Frauen und Männer die Mental-Load-Falle umgehen.

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Unternehmen suchen Fachkräfte und wollen Frauen fördern – doch gerade die steigen häufig einige Jahre nach der Familiengründung aus dem Karrierekarussell aus, weil ihnen alles zu viel wird. Dahinter steckt nicht selten Mental Load – die Summe scheinbar banaler Alltagsaufgaben rund um Haushalt, Kinder und Familienorganisation, die auch bei Doppelverdienern doppelt so oft an den Frauen hängen bleibt.

Wer bereits das Privatleben managen muss, spüre eine große „Entscheidungsunlust“, wenn es um Dinge jenseits der täglichen Unwägbarkeiten geht, wie es die Bloggerin und Autorin Patricia Cammarata ausdrückt. Das schlägt sich im Job nieder: Noch mehr Verantwortung? Nein, danke. Cammarata hat ein Buch darüber geschrieben, wie Paare aus der Mental-Load-Falle herausfinden und berät Unternehmen, wie die Arbeitgeberseite auf den Alltagsstress von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingehen kann. „Vor allem in der Technologiebranche steigt die Aufmerksamkeit für das Thema Mental Load“, sagt Cammarata. Wo der Fachkräftemangel besonders groß ist, machen sich Unternehmen mehr Gedanken, wie sie Jobs und besonders Führungspositionen für Frauen attraktiv machen könnten. „Dazu gehört, dass man darüber nachdenkt, wie die Menschen privat aufgestellt sind: Ob ihr Kopf frei ist, sodass sie einen guten Job machen können.“

Was Unternehmen tun können

Aufgaben auslagern: Catering, Wäsche, Friseur

„Unternehmen können konkret bei den Dingen helfen, um die sich Frauen zu Hause häufiger kümmern“, sagt Cammarata. SAP etwa biete einen Cateringservice für ältere Schulkinder an, die dann zu Hause mit einem warmen Essen versorgt würden, ohne dass die Eltern vorkochen oder es anders organisieren müssten. Manche Unternehmen bieten Wäscheservice an oder vermitteln einen Putzdienst nach Hause. „Manche Unternehmen haben es geschafft, um die Ecke zu denken und zu ermitteln, welche Dinge ihre Mitarbeiterinnen dermaßen blockieren, dass diese ihre 32- oder mehr Stunden gar nicht konzentriert leisten können, obwohl sie eigentlich hochqualifiziert sind“, sagt Cammarata. So könnte der Arbeitgeber gezielt zeitraubende Aufgaben abnehmen – die gewonnene Zeit stünde den Mitarbeiterinnen dann im Büro oder zur Entspannung zur Verfügung. „Das können auch ‚Nebenhersachen‘ wie ein Friseurbesuch sein, der zum Hausbesuch bei der Familie vorbei kommt.“

Prävention

„Mental Load könnte zum Beispiel ein Modul in Nachwuchsprogrammen der Unternehmen sein“, schlägt Cammarata vor. Im besten Fall gäbe dies den angehenden Führungskräften Argumente für die Verhandlungen zu Hause an die Hand. „Wir müssen Frauen und Männer aufklären, was Mental Load ist und wie man das überhaupt in einer Partnerschaft organisiert. Es sind nicht nur die To-dos und wer sie erledigt. Entscheidend ist diese Nuance, wer daran denkt“, erläutert Cammarata.

Mit Mythen aufräumen

„Jüngere Frauen denken häufig, dass es eine Frage des Willens ist, alles zu schaffen. Das kann auch einige Jahre gut gehen“, sagt die Autorin. Doch während ein kleiner Haushalt noch leicht nebenher zu managen sei, nehme die Komplexität mit jedem weiteren Familienmitglied immer mehr zu. „Wichtig ist, bei der dann entstehenden Überlastung zu erkennen: Es ist nicht mein persönliches Problem, sondern ein systemisches.“

Flexible Modelle anbieten

Eine wichtige Voraussetzung für entspannte Mitarbeiter sind flexible Arbeitsmodelle, die Führung auch in Teilzeit ermöglichen. Das können Führungstandems sein, Vertrauensarbeitszeit, Zeitkonten und die Möglichkeit, frei zwischen Büro und Homeoffice zu wechseln. „Überall, wo moderne Führung praktiziert wird, wo Führungskräfte ihren Job eher darin sehen, Mitarbeiter selbständig und mit Verantwortung arbeiten zu lassen, funktioniert auch die Vereinbarkeit besser“, sagt Cammarata aus ihrer Beratungserfahrung.

