Management nach dem heiligen Benedikt „Führung heißt, die Stärke des Einzelnen zu erkennen“

Bodo Janssen hat durch seinen Weg viel Aufmerksamkeit erfahren. Quelle: Privat

Vor wenigen Jahren noch galt Bodo Janssen seinen Mitarbeitern als schlimmer Chef. Er ging ins Kloster und entwickelte einen neuen Führungsstil. Nun hat er ein Buch über die Lebensregeln des Heiligen Benedikt vorgelegt.

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WirtschaftsWoche: Herr Janssen, Sie haben eine Art New-Work-Ratgeber auf Basis der Lebensregeln des Heiligen Benedikt geschrieben. Man könnte sagen: Managementliteratur mit religiös-philosophischem Unterbau. Worum geht es?
Bodo Janssen: Klassische Managementliteratur sieht den Menschen als Mittel zum Zweck der Wirtschaft. In meinem Unternehmen „managen“ wir nur Zahlen, Daten und Fakten. In Managementbüchern kann man lernen, wie man Prozesse und Menschen managt, sie effizient einsetzt. Der Heilige Benedikt empfiehlt, die Menschen und die Gemeinschaft zu stärken. Wenn ich mich um die Menschen kümmere, kümmern sich die Ergebnisse um sich selbst. Die Wirtschaft ist das Mittel, den Menschen zu stärken. In einer Zeit, wo eine junge Generation nach dem Sinn der Arbeit fragt und nicht nach dem Stundenlohn, ist das auch immer wichtiger. Die Stimmung in einem Unternehmen ist wichtiger als jedes Wissen oder Kapital. Der Wandel bedeutet: Vom Ergebnis zum Erlebnis.

Muss man bibelfest sein, um die benediktinischen Lebensregeln richtig verstehen zu können?
Ganz sicher nicht. Wenn ich über Spiritualität spreche, meine ich gar nicht so sehr die Kirche oder Religion. Die Lebensregeln, die der heilige Benedikt geschrieben hat, sind kein religiöses Buch. Die Weisheiten darin haben nicht ausschließlich etwas mit Glauben zu tun, sondern können in ihrer Einfachheit zu einem guten Leben und Klarheit beitragen.

Vor 1500 Jahren, als der Heilige Benedikt lebte, mussten die Menschen allerdings auch noch nicht so produktiv sein wie heute, oder? Lassen sich Benedikts Lebensregeln überhaupt auf die heutige Zeit übertragen?
Wenn das psychische Wohlbefinden von Menschen gut ist, sie sich geistig fit und sozial angenommen fühlen, steigt die Produktivität derartig steil, dass sie mit sehr viel weniger Aufwand viel mehr schaffen. Das geschieht momentan in meinem Unternehmen: Vergangenes Jahr sind wir um 50 Prozent gewachsen – und das war nicht geplant. Vor zehn Jahren hatten wir einen Umsatz von 20 Millionen Euro, in diesem Jahr werden wir 60 Millionen haben. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich aber nicht verdreifacht, sondern nicht einmal verdoppelt. Die Produktivität ist gestiegen, weil die Mitarbeiter weniger krank sind und die Fluktuation sehr gering ist. Und selbst wenn Mitarbeiter nur ‚Dienst nach Vorschrift‘ machen, ihr Gehalt aber nicht als reines Schmerzensgeld sehen, dann trägt auch das zur Produktivität bei.

Über den Autor und das Buch

Sie gehen in Ihrem Buch auf den Begriff New Work ein – und mit der gängigen Lesart, was das sei, ins Gericht. Dabei steht doch New Work für eine menschenfreundlichere Arbeitswelt, oder?
Ich habe das Empfinden, dass New Work eigentlich anders gemeint war, als es heute interpretiert wird. Fridtjof Bergmann, der den Begriff geprägt hat, hat Arbeit als Medium beschrieben, das Menschen helfen soll in ihrer Persönlichkeit zu wachsen. Das hat wenig mit Methoden, Dreitagebärten und Turnschuhen zu tun. Mir ist das zum Teil zu oberflächlich. New Work ist für mich aktuell noch sehr in der alten Welt verhaftet; es geht letztlich immer noch darum, wie sich Menschen für gute Unternehmensergebnisse instrumentalisieren lassen. Doch das Ziel sollten nicht glücklichere Kühe sein, die mehr Milche geben, sondern Arbeitswelten, in denen nicht mehr die klassische Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, sondern wo die Möglichkeit gegeben wird, sich als Mensch zu verwirklichen.

