Management Das Einigeln in politischen Büroblasen ist gefährlich fürs Geschäft

Vorstand Quelle: iStock

Die politische Polarisierung in den USA reicht tief in die Führungsetagen der Unternehmen. Eine deutsche Harvard-Forscherin hat nun herausgefunden: Die Spaltung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Aktienkurse.

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Als Elisabeth Kempf für ihren neuen Job nach Chicago zog, tobte gerade der Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump. Sechs Jahre ist das jetzt her und es „hat bei mir einen prägenden Eindruck hinterlassen, wie gespalten und emotional das Land ist“, sagt die deutsche Finanzwissenschaftlerin, die inzwischen von Chicago nach Harvard gewechselt ist. 

Die Polarisierung ist in der US-Unternehmenswelt, die Kempf erforscht, nicht minder heftig. Sie begegnet einem an jeder Ecke. Ein Finanzexperte, streng republikanisch, der keinen Zweifel daran lässt, dass es dem Land und vor allem der Ölindustrie unter Trump als Präsident besser gegangen sei, erklärt im Gespräch in New York: „Biden gibt Geld aus wie ein betrunkener Soldat.“ Ein Wall-Street-Trader, in diesen Kreisen fast schon ein Liberaler, sagt, es gebe nur noch Schwarz und Weiß: „Du trägst eine Maske, du bist ein Linker, du trägst keine, du bist ein Rechter.“

Die Gräben werden tiefer, auch im Büro. Die steigende Tendenz der Menschen, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben und mit ihnen Beziehungen einzugehen, weite sich „auf die höchsten Ebenen von Entscheidungsträgern am Arbeitsplatz“ aus, heißt es in einer Studie, die Kempf und zwei Mitautoren jetzt veröffentlicht haben. Republikaner sitzen verstärkt neben Republikanern am Konferenztisch und Demokraten neben Demokraten. Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu, aber Kempf und Kollegen haben nun erstmals die Folgen der Polarisierung im Büro untersucht. Und bilanzieren: Das Einigeln in politischen Büroblasen ist sogar gefährlich fürs Geschäft.

Um die ökonomischen Kosten dieser Homogenisierung zu bemessen, ermittelten sie, welchem Präsidentschaftskandidaten die jeweils fünf höchstbezahlten Manager von 941 US-Börsenunternehmen zwischen 2008 und 2020 ihre Stimme gegeben hatten. Dann untersuchten die Wissenschaftler die unmittelbar folgende Entwicklung des Aktienkurses nach dem Abgang eines Vorstands. Das Ergebnis: „Wir haben gesehen, dass die Frage, ob die Person politisch mit den Kollegen übereinstimmte oder nicht, eine sehr große Rolle dafür spielte, wie sich der Kurs entwickelte.“

Abgänge von Managern, die anders gewählt hatten als die Mehrheit, seien von den Investoren sehr negativ bewertet worden. Diese begrüßten es wohl nicht, wenn der Grund für eine Trennung „gar nichts mit dem Geschäft zu tun“ habe. Geldgeber fragten sich, welche Art von Entscheidungen ein Management in Zukunft trifft, das sich von solchen Dingen leiten lasse. „Die finden das schädlich fürs Business“, sagt Kempf. Kurzfristig, im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Abschiedsnachricht also, verloren die untersuchten Firmen den Forschern zufolge 238 Millionen US-Dollar an Börsenwert.

Besonders deutlicher Schub nach der Trump-Wahl

Dass Forscher überhaupt Zugang zu solch sensiblen Daten bekommen, wäre in Deutschland aufgrund des Wahlgeheimnisses undenkbar. Doch in den transparenten Wählerverzeichnissen der US-Bundesstaaten lassen sich Wahlentscheidungen von Bürgern nachvollziehen. Wer Zugriff aufs Wählerverzeichnis bekommt, entscheidet jeder Staat für sich. Als Politiker oder Forscherin sei es grundsätzlich leichter, sagt Kempf. Sie mussten nur versprechen, keine Personen oder Unternehmen namentlich zu nennen.

