Management Warum Chefs unangenehme Entscheidungen gern abwälzen

Eine neue Studie belegt, warum Menschen so gerne Entscheidungen an andere weitergeben: Sie haben Angst, etwas falsch zu machen – die Konsequenzen soll dann lieber jemand anderes tragen.

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Das sind die größten Fehler, die Manager machen können
Einer statt alle Quelle: Fotolia
Fehler müssen oder lassen sich immer zuordnen Quelle: Fotolia
Einer allein kann gar nicht den vollen Überblick haben Quelle: Fotolia
Sicherheit versprühen auch bei totaler Unsicherheit Quelle: Fotolia
Das Problem lässt sich aussitzen Quelle: Fotolia
die halbe Wahrheit genügt Quelle: Fotolia
Entscheidungen müssen nicht begründet sein

Macht kann ziemlich anstrengend sein. Etwa wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. Einerseits schätzen Menschen zwar das Gefühl, überhaupt eine Auswahl treffen zu können. Dutzende von Studien konnten in der Vergangenheit zeigen: Droht man damit, ihnen die Wahlfreiheit zu entziehen, wehrt sich die Mehrheit vehement dagegen. Den meisten ist es nun mal lieber, die Hände am Lenkrad zu haben, als untätig auf der Rückbank zu sitzen – selbst wenn andere Insassen in Wahrheit besser fahren.

Andererseits wird es im Berufsalltag für Manager immer schwieriger, konsequent kluge Entscheidungen zu treffen. Digitalisierung und Globalisierung erhöhen die Komplexität und die Geschwindigkeit, die Corporate-Governance-Struktur führt zu Risikoaversion und Kontrollzwang.

Das Internet wiederum verschafft Führungskräften zwar Zugang zu einer Unmenge an Informationen. Doch anstatt aufgrund der besseren Datenlage auch bessere Entscheidungen zu treffen, sind viele schlichtweg überfordert.

Was gute Führung ausmacht

Dann treffen die einen eben nicht mehr die beste Wahl, sondern allenfalls die zweitbeste – die sie selbst schützt, falls etwas schiefgeht. Die anderen schieben einen Entschluss lieber erst mal auf – oder sie delegieren die Aufgabe weiter.

Alle wissen's – keiner macht's

Die Folge bezeichnen Wissenschaftler als Verantwortungsdiffusion. Vereinfacht formuliert: Alle wissen Bescheid, niemand kümmert sich. Aber gibt es Situationen, in denen Menschen besonders ungern Entscheidungen treffen?

Diesen Fragen widmete sich jetzt Mary Steffel, Assistenzprofessorin an der Northeastern-Universität im US-Bundesstaat Massachusetts. Für ihre Studie, die kürzlich im Fachjournal „Organizational Behavior and Human Decision Processes“ erschien, konzipierte sie sieben verschiedene Experimente.

In einem Versuch teilte Steffel mehr als 200 Freiwillige in Zweierpärchen auf. Die eine Hälfte erfuhr, dass sie nun eine Aufgabe lösen sollte – der anderen Hälfte sagte Steffel, dass ihr Spielpartner an der Reihe sei.

Faul oder feige?

Nun präsentierte die Forscherin den Probanden zwei relativ dröge Konzentrationstests und stellte sie vor die Wahl: Wollten sie selbst entscheiden, welche Aufgabe Steffel ihnen reichte – oder sollte die Forscherin das für sie entscheiden?

Und siehe da: Sollte ihr Partner die Aufgabe lösen, überließen 26 Prozent die Wahl der Versuchsleiterin. Waren sie selbst dran, wollten die Entscheidung nur sieben Prozent abgeben.

Ähnlich war es bei weiteren Versuchen: Egal, ob es darum ging, ein Hotel zu buchen oder Geld anzulegen: Immer wenn es nicht ausschließlich um erfreuliche Aktivitäten ging, überließen die Freiwilligen die Entscheidung jemand anderem – wenn sie nicht selbst betroffen waren. Wobei sie die Wahl vor allem an Personen reichten, die über mindestens genauso viel Autorität verfügten – damit jene im Falle des Scheiterns die Verantwortung übernehmen konnten.

