Machtwechsel Eine ungeregelte Unternehmensnachfolge ist fahrlässig

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Überraschende Führungswechsel bei Großkonzernen kosten

Strategy& kam 2015 in einer weiteren Studie zu dem Ergebnis, dass überraschende Führungswechsel bei Großkonzernen Anleger weltweit jährlich 112 Milliarden Dollar kosten. Egal, ob jemand von der Konkurrenz abgeworben wird wie der damalige Henkel-Chef Kasper Rorsted von Adidas, über einen Skandal stolpert wie American-Apparel-Gründer Dov Charney wegen sexueller Belästigung oder wegen schlechter Zahlen geschasst wird wie kürzlich Esprit-Chef José Manuel Martínez: Wenn nicht zeitnah ein gleichwertiger Ersatz in Sicht ist, so die Strategy&-Berechnungen, verlieren Unternehmen im Schnitt 1,8 Milliarden Dollar mehr an Börsenwert als bei einer geordneten Nachfolge. Auch der Kurs der Deutschen-Bank-Aktie war in den Tagen vor Cryans Abberufung auf Talfahrt gegangen.

Allein das finanzielle Argument sollte also Grund genug sein, die systematische Planung der CEO-Nachfolge ganz oben auf die Prioritätenliste eines Aufsichtsrats zu setzen. Doch in der Praxis, monieren zahlreiche Studien, dominiert nicht Weitsicht, sondern Spontaneität: Viele Aufseher gehen bei der Besetzung der Chefposten deutlich zu unvorbereitet und plötzlich vor.

Die Personalberatung Heidrick & Struggles und das Rock Center for Corporate Governance an der Universität Stanford haben vor einigen Jahren 140 Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsräte befragt. Mehr als ein Drittel hatte keine geeigneten Nachfolger für amtierende Top-Manager parat. Und gerade mal 54 Prozent der befragten Firmen machten sich die Mühe, einen potenziellen Erben gezielt aufzubauen. „Ein typischer Fehler bei der CEO-Nachfolge“, sagt Headhunterin Najipoor-Schütte: „Viele Unternehmen schieben das Thema vor sich her.“

Verständlich, einerseits. Viele wollen um die Nachfolge kein großes Aufheben machen. Der Autobauer Ford zum Beispiel. Im September 2012 verkündete der Konzern, dass Mark Fields zum Chief Operating Officer aufsteigt. Ein Indiz dafür, dass Fields der designierte Erbe von Alan Mulally als Ford-CEO war – was sich im Juli 2014 bestätigen sollte. Doch damals gab Ford bloß zu, die Nachfolgethematik „sehr ernst zu nehmen“ und konkrete Pläne „für jede wichtige Führungsposition zu haben“, so der damalige Kommunikationschef Ray Day: „Aus Wettbewerbsgründen äußern wir uns nie öffentlich zu diesen Plänen.“

Andere fürchten, dass der amtierende Chef an Autorität einbüßt, wenn sie intern bereits nach einem Nachfolger fahnden – und glauben, durch Passivität für Ruhe und Stabilität zu sorgen. Womöglich erscheint es manchen pietätlos, das Erbe schon zu verteilen, während der Erblasser noch lebt. Doch diese Vorsicht ist fahrlässig, denn in Wahrheit wird damit ein Problem, das sich so oder so stellt, nur aufgeschoben. „Und das rächt sich spätestens, wenn die Nachfolge tatsächlich ansteht“, sagt Najipoor-Schütte.

Bei der Deutschen Bank hatte Achleitner zumindest in dieser Hinsicht vorgesorgt und mit Sewing sowie dem Chef des Investmentbankings, Marcus Schenck, zwei potenzielle Kronprinzen installiert. Bisher galten allerdings beide als noch nicht reif genug für die Spitze – sonst hätte der Aufsichtsrat kaum mit externen Nachfolgern gesprochen.

Oder haben die Aufseher nicht genau genug hingeschaut? Wie eine weitere Untersuchung des Rock Centers zeigt, können viele Aufsichtsräte nicht genau sagen, welche Fähigkeiten und Erfolge jene Führungskräfte vorzuweisen haben, die eine Stufe unter dem CEO stehen. Nur gut jeder zweite befragte Kontrolleur nahm für sich in Anspruch, die Stärken und Schwächen der potenziellen CEO-Manager gut oder sehr gut zu kennen.
Wie es besser gehen kann, zeigt das Beispiel General Electric (GE). Der US-Mischkonzern gilt seit Jahrzehnten als Paradebeispiel für eine systematische Nachfolgeplanung (siehe Kasten rechte Seite). Eigenen Angaben zufolge hatte sich GE sechs Jahre lang darauf vorbereitet, einen Erben für Jeffrey Immelt zu finden, der den Konzern seit 2001 führte. Und weil das Verfahren so früh startete, blieb genug Zeit für eine planmäßige Herangehensweise.

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