Wege aus der Tiefstapelei

Das grundsätzliche Verhältnis zwischen konservativen und demokratischen Wählern in Führungsetagen ist laut der Autorin zwischen 2008 und 2016 von 63:37 auf 75:25 Prozent gestiegen, mit leichtem Rückgang nach der Trump-Wahl. Den Grad der Partei-Übereinstimmung innerhalb eines Vorstands machen die Verfasser der Studie an der Wahrscheinlichkeit fest, mit der zwei zufällig gezogene Personen aus demselben Team die gleiche Einstellung haben. Diese Wahrscheinlichkeit ist zwischen 2008, als Barack Obama zum US-Präsident gewählt wurde, und 2020, als Joe Biden gegen Obamas Nachfolger Trump gewann, um fast acht Prozent gestiegen. Nach der Wahl Trumps 2016 beobachteten die Wissenschaftlerinnen einen besonders deutlichen Schub. Der Wert liegt nun bei 65 Prozent. In fast zwei Drittel der Fälle ergibt die zufällige Ziehung von zwei Vorständen desselben Unternehmens also eine politische Übereinstimmung.

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Kempf hat sich auch mit der geografischen Teilung des Landes beschäftigt, die grob so aussieht: In den Staaten an der Ost- und Westküste dominieren Demokraten, im Inneren der USA die Republikaner. Die wachsende Polarisierung unter den Managern erklärt das jedoch nicht, verglichen mit der jeweiligen lokalen Bevölkerung stieg die Polarisierung bei den Unternehmenslenkern im Untersuchungszeitraum doppelt so schnell.

Nicht bestätigt hat sich in der Studie die Wahrnehmung mancher Konservativer, „woke capital“ regiere nunmehr die Unternehmen. Gemeint ist die Auffassung, Kapitalgeber und Unternehmen seien liberaler geworden und achteten vermehrt auf tendenziell demokratische, linke gesellschaftliche Themen wie Gleichstellung, die Rechte von Minderheiten und Diskriminierung. Tatsächlich ist es umgekehrt: Die meisten Vorstände werden nach wie vor von Republikanern dominiert.

Kempf hat zwei mögliche Erklärungen für die verzerrte Wahrnehmung. Erstens: Die demokratischen Manager sind lauter – als früher oder auch im Vergleich zu ihren republikanischen Pendants. „Der demokratische Teil ist viel offener demokratisch heute“, sagt Kempf. Zweitens: Die Entscheidung, Position zu beziehen, hat nicht nur persönliche Gründe, sondern ist auch eine strategische Überlegung im Umgang mit der Belegschaft. „Die Mitarbeiter spielen eine große Rolle. Junge Talente an der Küste haben die Erwartung, dass ihre Firma zu bestimmten Themen Stellung bezieht.“

Auf der Strecke bleibt dabei manchmal jedoch der Meinungspluralismus, wie ein Fall bei der kalifornischen Jeansfirma Levi Strauss zeigt. Dort vertrat eine langjährige Marketingchefin die offenbar unter den Kollegen unpopuläre Ansicht, die coronabedingten Schulschließungen seien unverhältnismäßig und falsch. Immer wieder legten andere Führungskräfte und sogar der Vorstandschef ihr nahe, ihre rege Twitter-Aktivität zum Thema einzustellen. Das wollte die Marketingexpertin nicht – und verließ Levi Strauss.

Benoten Analysten Firmen schlechter, deren Vorstände anders wählen?

Elisabeth Kempf forscht weiter daran, „wie sich die unterschiedlichen politischen Prägungen auf die Sicht auf die Wirtschaft und auf Investitionsentscheidungen auswirken“. In einer früheren Arbeit fand sie mit ihren Kollegen heraus, dass sich auch Mitarbeiter großer Ratingagenturen wie Moody’s und Fitch davon leiten lassen, welcher Partei der Amtsinhaber angehört. Solche, die dem Lager des Präsidenten angehörten, beantworteten die Frage, wie optimistisch sie im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage sind, positiver und trafen entsprechend andere Entscheidungen als diejenigen, die ihn nicht gewählt hatten.

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Ob Analysten Firmen auch schlechter bewerten, wenn deren Führung einem anderen politischen Lager angehört als sie selbst, ist laut Kempf noch nicht erforscht. Es ist eine der Fragen, derer sie sich als nächstes annehmen will.

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