Zehn skurrile Fakten zu Entscheidungen
1. Entscheidungen zusammen treffenDer erste Tipp für alle, die sich besonders schwer tun mit Entscheidungen kommt von Diplom-Psychologin Doris Wolf. Die Kernaussage: Suche das Gespräch mit „entscheidungsfreudigen“ Freunden und rede über deine Optionen. Dadurch werden Pro- und Contra-Argumente deutlicher und schneller wird klar, welche Seite überwiegt. Niemand muss Entscheidungen allein treffen. Quelle: obs
2. Tipps von der Uni: „Planung & Entscheidung“Systematisch und effizient den Partner für das Leben finden: Das versucht das Modul „Planung & Entscheidung“ des BWL-Studiengangs der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Anhand des Beispiels „Partnerwahl“ werden sogenannte „Stoppregeln“ behandelt, die bei der Entscheidungsfindung helfen sollen. Eine Regel fordert beispielsweise entweder die erste oder letzte Option zu wählen. Anschließend berechnen die Studenten wie wahrscheinlich welche Regel zur besten Entscheidung führt. Quelle: dpa
3. Fatale Fehler im Fußball: Jogi Löw und ItalienBis zum Halbfinale war er noch der Taktikfuchs der Nation, danach wurde er zum Sündenbock: Jogi Löw. Bei der EM 2012 änderte der Bundestrainer gegen Italien überraschend seine Formation und orientierte sich an der Aufstellung des Gegners. Deutschland schied mit der neuen Ordnung verdient aus und Jogi Löw war seinen Nimbus als einen der besten Fußballtaktiker los. Quelle: dpa
4. Fehler bei der EntscheidungsfindungBeim Finden der „richtigen“ Entscheidung stehen sich  viele Menschen mit fünf typischen Fehler immer wieder selbst im Weg, hat der Autor und Naturheilpraktiker Volker Horbach herausgefunden. Dazu gehören die Angst vor einer falschen Entscheidung, ein mangelndes Vertrauen in die eigene Intuition und die Neigung, den ursprünglichen Grund für eine Entscheidung aus den Augen zu verlieren. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
5. DauerredenWer kennt das nicht? Unbequeme Entscheidungen werden aufgeschoben. Diese Methode zum Umgang mit Entscheidungen hat die texanische Senatorin Wendy Davis perfektioniert, als sie elf Stunden ohne Unterbrechung vor dem Parlament geredet hat – ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne Pause. Andernfalls hätte sie gegen die Redeordnung verstoßen. Ziel ihres Dauerredens war es, die Abstimmungsfrist für ein Anti-Abtreibungsgesetz verstreichen zu lassen – mit Erfolg. Diese Taktik hat sogar einen Namen: „Filibuster“. Quelle: AP
6. Tipps von der Uni: „Rationales Entscheiden“Und noch ein Tipp von der Uni. Im Management-Masterstudiengang der Ruhr-Universität Bochum gibt es ein spezielles Modul „Rationales Entscheiden“. Darin erlernen die Studenten fundamentale entscheidungs- und informationstheoretische Entscheidungskonzepte. Ein besonderer Fokus liegt auf Entscheidungen unter Risiko- und Sicherheitsbedingungen. Ziel der Methodik ist es, komplexe Entscheidungsprobleme strukturieren und analytisch zu lösen zu können. Quelle: dpa
7. Die eigenen Wünsche ernst nehmenDer Name seines Buches ist bereits Programm. In „Die Entscheidung liegt bei dir“ schildert der Bestsellerautor Reinhard Sprenger Wege aus der alltäglichen Unzufriedenheit. „Anstatt uns als ohnmächtige Opfer von Sachzwängen zu fühlen, gilt es, durch aktives Handeln das eigene Leben zu steuern und in unserem Sinne zu verändern“, schreibt er. Man solle die eigenen Wünsche ernst nehmen, rät Reinhard Sprenger. Quelle: dpa/dpaweb

Das bemerkte Steffel, als sie den Probanden die Wahl gab, die Entscheidung an einen Vorgesetzten oder einen Untergebenen zu delegieren.

Bloß kein schlechtes Gewissen

Ganz anders war es, wenn mit der Entscheidung ausschließlich positive Folgen verbunden waren: Hier zeigten sich die Probanden selbst dann entschlossen, wenn sie selbst unbeteiligt waren.