Männliche Mitarbeiter einbinden

Einige Unternehmen haben Abteilungen geschaffen, die sich im weitesten Sinne um das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter kümmern. Der Pharmakonzern Boehringer etwa hat eine Abteilung Life Balance geschaffen, die Angebote für alle Mitarbeiter macht und bewusst „Erziehende“ (und nicht nur Mütter) anspricht. Für andere geht es eher darum, wie sie zusätzlich kranke Angehörige pflegen. Es bringe keinem Unternehmen etwas, nur vermeintlich leistungsfähigere Männer ins Management zu schicken, die nach Jahren mit 60-Stunden-Wochen auch irgendwann ausgebrannt seien, glaubt Cammarata. „Der Kollateralnutzen ist, dass man in dem Kontext auch über Familie, Vereinbarkeit, Väterrollen, glückliche Partnerschaft und all das sprechen kann.“ Vätervereine haben bereits erste Kooperationen mit Unternehmen gegründet, um jene Männer zu unterstützen, die ihre Vorstellungen von moderner Vaterschaft noch nicht gegen eine altbackene Unternehmenskultur durchsetzen konnten.

Was man selbst gegen den Mental Load tun kann

Unsichtbares sichtbar machen

Wenn man ständig erschöpft ist und auch mit nicht mehr ganz kleinen Kindern abends um 20 Uhr einschläft, deutet das auf eine Schieflage hin. „Wenn man einmal aufschreibt, was einen alles gedanklich beschäftigt, ist man ganz schnell beim Thema Mental Load“ sagt Patricia Cammarata und empfiehlt, Aufgaben und die dazugehörigen Unteraufgaben zu sortieren – ähnlich wie im Projektmanagement. Das macht die unsichtbaren To-do-Listen, die durch den Kopf rattern, erst sichtbar. Beispiel Kindergeburtstagseinladung: „Ein Geschenk überlegen und kaufen ist nicht die einzige Aufgabe, sondern es ist die ganze Organisation drumherum: Wie kommt das Kind hin? Kann es von jemandem mit abgeholt werden? Wird dafür in der Betreuungseinrichtung eine Vollmacht benötigt? Wie passt das in die Arbeitspläne, wer kann wann abholen? Was, wenn das Meeting länger dauert? Dann wird aus einem kleinen Punkt im Kalender ein großes Netz.“

Verhandlungsposition gegenüber dem Partner stärken

Die Aufgabenteilung bei deutschen Paaren wird selten hinterfragt. Ein häufiges Argument lautet auch: Wer weniger verdient, kann eher Stunden reduzieren und hat mehr Zeit für unbezahlte Carearbeit. Cammarata rät Frauen, sich durch ein möglichst hohes eigenes Gehalt bessere Chancen für eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft zu sichern. „Wo man finanziell auf gleicher Ebene startet, hat man eine gute Verhandlungsposition. Das ist auch deshalb vernünftig, weil dann einer auch mal ausfallen kann oder den Job wechseln.“ Ihre Erfahrung aus Workshops fasst sie so zusammen: „80 Prozent aller Männer sind natürlich gewillt, daran zu arbeiten, dass sie eine gute Beziehung und eine entspannte Partnerin haben.“

Sich verbünden: Mental Load und Financial Load teilen

Wenn Frauen über Mental Load klagen, gerät manchmal in Vergessenheit, dass auf der anderen Seite eine andere Last steht: die Last, der Ernährer zu sein – zumindest in Vollzeit-Teilzeit-Konstellationen. Der Financial Load ist das Pendant zum Mental Load. Eine Lösung kann sein, sich beides zu teilen. „Das übersehen viele in ihren Vorstellungen von Rollenverteilung“, so die Autorin. Geteilter Mental Load macht im Alltag entspannter, geteilter Financial Load gibt beiden Partnern mehr Spielraum im Job. Wenn etwas nicht passt, hat jeder die Freiheit, auch mal zu gehen und sich eine neue Stelle zu suchen. Der Partner oder die Partnerin kann es eine Zeit lang finanziell auffangen – und den Blick für andere Jobs und Arbeitgeber zu weiten, kann neue Karriereschritte bedeuten. „Wenn Paare sich zusammentun und ihre Loads teilen, können sie einen Hebel entwickeln, Unternehmen zu verändern“, hofft Cammarata.

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