Sie weisen in Ihrem Buch darauf hin, dass dieses Wachsen des Menschen durch seine Arbeit nicht gleichzusetzen sei mit Spaß, sondern eher mit Disziplin und Gehorsam zu tun habe. Was verknüpfen Sie damit im Kontext eines modernen Unternehmens?
In einem alten Unternehmen hieße es, dass ich mich disziplinieren und gehorsam sein muss, damit ich mich in eine für das Unternehmen gute Richtung anpasse. Ich passe mich an, um anderen zu gefallen. Ich meine etwas anderes, nämlich: Ich diszipliniere mich um meiner selbst willen. Ich entwickele meine Gewohnheiten in eine Richtung, damit ich mich wohler fühle. Wohlfühlen wird häufig mit Bequemlichkeit verwechselt. Das ist es genau nicht. Disziplin auf sich selbst anzuwenden, auf die Klärung der Frage, wofür ich jeden Tag aufstehe, was meine Werte sind, ist äußerst anstrengend. Da geht man in ein Abenteuer hinein.

Ein weiterer Begriff, den Sie häufig verwenden, ist Reflexion in Form von Pausen und Ruhezeiten. Warum ist das so wichtig?
Im Kloster waren nur die Pausen vorgegeben. Dazwischen konnte es sehr turbulent zugehen, intensiv und hart. Ich erinnerte mich dann immer daran: In der nächsten Stunde habe ich Zeit für mich, da schalte ich im Kopf meine Abwesenheitsnotiz ein. Diese Anker im Alltag sind wichtig. Wenn ich das auch im Unternehmen praktiziere, merke ich, dass ich immer energiegeladen bleibe. Wenn ich aber die Pausen vernachlässige, noch diesen Kilometer fahre und jenes auch noch schaffen will, dann werde ich immer müder. Die Pausen, in denen niemand anderes etwas bei mir zu suchen hat, geben dauerhaft Kraft. Diese Erfahrung habe ich bei mir und bei meinen Mitarbeitern gemacht. Wenn die Pausen eingehalten werden, bleiben die Mitarbeiter lange aktiv.

Wenn der Zustand erreicht ist, dass die Mitarbeiter an sich selbst wachsen, ihre Arbeit als Erfüllung sehen, intrinsisch motiviert sind und so weiter – wozu braucht es dann noch Führung und Management?
Das Management organisiert Prozesse und sorgt dafür, dass die Bereiche gut zusammenarbeiten. Die Führung, die ich meine, ist keine Position, sondern eine Aufgabe, die jemand temporär wahrnimmt. Bei einer Position ist das schwieriger, mit ihr verbinden sich Status und Gehalt. Ziel ist, dass die Gemeinschaft friedvoll arbeitet und der einzelne Mensch gestärkt wird. Es geht also um geistige statt um wirtschaftliche Führung, zu erkennen, was die Stärke des Einzelnen ist und ihn entsprechend einzusetzen. Nur dann kann sich der einzelne Mitarbeiter optimal in den Arbeitsalltag einbringen – und zwar so, dass er nicht gefrustet ist. Die Beziehung zu sich selbst, das tun zu können, was einem wirklich liegt, ist die Voraussetzung dafür, dass die Gemeinschaft gut funktionieren kann. Bei den Benediktinern ist ein ganzes Buch darauf ausgerichtet.

Das Buch ist im Vier-Türme-Verlag erschienen und kostet 18 Euro. Quelle: Presse

Das klingt so schön und einfach – aber wie kann ich das beim einzelnen Mitarbeiter herausfinden? Und was, wenn dieser seine Stärken selbst nicht sieht?
Ein Mensch muss sich entwickeln wollen. Wir haben auch viele Mitarbeiter, die den Upstalsboom-Weg nicht mitgehen wollen, sondern einfach für gute Arbeit gutes Geld verdienen wollen. Das ist absolut in Ordnung. Wir sprechen trotzdem permanent Einladungen aus, sich mit sich selbst zu beschäftigen und haben dann die Strukturen, den Menschen dabei zu helfen und dies professionell zu begleiten. Wenn einer sagt, Gesundheit ist der für mich größte Wert, dann kann ich schauen, wo im Unternehmen haben wir mit Krankheit zu tun, und diesem Menschen Aufgaben übertragen, die mit Gesundheit zu tun haben. Wenn er sich dann dafür einsetzt, wird er das als höchst sinnvoll empfinden.

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