So treffen Sie bessere Entscheidungen
1. Zukunft ausmalenKlingt skurril, kann aber nützlich sein. Davon sind die US-Entscheidungsforscher Jack Soll, Katherine Milkman und John Payne überzeugt. In ihrem Beitrag „A User’s Guide to Debiasing“ empfehlen sie etwa bei einem Hauskauf im Jahr 2015, sich das Jahr 2035 vorzustellen - und sich zu fragen: „Warum ist mein Haus hier im Jahr 2035 weniger Wert als vor 20 Jahren?“ Solche Gedankenspiele helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Ihr Beitrag mit diesem und anderen Tipps ist im „Blackwell Handbook of Judgment and Decision Making“ erschienen. Quelle: Fotolia
2. Magen füllenÄußere Einflüsse wirken sich auf unsere Entscheidungskompetenz aus. Wenn wir hungrig, traurig oder wütend sind, fallen gute Entscheidungen schwer. Mit einem ausreichend gefüllten Magen lässt sich zumindest eines dieser Probleme aus der Welt schaffen. Eine Studie unter israelischen Richtern, die über vorzeitige Haftentlassungen entscheiden sollten, zeigt: Kurz nach einer Pause entschieden sie wesentlich milder. Je mehr Zeit verstrich, desto strenger wurden sie allerdings - und desto mehr Häftlinge mussten weiter hinter Gittern sitzen. Um solche willkürlichen Entscheidungen im Alltag zu vermeiden, sollte man immer wieder zwischendurch etwas essen. Quelle: dpa
3. Emotionen hinterfragenEmotionen lassen sich zwar nicht ausschalten, aber reflektieren. In ihrem Buch „Sidetracked: Why Our Decisions Get Derailed, and How We Can Stick to the Plan” rät die Wissenschaftlerin Francesca Gino, stets die eigene „emotionale Temperatur” zu überprüfen. Dabei sollte man sich fragen, was hinter diesen Gefühlen steckt - und inwiefern sie Entscheidungen beeinflussen. Quelle: Fotolia
4. Um Rat fragenJe mehr Menschen wir um Rat bitten, desto besser ist das Bild, das wir uns machen können. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, sagen die Autoren des „User’s Guide to Debiasing“ . Quelle: dpa Picture-Alliance
5. Perspektive wechselnSelbst wenn wir andere um Rat fragen, neigen wir bei unserer Einschätzung doch dazu, unsere ursprüngliche Meinung zu bevorzugen. Diese Eigenschaft können wir überlisten, wenn wir uns in eine andere Person hineinversetzen und aus ihrer Perspektive die verschiedenen Ratschläge abwägen. Dies fand unter anderem eine israelische Studie heraus. Dabei sollten die Teilnehmer zunächst aus dem Bauch heraus ihre Meinung zu einer möglichen Entscheidung äußern, verschiedene Ratschläge durchgehen und schließlich eine Einschätzung treffen. In der Versuchsbedingung, in der sie die Einschätzung aus der Perspektive einer dritten Person abgeben sollten, neigten sie weniger dazu, sich ihrem anfänglichen Eindruck anzuschließen. Quelle: Fotolia
6. Mittelweg wählenDie Wahrheit liegt häufig in der Mitte - auch bei wichtigen Entscheidungen. Daher empfehlen die Autoren des „User’s Guide to Debiasing“, zu einem Problem zwei Einschätzungen vorzunehmen, diese miteinander zu vergleichen und den Mittelweg zu wählen. So lassen sich Fehler bei der Entscheidung reduzieren. Quelle: Fotolia
7. Pläne fassenWenn der Nutzen einer Entscheidung erst in der Zukunft liegt, sind Menschen oftmals zu schwach, um an ihr festzuhalten. Das zeigt sich beispielswesie bei einer Diät: Der Nutzen - die gute Figur -, liegt noch in weiter Ferne, während die leckeren Versuchungen so nah sind. Um künftige Erfolge nicht zu torpedieren, sollten Menschen sich konkrete Pläne und Ziele stecken und diese niederschreiben. Dafür spricht eine US-Studie, in der die Teilnehmer eine Schutzimpfung wahrnehmen sollten. Jene, die das Datum und die Uhrzeit ihres Impftermins notierten, nahmen die Impfung eher wahr. Quelle: Fotolia

Handelte es sich um besonders faule oder feige Versuchsteilnehmer? Mitnichten. Vielmehr liegt die Tendenz zum Delegieren an zwei Faktoren, glaubt Mary Steffel. Menschen wollen ein schlechtes Gewissen vermeiden – für den Fall, dass sie andere Personen mit ihrer Entscheidung auf den sprichwörtlichen Holzweg schicken. Diese Sorgen werden verschlimmert durch die Angst, für eine falsche Entscheidung Konsequenzen zu tragen.

Dieses Muster zeigten die Freiwilligen selbst dann, wenn sie anonym blieben. „Die meisten Menschen beschäftigt es offenbar stärker, die Schuld für schlechte Ergebnisse tragen zu müssen“, sagt Steffel, „als das Lob für gute Resultate einzuheimsen.“

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